Schweigend fanden sich die Jugendlichen zu einem Halbkreis zusammen. Die jungen Sportler und ihre Betreuer der sechs Mannschaften aus Ungarn, Polen, Tschechien und Deutschland vereinigten sich auf diese Weise zu einer großen Gemeinschaft. Zuvor waren die Fußball-Nachwuchsmannschaften aus den vier Ländern in individuellen Führungen über das Gelände des einstigen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz geführt worden. Nun standen sie gemeinsam an jenem Denkmal in Auschwitz-Birkenau, an dem sich in verschiedenen Sprachen die Tafeln befinden, die in den jeweiligen Landessprachen an die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordeten Menschen erinnern. Für die U15 des 1. FC Köln waren es Timo und Kristiyan, die mit anderen jungen Sportlern aus den sechs Mannschaften hervortraten, um das gemeinsame Gedenken abzuschließen. Die beiden Kölner trugen die Kerzen nach vorne und entzündeten sie an der Tafel mit dem Text „Dieser Ort sei allezeit ein Aufschrei der Verzweiflung und Mahnung an die Menschheit. Hier ermordeten die Nazis etwa anderthalb Millionen Männer, Frauen und Kinder. Die meisten waren Juden aus verschiedenen Ländern Europas. Auschwitz-Birkenau 1940-1945.“
„Gerade nach der langen Zeit der Pandemie und aufgrund der aktuellen Lage ist es umso wichtiger, dass junge Menschen diesen Ort sehen und gemeinsam der Opfer gedenken.“ Andrzej Kacorzyk
Rund vier Stunden dauerte der Besuch im ehemaligen Konzentrationslager mit Rundgang durch den Ausstellungsbereich im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz I sowie das Vernichtungslager Birkenau (Auschwitz II). Vor dem Eingangsbereich des Stammlagers mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ nahm der stellvertretende Direktor der Gedenkstätte sowie Leiter des internationalen Bildungszentrums über Auschwitz und den Holocaust die sechs Mannschaften aus Köln und Augsburg, Ostrava und Vikovice aus Tschechien, dem polnischen Zabrze sowie von der ungarischen Puskas-Akademie in Empfang. „Ich bin sehr bewegt, dass ihr so zahlreich und gemeinsam aus Deutschland, Tschechien, Ungarn und Polen hierhergekommen seid“, sagte Andrzej Kacorzyk und ergänzte: „Gerade nach der langen Zeit der Pandemie und aufgrund der aktuellen Lage ist es umso wichtiger, dass junge Menschen diesen Ort sehen und gemeinsam der Opfer gedenken.“
Diesen Gedanken nahm auch Maria Chrapczynska auf. Die Deutschlehrerin hatte die Führung für die Mannschaft der 15 Jahre alten Spieler aus Köln übernommen. „Dieser Ort soll Mahnung sein, es soll nichts vergessen werden, denn die Geschichte, die sich hier ereignet hat, ist grausam“, wandte sie sich an die jungen Fußballer und ergänzte: „Menschen sollen hier zusammenkommen und gedenken, die Besuche sollen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und etwas bewirken.“ Am Ende des Rundgangs zeigte sie sich sehr beeindruckt über das hohe Interesse und die große Konzentration, mit der die Jugendlichen ihren Ausführungen gefolgt waren. „Bitte tragt eure Eindrücke weiter und bestärkt andere, hierherzukommen“, gab Chrapczynska der Gruppe abschließend auf den Weg.
Sport in der Nebenrolle
Drei Tage hatte sich die U15-Nachwuchsmannschaft des 1. FC Köln in Tschechien und Polen aufgehalten, um an einem Vierländerfußballturnier für U15-Nachwuchsmannschaften im tschechischen Ostrava teilzunehmen. Beim Blick auf den Reiseverlauf und die Veranstaltungen fiel auf, dass der Sport dabei eher eine Nebenrolle spielte.
Matthias Heidrich und Carsten Schiel, die beiden Leiter des Nachwuchsleistungszentrums des 1. FC Köln, unterstreichen dies denn auch: „Der Sport steht dieses Mal nicht im Vordergrund, denn es geht bei dieser Fahrt in erster Linie darum, die Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen Spielers zu stärken.“ In den vielen Mannschaften des Kölner Vereins seien Menschen aus vielen Nationen aktiv. „Der Sport hat integrativen Charakter, er ist ein verbindendes Miteinander – auch abseits des Fußballplatzes.“
Dies konnte die U15 intensiv durch die Begegnungen mit den anderen fünf Mannschaften neben dem sportlichen Wettkampf erleben und mitgestalten. Am Vormittag vor der Busfahrt über die tschechisch-polnische Grenze nach Auschwitz trafen sich die Mannschaften aus den vier Ländern zu einem gemeinsamen Workshop im Kulturzentrum von Ostrava. Nach einer Begrüßung durch Vertreter der Stadt folgte eine knapp zweistündige Lerneinheit. Die jungen Menschen sollten dabei voneinander lernen und nachvollziehen, wie im jeweiligen Land an die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden erinnert wird. Mitglieder jeder Mannschaft trugen Beispiele für gelebte Erinnerungskultur vor. Die Gruppe aus Augsburg griff das Projekt Stolpersteine auf und berichtete von jüdischen Fußballern aus der Fuggerstadt. Die Kölner stellten dar, wie jüdische Sportler in der NS-Zeit zunächst aus den Verbänden und Vereinen gedrängt und später verfolgt und ermordet wurden. Namentlich erinnerten sie an den Kölner Fußballer Adolf Levy sowie den engagierten Kölner Unternehmer und Fußballfunktionär Ernst Peltzer.
Ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
Doch war es nicht nur diese Veranstaltung, die die sensible Herangehensweise und ernsthafte Auseinandersetzung der Jugendlichen mit dem Nationalsozialismus offenkundig machte. Denn bereits am Abend zuvor, im Anschluss an den kräftezehrenden Wettkampftag mit mehreren Spielen hintereinander, hatten sich die 18 jungen Kicker aus der Rheinmetropole mit ihren Begleitern durch Vorträge im Rahmen einer Mannschaftsbesprechung auf den Tag vorbereitet. In Referaten trugen die Jugendlichen beispielsweise über Adolf Hitler und den Nationalsozialismus, Formen und Personen des Widerstands wie Georg Elser und Oskar Schindler, vor allem aber über den Holocaust vor. „Diese Vorträge sind für die Gruppe insgesamt, aber auch für jeden Einzelnen sehr wertvoll“, fasst es Markus Halfmann, Co-Trainer der U15 und einer der Mitorganisatoren des Vierländerturniers, zusammen. Halfmann hatte die Idee zu den Referaten und zeigte sich sehr angetan, wie sich seine Schützlinge – zumal in den Ferien – auf diesen Aspekt der Reise vorbereitet hatten. „Es war mir wichtig, dass sich die jungen Menschen vorab mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Entstehung des Holocaust befassen, auch wenn manche von ihnen das Thema noch gar nicht in der Schule behandelt haben.“ Ebenso wichtig sei es aber auch, gemeinsam darüber zu sprechen und das Erlebte aufzuarbeiten.
Dies wurde besonders deutlich beim Abschlussabend in der Unterkunft nach dem Besuch von Auschwitz. Viele bewegende Reaktionen und Kommentare äußerten die Jugendlichen. Auf die Frage eines Betreuers, was sie denn am meisten beeindruckt habe, sagte ein 15-Jähriger schlicht und eindringlich: „Die Kinderschuhe.“ Solche Reaktionen nahm auch Carsten Cullmann bewegt auf. Der Trainer der U15 betont gegenüber dieser Zeitung: „Fußball ist mehr als einfach nur als Profi oder Spieler auf dem Platz zu stehen.“ Der ehemalige Profispieler aus der Bundesliga-Mannschaft des 1. FC Köln resümiert: „Dass wir mit unserem FC-Nachwuchs gemeinsam in Auschwitz waren, prägt die jungen Spieler unter Umständen stärker als es beispielsweise der Schulunterricht leisten kann.“
Mit größtem Interesse verfolgte nicht zuletzt Werner Wolf die Reise der U15. Der Präsident des 1. FC Köln hatte wenige Tage vor deren Fahrt nach Tschechien und Polen als Festredner beim Jahresempfang der Synagogen-Gemeinde Köln (SGK) dargelegt, wie solche und ähnliche Aktionen künftig noch intensiver in die Arbeit des Nachwuchsleistungszentrums aufgenommen werden sollen.
Klar gegen Antisemitismus
Auf Nachfrage der „Tagespost“ hebt Wolf hervor: „Der 1. FC Köln positioniert sich seit Jahren klar gegen Antisemitismus. Dazu gehört es auch, unsere Nachwuchsspieler zu sensibilisieren und entsprechend zu bilden. Deshalb sind uns solche Reisen, wie sie jetzt unsere U15 unternommen hat, ein großes Anliegen.“ Felix Schotland vom Vorstand der SGK ergänzt: „Wir freuen uns außerordentlich auf die Zusammenarbeit mit dem 1. FC Köln. Der Besuch von einer der Nachwuchsmannschaften des 1. FC Köln in Auschwitz dieser Tage ist ein Beispiel dafür, wie wichtig und ernsthaft dem Verein der Kampf gegen Antisemitismus ist.“
Schotland sieht darin ein ganz starkes Signal für die noch am Anfang befindliche Kooperation. „Wir glauben, dass Sport und besonders der in Köln so geliebte Fußball einen großen Teil zum Kampf gegen Antisemitismus beitragen kann. Wir von der SGK sehen diese Kooperation daher als die perfekte Brücke, um Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren und durch gemeinsame Projekte zu erreichen.“
Aus den Gesprächen, die die jungen Sportler vor, während und nach diesem so inhaltsreichen Tag und der Begegnung mit der Geschichte führten, ließ sich denn auch heraushören, wie nachhaltig sie diesen Tag aufgenommen haben.
Timo, der mit Kristiyan stellvertretend für die Kölner Nachwuchsmannschaft die Kerzen aufgestellt und entzündet hatte, fasste seine Eindrücke mit den Worten zusammen: „Was wir hier erlebt haben, ist mehr als Schulunterricht. Das geht darüber hinaus. Ich finde, dass viel mehr Schüler unbedingt einen solchen Ort besuchen müssen.“ Kristiyan fügte hinzu: „Ein Besuch ist viel krasser als die Schwarz-Weiß-Fotos in den Schulbüchern.“
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