Musik

Daniel Barenboim: Israeli, Palästinenser und Berliner

Dem Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim (80) dient die Musik als Brücke.
Dirigent Daniel Barenboim
Foto: Dieter Nagl (APA) | Ein Dirigent von Weltruf: Daniel Barenboim.

Ramallah/Besetzte Palästinensische Gebiete, 13. Januar 2008. Wenige Minuten genügten dem Meister für die Generalprobe in Ramallahs Kulturpalast. Da erhebt sich eine Palästinenserin in der ersten Reihe und überreicht dem Maestro einen Blumenstrauß. Ein augenscheinlich herzlicher Wortwechsel folgt. Für Israelis ist seit 2002 das A-Gebiet des Palästinensischen West-Jordanlandes tabu, dazu gehört Ramallah.

Barenboim riskierte eine Strafe von 8 000 israelischer Schekel, etwa 2 400 Euro nach heutigem Kurs. Wusste er das? Wenn ja, hätte es ihn gekümmert? Wohl kaum. Wahrscheinlich besitzt er ohnehin zwei oder drei Pässe. Die wenigen Töne auf dem Steinway, von einer Berliner Konzertbesucherin eigens gespendet, die Begegnung mit Presse und Verehrern verdeutlichen rasch: Dieser Mann hat Grundsätze, seine Willensstärke liegt förmlich in der Luft. Wie sonst hätte er sich 2004 getraut, anlässlich der Verleihung des Wolf-Preises für „Verdienste zum Wohle der Menschheit und freundschaftliche Beziehungen unter den Völkern“ entscheidende Passagen aus Israels Unabhängigkeitserklärung zu zitieren? „Der Staat Israel wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen.“

Einsatz für den Frieden als Staatsziel

Dann erinnerte er, in der Knesset wohlgemerkt, daran, dass Israels Gründerväter gelobten, „sich für Frieden und gute Beziehungen mit allen benachbarten Staaten und Völkern einzusetzen.“ Was dann folgte und Barenboim Zwischenrufe einbrachte, waren seine bis heute nachhallenden Fragen: „In tiefer Sorge frage ich heute, ob die Besetzung und Kontrolle eines anderen Volkes mit Israels Unabhängigkeitserklärung in Einklang gebracht werden kann. Wie steht es um die Unabhängigkeit eines Volkes, wenn der Preis dafür ein Schlag gegen die fundamentalen Rechte eines anderen Volkes ist? Kann es sich das jüdische Volk, dessen Geschichte voller Leid und Verfolgung ist, erlauben, angesichts der Rechte und Leiden eines benachbarten Volkes in Gleichgültigkeit zu verharren?“ Darauf kam es zum Eklat. Die israelische Bildungsministerin Limor Livnat (Likud), eine Gegnerin des Oslo-Friedensprozesses, warf Barenboim vor, das Parlament zu missbrauchen, um Israel zu attackieren. Dieser indes stiftete das Preisgeld von 50 000 Dollar für den Musikunterricht israelischer und palästinensischer Kinder.

Barenboims Lebensstationen

Barenboim, am 15. November 1942 in Buenos Aires als Sohn russischer Eltern geboren, erhielt seit dem fünften Lebensjahr Klavierunterricht – sein Vater blieb zeitlebens sein einziger Lehrer. Schon mit sieben gab er sein erstes Konzert. 1952 wanderte die Familie nach Israel aus. Mitte der 50er Jahre studierte der jugendliche Barenboim mit einem Stipendium Harmonielehre und Kontrapunkt in Paris. Einmal begegnete er Wilhelm Furtwängler, der den Elfjährigen als „Phänomen“ bezeichnet haben soll.

1955 sah sein umjubeltes Debüt als Pianist in der Londoner Wigmore Hall. Wenig später schon konzertierte er mit Orchestern von Weltrang, darunter die New Yorker Philharmoniker. In den 1960er Jahren widmete er sich verstärkt dem Dirigat. Seine Arbeit mit dem London Symphony Orchestra, den Berliner Philharmonikern sowie seine Mozart-Reihe beim Edinburgh International Festival festigten seinen Ruf als Dirigent von Weltrang. In den Folgejahrzehnten wurde er Chefdirigent in Paris und Chicago, Hauptgastdirigent der Mailänder Scala und wirkte fast zwanzig Jahre bei den Bayreuther Festspielen. Auch das Wiener Neujahrskonzert hat er mehrfach dirigiert. Seit 1992 ist er auf Lebenszeit Künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, 2000 widerfuhr ihm das Gleiche vom Orchester der Staatskapelle Berlin.

Friedensbotschafter der Vereinten Nationen

Barenboim – mit Pianist und Dirigent wäre er nicht vollständig, nicht gebührend charakterisiert. Er ist schon Botschafter gewesen – lange bevor ihn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zum Friedensbotschafter der Vereinten Nationen ernannte. Er wollte schon seit jeher mitteilen. Und das tut er überzeugt und überzeugend – mit Tönen oder Worten. 1990 dirigierte er die Berliner Philharmoniker bei ihrer ersten Israel-Tournee. 2001 erntete er dort jedoch heftige Kritik von Publikum, Kulturschaffenden und Politikern: Er hatte mit der Staatskapelle Berlin einen Auszug aus Wagners Tristan und Isolde als Zugabe gespielt. Bis dahin war Wagners Musik wegen dessen antisemitischer Haltung in Israel nicht öffentlich erklungen. Mitglieder des parlamentarischen Bildungskomitees wollten Barenboim deshalb zur Kulturperson non grata erklären, fanden dafür jedoch keine Mehrheit. Bereits 1999 hatte der vielsprachige Musiker mit dem palästinensischen Literaturprofessor Edward Said und dem deutschen Kulturmanager Bernd Kauffmann das Orchester des West-östlichen Diwans gegründet. Es setzt sich aus jungen Musikern Israels sowie der besetzten palästinensischen Gebieten, dem Libanon, aus Ägypten, Syrien, Jordanien und Spanien zusammen.

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Denkwürdiges Konzert in Ramallah

2005 gab das Orchester ein beachtetes Konzert in Ramallah, das in vielen Ländern live übertragen wurde. Auch Musikkindergärten in derselben Stadt gehen auf Barenboims Initiative zurück. Für sein Engagement erhielt Barenboim 2008 die Ehrenbürgerschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde. Anlässlich seines 70. Geburtstages gründete Barenboim in Berlin eine Akademie für Nachwuchsmusiker aus dem Nahen Osten, die Barenboim-Said-Akademie, die vom Bund unterstützt 2015 eröffnet wurde. Immer wieder wurde Barenboims angeblich demütigend-respektloser Umgang mit Musikern kritisiert. Für Stargeigerin Anne-Sophie Mutter, die seit 1978 mit ihm musiziert, ist er ein „Mann mit einem unfassbar großen Herz“, dem man zu „ewiger Dankbarkeit verpflichtet“ sei.


Wunsch nach eiserner Gesundheit

Angesichts seiner angeschlagenen Gesundheit wünschte sie ihm in der Bayern-2-Radiowelt an seinem Geburtstag „eiserne Gesundheit“. Zurück zum Gratis-Konzert 2008 in Ramallah: Bei drei Beethoven-Sonaten kann der Meister zeigen, dass kaum einer sanfter anschlägt und nur wenige so losdonnern und Finger trotz ruhigster Handhaltung raketengleich über die Tasten schießen können. Barenboim lässt mit Beethoven die gesamte Gefühlspalette anklingen: Jubel und Trauer, Freude und Schmerz, Heiterkeit und Ringen. Hat er diese Sonaten gewählt, weil sich in ihnen die Stimmung des unfreien Landes am besten widerspiegeln? „Jedes Mal ist es für mich ein besonderer Anlass, in Ramallah zu spielen“, lässt er das Publikum zwischen zwei Sonaten wissen. „Helfen Sie mir, ein geregeltes musikalisches Leben in Ramallah und anderen Städten Palästinas zu entwickeln“, bittet er die gut 700 Zuhörer, etwa zu gleichen Teilen Palästinenser und Ausländer.

Nach dem Konzert versuchen Reporter dem Tastenkönig politische Stellungnahmen zu entlocken. „Wenn du Besatzungsmacht bist, dann ist es auch deine Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Menschen unter deiner Besatzung ein Leben mit einer gewissen Qualität haben“, lautet seine Botschaft. Dann wird der Weltmusiker auf seinen palästinensischen Pass angesprochen. „Ich habe ihn angenommen, da ich glaube, dass das Schicksal der beiden Völker untrennbar verwoben ist.“ Er fühle sich durch die palästinensische Ehrenstaatsbürgerschaft sehr geehrt. Die Tatsache, dass einem Israeli ein palästinensischer Pass verliehen werde, zeige doch: „Es ist möglich.“

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