Terror

Ein Zeichen gegen den IS

Mit dem Wiederaufbau ihrer Kirchen in Mosul wollen die Christen „Brücken“ der Versöhnung bauen. Aber nur 350 Christen von einst 25 000 sind wieder in die Stadt zurückgekehrt.
IRAK - MOSSUL UNDER RECONSTRUCTION Iraq, Mosul on 2022-10-19. The city of Mosul and the heritage of its historic city ce
Foto: Imago/Martin Bertrand | Vor dem Bischofshaus: Die Stadt Mosul und ihr historisches Erbe werden wieder aufgebaut, nachdem sie die Hauptstadt des IS war. Imago/Martin Bertrand

In der Altstadt von Mosul, einst Sitz des Terrorkalifats des „Islamischen Staates“, ertönte am 7. März für mehrere Stunden das Glockenspiel des Klosters „Unserer Lieben Frau von der Stunde“. Die Einweihung der Glocken und der Uhr des christlichen Gebäudes in Anwesenheit des irakischen Kulturministers, des Generaldirektors der UNESCO und der Dominikanermönche war ein sehr symbolischer Schritt. Kurz zuvor waren aus der Normandie drei neue Glocken für die Al-Saa‘a-Kirche („Unsere Lieben Frau von der Stunde“) in Mosul angekommen. Bevor sie 2014 vom IS zerstört wurde, schauten die Bürger von Mosul auf die Uhr der „Stundenkirche“, um die Zeit einzustellen. Die Installation der Glocken in der renovierten Kirche ist ein wichtiger neuer Schritt im Rahmen des von der UNESCO geleiteten Modellprojektes „Revive the Spirit of Mosul“ (Erneuere den Geist von Mosul).

Die Al-Saa‘a-Kirche war fast zwei Jahrhunderte lang ein Eckpfeiler und ein Symbol für die Vielfalt und die multireligiöse Landschaft Mosuls und ein Leuchtturm der christlichen Gemeinden im Nahen Osten. Die Kirche dominierte neben Minaretten die Skyline von Mosul. Ihre Zerstörung war neben der Zerstörung der Zentralmoschee eine architektonische Tragödie, sie hat die Menschen in Mosul, Muslime wie Christen, zutiefst getroffen. Die neuen Glocken stammen aus der Gießerei Cornille Havard in Villedieu-les-Poêles in der Normandie. Sie stellen einen Meilenstein in der Wiederaufbauarbeit der UNESCO in Mosul dar. Im 19. Jahrhundert kamen Dominikaner aus Frankreich und bauten mit den Einwohnern der Stadt die Al-Saa‘a-Kirche der Chaldäer. Die Turmuhr der Kirche war 1882 ein Geschenk Frankreichs an den Irak.

Ehrgeizige Kampagne zum Wideraufbau

Die Vorzeigeinitiative der UNESCO „Revive the Spirit of Mosul“ wurde 2018 ins Leben gerufen. Sie ist die ehrgeizigste Wiederaufbaukampagne der UNESCO der letzten Jahrzehnte, denn die Zerstörungswut des IS hatte vor allem Kulturgüter nichtmuslimischer Religionen getroffen. Die UNESCO basiert ihre Wiederaufbauprojekte auf drei Säulen: kulturelles Erbe, kulturelles Leben und Bildung, als Fundamente der Wiedergeburt von Mosul, wo sich der Sitz des „Kalifen“ des Islamischen Staates befand. Dank der Unterstützung von 15 internationalen Partnern, insbesondere den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Europäischen Union, konnten bereits mehr als 105 Millionen US-Dollar für den Wiederaufbau mobilisiert werden. Für den Dominikanerpater Olivier Poquillon, Leiter des Aufbau-Projektes, ist der Wiederaufbau der Stundenkirche ein Symbol für Mosul. Mosul bedeutet Kreuzung. Schon in der Architektur drückt sich die Multikulturalität der Stadt aus. Das Kloster „Unserer Lieben Frau von der Stunde“ wurde sowohl von Christen als auch von Muslimen erbaut. In den letzten zwei Jahrzehnten vor der Zerstörung durch den IS wurde die Kirche auch von den Gläubigen beider Religionen besucht. Diese Verbindungen wurden durch den IS zunichte gemacht. Heute sollen die alten Verbindungen wieder zum Vorschein kommen.

Ohne die Initiative der UNESCO und die finanzielle Unterstützung vor allem der Vereinigten Arabischen Emirate wäre der Wiederaufbau des Klosters nicht möglich gewesen, sagt P. Olivier. Die Initiative „Revive the Spirit of Mosul“ gibt den Menschen Hoffnung, weil sie den Glauben an die Seele der Stadt wiederherstellt. Der gemeinsame Wiederaufbau der Stadt soll auch ein Weg zum Wiederaufbau der Gesellschaft sein. Die Dominikaner wollen, dass die religiösen Stätten ihre Bestimmung wiederfinden und dazu beitragen, die drei Elemente zu beleben, die 2021 auch im Mittelpunkt des Besuches des Papstes im Zweistromland standen: das Religiöse, das Kulturelle und das Soziale. Das Dominikanerkloster „Unsere Liebe Frau der Stunde“ ist ein idealer Ort, um dieses Zusammenwirken zu dokumentieren. Sie war nicht nur eine Kirche, sondern in diesem Kloster wurde um 1850 die erste Druckerei des Irak errichtet, wo alte Handschriften restauriert wurden. Das Kloster beherbergte auch die erste Schule für Mädchen in Mesopotamien. Aber auch Lehrerinnen für den ganzen Irak wurden in diesem Kloster ausgebildet. Noch heute arbeiten 150 Dominikanerinnen an Schulen im Irak.

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Ein Leben in Unsicherheit

Im Juni 2014 war die Millionenstadt im Norden des Irak ohne Gegenwehr der irakischen Garnison von Islamisten des IS eingenommen worden, die sie bis Juli 2017 beherrschten und terrorisierten. Alle Christen waren vorher geflüchtet. Der IS zerstörte zwischen 2014-2017 alle Kirchen und Klöster. Aber auch nach der Befreiung der Stadt durch die irakische Armee herrschte in Mosul zunächst weiter große Unsicherheit. Es gab immer wieder Angriffe von untergetauchten Terroristen, die das Gefühl der Unsicherheit verstärkten. Christen wurden auch danach häufig zur Zielscheibe von Drohungen. Viele Kirchen sind heute immer noch zerstört, obwohl die Befreiung der Stadt bereits sechs Jahre zurückliegt. Der Wiederaufbau geht nur unkoordiniert und sehr langsam voran.

Seit dem Besuch des Papstes vor zwei Jahren werden im Irak jedoch große Anstrengungen unternommen, um die vom Islamischen Staat zerstörten Kirchen wieder aufzubauen. Auf dem Friedhof des St. Georgs-Klosters bei Mosul ist sogar ein frisch gestrichenes weißes Kindergrab mit einem kleinen roten Kreuz zu einem Zeichen der Hoffnung und des Durchhaltens geworden. Das Georgs-Kloster wurde mit finanzieller Hilfe der USA dem chaldäischen Antonianerorden zurückgegeben. Der IS hatte das Kloster als Gefängnis für versklavte Jesiden zweckentfremdet. Eine der Mönchszellen wurde als Moschee genutzt, die Messingstatue des Heiligen Georg wurde eingeschmolzen und Marmorplatten herausgerissen. Glücklicherweise konnten zwei Mönche am Tag der Invasion im Juni 2014 mit den wertvollsten alten Manuskripten entkommen. Allein in der Provinz Ninive wurden nicht weniger als 14 christliche Gebäude verschiedener Konfessionen zerstört. Auch nach der Befreiung 2017 stahlen Zivilisten alles, was der IS zurückgelassen hatte. Die Einwohner von Mosul lebten bereits seit der US-geführten Invasion des Irak im Jahr 2003 und dem Sturz Saddam Husseins in Unsicherheit. Die meisten Christen hatten vor der Machtübernahme durch den IS 2014 den Irak bereits verlassen.

Kirchen und Klöster wieder aufbauen

Von rund 1, 5 Millionen war die Zahl der Christen 2003 auf 400 000 zurückgegangen, heute sind es noch 200 000. Vor 2003 lebten noch etwa 24 000 Christen in Mosul, heute sind es wieder 350. Allerdings ist auch von den muslimischen Einwohnern erst die Hälfte zurückgekehrt. Einheimische Muslime hatten die Kirchen nach dem Abzug des IS gereinigt. Der Besuch des Papstes 2021 und die breite Unterstützung, die er von den Irakern erhielt, war ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Christen im Irak. Der Papst hielt damals eine Rede inmitten der Ruinen von vier Kirchen in der Altstadt von Mosul. Dort steht auch die syrisch-katholische Kirche von Al-Tahera; auch sie wird ebenfalls von der UNESCO wieder aufgebaut. Der Papst hatte 2021 gesagt, dass die Vertreibung der Christen großen Schaden angerichtet habe, „nicht nur für die Christen, sondern auch für die Gemeinschaft, die sie zurückgelassen haben“. Deshalb ist es so wichtig, Kirchen und Klöster wieder aufzubauen, auch wenn es nicht genug Christen gibt, um sie zu füllen. Einige der Kirchen Mesopotamiens stammen aus dem fünften Jahrhundert. Sie gehören zum Erbe Ninives, wie Mosul früher hieß. Dieses Erbe gehört nicht nur den Christen.

Mosul muss seine religiöse Vielfalt zurückgewinnen; dazu gehören neben Muslimen und Christen auch Jesiden und Juden. Denn Vielfalt ist ein starkes Zeichen gegen den Terrorismus und gegen den IS, der die ganze Region nach seinem mittelalterlichen Muster zwangsweise gleichschalten wollte. Die Christen mussten im Laufe der Geschichte immer wieder flüchten. Aber immer wieder sind sie zurückgekommen und haben wieder neu angefangen. Wie die Christen waren auch die Juden ein wichtiger Teil von Mosul. In Alqosh, etwa 30 km nördlich von Mosul haben zurückgekehrte assyrische Christen dafür gesorgt, dass eine jüdische Wallfahrtsstätte zum Propheten Nahum, die die nach Israel flüchtenden Juden 1948 verlassen hatten, wieder aufgebaut wurde.

Rückkehr der Gewalt befürchtet

Bis zu dem Tag, an dem auch die Juden wiederkommen dürfen, kümmern sich Christen um die jüdische Wallfahrtsstätte zum Propheten Nahum. Auch dies hat Beispielcharakter, denn damit sehen auch die Muslime, dass Religionen voneinander leben, und dass, wenn eine ausgeschlossen wird, alle anderen auch darunter leiden. Viele Christen aus der Ninive-Ebene haben sich seit 2014 in der nahegelegenen kurdischen Autonomie-Region im Nord-Irak ein neues Leben aufgebaut, vor allem in Ankawa, der christlichen Enklave von Irbil, der Hauptstadt der Kurdenregion. Viele Christen wollen die dortige auch vom Westen garantierte Sicherheit nicht gegen die Unsicherheit im irakischen Regierungsgebiet tauschen, denn sie fürchten eine Rückkehr der Gewalt in dem politisch instabilen Land. Die Priester müssen den Gläubigen deshalb heute vorangehen, so wie einst die Propheten. Papst Franziskus sagte nach seiner Abreise aus dem Irak, er habe mit eigenen Augen gesehen, dass „die Kirche im Irak weiterlebt“.

 

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