Sie ist derzeit die beliebteste Sehenswürdigkeit im an Sehenswürdigkeiten nicht gerade armen Münster (Westfalen): die „Himmelsleiter“, eine spektakuläre Installation der Wiener Künstlerin Billi Thanner. Von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen leuchtet sie neongoldgelb vom Turm der überregional bekannten Lambertikirche an Münsters traditionsreichem Prinzipalmarkt ins Land und zieht umgekehrt alle Blicke auf sich. Das wahrhaft österliche Kunstwerk, das erstmals in der Osternacht 2021, also mitten in der Corona-Pandemie, am Wiener Stephansdom aufleuchtete und in Münster seit September vorigen Jahres erstrahlt, ist das bisher bekannteste Werk der österreichischen Künstlerin Billi Thanner.
Billi Thanner, geboren 1972, ist seit den frühen 1990er Jahren als bildende Künstlerin tätig und hat sich in ihren Arbeiten der Schönheit verschrieben. Ihr Werk umfasst eine enorme Bandbreite von Genres wie Malerei, Skulptur, plastische Intervention, Rauminstallation, Aktion und Performance und widmet sich dem Verhältnis von Mensch, Natur, Kunst und Gesellschaft. Zu ihren Aktionen und Performances lädt sie regelmäßig Kulturschaffende und Künstler aus verschiedenen Sparten wie Theater, Musik, Tanz, Mode und Design sowie Leute aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zum Mitwirken ein. Sie will mit ihren Werken Oberflächlichkeit, maßlosem Konsum, Wegwerfmentalität sowie der Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft und Natur, Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung den Kampf ansagen.
Die Idee mit der Himmelsleiter
Wie aber kam es zu der Idee mit der Himmelsleiter? Kurz nach Beginn der Corona-Pandemie äußerte der Dompfarrer des Wiener Stephansdoms, Toni Faber, seinen Wunsch, ein Hoffnungssymbol für die Auferstehungsfeier 2021 in und am Stephansdom von einem Künstler gestalten zu lassen. Billi Thanner hörte davon, traf sich im August 2020 mit Faber und fragte ihn ohne Scheu, ob es auch möglich wäre, am Süd-Turm des Wiener Wahrzeichens eine Installation anzubringen. Faber versicherte daraufhin, wenn die Idee passe, sei alles denkbar. Daraufhin bewarb Thanner sich mit ihrem Konzept „Himmelsleiter“ beim inzwischen ausgeschriebenen Kunstwettbewerb und bekam im Januar 2021 den Zuschlag: Das Wiener Domkapitel hatte einstimmig entschieden, dass die „Himmelsleiter“ das neue Hoffnungssymbol sein und ab Ostern 2021 am Süd-Turm des Stephansdomes erstrahlen sollte. So kam es dann auch: Insgesamt 18 Monate lang leuchtete sie von dort ins Land.
Inspiriert ist die „Himmelsleiter“ vom alttestamentlichen Text über Jakob, der einen Stein unter seinen Kopf legt und einschläft. Im Buch Genesis 28, 12 heißt es: „Da hatte er einen Traum: Siehe, eine Treppe stand auf der Erde, ihre Spitze reichte bis zum Himmel. Und siehe: Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder.“ „Wir Menschen brauchen Träume, die in Erfüllung gehen können, wenn man nicht nur fest daran glaubt, sondern auch hart dafür arbeitet“, kommentiert Billi Thanner die Bibelstelle. „Ich wollte mit meiner Leiter den persönlichen Weg des Menschen zu Gott darstellen.“ Ihre „Himmelsleiter“ in Münster besteht wie damals in Wien, genau betrachtet, aus zwei Leitern: einer zwölf Meter hohen Leiter mit 14 Sprossen innen in der Kirche, und einer 36 Meter hohen Außenleiter, die scheinbar das Gewölbe durchstößt, mit 33 Sprossen bis in die Spitze des gotischen Turms.
Geringe Energiekosten
Nicht unwichtig zu erwähnen: Da die Sprossen durch LED-Licht erleuchtet werden, sind die Energiekosten sehr gering und betragen nur etwa 50 Cent pro Tag. Jede Sprosse, so Thanners Idee, steht für eine Tugend wie Glaube, Liebe, Achtsamkeit oder Dankbarkeit. „Mir gefällt die Vorstellung, dass wir uns im Leben bessern können, sehr“, erläutert die Künstlerin. „Mit unserer Geburt beginnen wir die Tugenden zu leben, und es kommt nicht darauf an, auf welcher Stufe oder Sprosse wir stehen, sondern auf welchem Niveau. Ganz oben angekommen, merken wir, dass die untersten Sprossen der oberen gleichen wird und wir uns hätten keine Sorgen machen müssen.“ Eine Performance mit 33 Tänzerinnen, die die verschiedenen Tugenden darstellten, verdeutlichte diesen Grundgedanken der Künstlerin jeweils zur Eröffnung sowohl in Wien wie in Münster.
Von der großen Resonanz, die das außergewöhnliche Werk an beiden Orten findet, zeigt Billi Thanner sich überwältigt. „Ich freue mich sehr, dass mein Wunsch in Erfüllung gegangen ist, dass die Normalität nach der Corona-Pandemie wieder zurückkehrt, Museen und Kunsthäuser wieder aufsperren und man Kunst und Kultur wieder genießen kann, und habe mir vor allem gewünscht, dass die Kunstinstallation ,Himmelsleiter‘ unsere Mitmenschen erfreut“, erklärt die Künstlerin. „Das ist wahrlich passiert.“
Ausstellungsdauer verlängert
In Wien gab es eine Petition, dass die „Himmelsleiter“ für immer am Stephansdom bleiben soll, in Münster hat sich eine breite Bewegung mit Erfolg für eine Verlängerung der Ausstellungsdauer eingesetzt. „Darüber bin ich natürlich sehr glücklich“, betont Thanner. Zugleich bedeutet es für sie auch eine Herausforderung, der Welt weitere Konzepte und Ideen qualitativ und mit Licht gefüllt zu liefern: Gerade arbeitet sie an einer „Doppelhelix“, die 5, 50 Meter hoch und mit 21 Sprossen mit weiß-warmem Neon-Licht bestückt ist.
Ursel Schwanekamp, Pastoralreferentin in Münsters Pfarrei St. Lamberti, ist die Frau, welche die Idee hatte, die „Himmelsleiter“ nach Münster zu holen: „Während eines Sabbatjahrs in Wien habe ich die ,Himmelsleiter‘ im September 2021 in Wien gesehen und konnte mir sofort vorstellen, dass wir sie bei uns am Lambertiturm gut zeigen können“, berichtet sie. „Bei uns in der Pfarrei bin ich überall auf offene Ohren und Zustimmung gestoßen.“ 130 000 Euro kostete die aufwendige, technisch schwierige Anbringung des aufwendigen Kunstwerks am Turm der Kirche, aber mit Hilfe vieler Sponsoren konnte diese Summe gestemmt werden. Und der Einsatz hat sich längst ausgezahlt: Weihnachtskarten und Totenzettel werden mit dem Foto von der „Himmelsleiter“ gestaltet, weiß die Pastoralreferentin zu berichten. Die Klassen der Grundschulen auf dem Gebiet der Pfarrei St. Lamberti haben inzwischen schon fast ausnahmslos ihren wöchentlichen Gottesdienst unter der Leiter in der Kirche gefeiert.
375 Jahre Westfälischer Frieden
Ende Januar/Anfang Februar gab es darüber hinaus eine Schulprojektwoche, bei der Klassen aus Münster und Umgebung mehrere Stationen in dem Gotteshaus durchlaufen konnten, die in Zusammenhang mit der Himmelsleiter stehen. Allwöchentlich finden mehrere Führungen zur Himmelsleiter statt, und einige Gruppen haben auch bereits Wortgottesdienste an dem Kunstwerk gefeiert. „Mich freut besonders, dass die ,Himmelsleiter‘ Interesse quer durch alle Schichten der Gesellschaft findet“, hebt Ursel Schwanekamp hervor. „Ihr Anblick regt die Menschen an und richtet sie auf, sie gibt Hoffnung und Trost. Wunderbar!“ Dazu passt, dass die allseits so beliebte Kunstinstallation, die ursprünglich im März demontiert und nach Wien zurückgebracht werden sollte, noch bis Oktober am Lambertiturm verbleibt und damit das Jubiläumsjahr „375 Jahre Westfälischer Frieden“, das in diesem Jahr in Münster gefeiert wird, weiter prägen kann. Danach soll die „Himmelsleiter“ aber endgültig nach Wien zurückkehren, allerdings nicht an den Stephansdom, sondern an das historische Rathaus der Donaumetropole.
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