Der Dienst am Menschen ist eine Herzensangelegenheit, denn nur mit Hingabe kann er gelingen. Gerade heute, in einer Zeit, in der eine Pandemie unsere zunehmend überalterte, sozial vereinsamende Gesellschaft bereits mehrfach an ihre Grenzen getrieben hat, ist der Beruf der Krankenschwester zugleich Wurzelwerk und Säule unseres Zusammenlebens.
Claudia Gemeinhardt-Lehmann, geboren 1968 in Regnitzlosau, hatte zunächst eigentlich andere Berufspläne: Schon früh liebte sie die weite Welt und plante, in die Entwicklungshilfe nach Asien oder Afrika zu gehen. Doch dann kam alles anders. Während ihrer Fachhochschulausbildung bewarb sie sich im Krankenhaus und bekam prompt eine Zusage. Wäre nicht der Rat der Eltern gewesen, hätte Gemeinhardt-Lehmann die Stelle vielleicht gar nicht angenommen, doch bis heute bereut sie ihre Entscheidung nicht.
1986 machte sie zunächst ein Praktikum. Ab 1987 ging es dann mit der dreijährigen Ausbildung zur Krankenschwester weiter, die sie 1990 mit ihrem ersten Examen abschloss. Nur zwei Jahre später kam Gemeinhardt-Lehmann auf die Intensivstation, wo sie 1995 nach einem weiteren Kurs schließlich ihr zweites Examen zur Fachschwester für Intensivmedizin und Anästhesie absolvierte.
Nachtschichten sind an der Tagesordnung
Selbst nach über 30 Jahren auf der ITS empfindet Gemeinhardt-Lehmann ihren Beruf nicht als Arbeit, auch wenn es ein echter Knochenjob ist. Nachtschichten und pausenlose Anstrengung sind bei ihr an der Tagesordnung. Dazu kommt die Belastung durch Covid. Besonders zu Hochzeiten der Pandemie wurde Pflegepersonal aufgrund der extremen Arbeitslast auf eine Zerreißprobegestellt. Dazu kommt der psychische Druck. Claudia Gemeinhardt-Lehmanns Station wurde zur Corona Intensiv eingerichtet.
„Das Gefühl, wenn man acht Stunden um das Leben eines Patienten kämpft und er zuletzt doch noch stirbt, ist schwer in Worte zu fassen“, so Gemeinhardt-Lehmann. Schon immer sei sie ein Mensch gewesen, der sich Gedanken macht, aber jetzt mehr denn je. „Es war eine sehr anstrengende Zeit für Körper, Seele und Geist.“ Trotzdem blickt sie mit einem Lächeln in die Zukunft. „Es gibt Hoffnung“, sagt sie.
Neue Energie schöpft Claudia Gemeinhardt-Lehmann aus breitflächiger Lektüre. „Ein Buch aufzuschlagen ist wie in einer anderen Welt zu versinken.“ Wünschenswert fände sie dabei auch ein weites Spektrum spiritueller Schriften, die mehr von Herzen kommen. Mit Anfang 20 ist sie aus der evangelischen Kirche ausgetreten. „Institution hat für mich nichts mit Spiritualität zu tun“, erklärt sie. „Mein Glaube geht nur mich und Gott etwas an.“ Besonderen Wert legt sie auf persönliche Authentizität. Gerade an Weihnachten würde schnell deutlich, wer aus aufrichtigen Gründen die Kirche besuche und wer nur um der Tradition willen und für ein wenig Atmosphäre käme. „Wer geht noch zum Weihnachtsgottesdienst, um Jesu Geburtstag zu feiern?“
Gerechtigkeit und Toleranz sind ihr wichtig
Spirituelle Orte liegen für die Intensivkrankenschwester vor allem in der Natur. Nicht verwunderlich, denn insgesamt liebt sie die Welt. Das Reisefieber haben ihr, so vermutet Claudia Gemeinhardt-Lehmann, ihre Großeltern vererbt, die ebenfalls viel gereist sind. Besonders im Gedächtnis ist ihr eine Postkarte aus Katmandu geblieben, die sie mit acht Jahren von ihren Großeltern erhielt. „Seit diesem Moment wollte ich auch dorthin und habe mir später diesen Wunsch auch erfüllt.“ Außerdem ist sie viel in Europa und Asien herumgekommen. Vielleicht ihr Lieblingsort ist Bangkok. Wenn sie aus dem Flieger steigt, die Gerüche und der warme Wind auf ihrem Gesicht sie begrüßen, fühlt sie sich sofort zu Hause. „Kapstadt ist aber auch ganz schön“, fügt sie verschmitzt hinzu.
Eine Herzensangelegenheit für Gemeinhardt-Lehmann sind soziale Gerechtigkeit und Toleranz. Auf ihren Reisen hat sie die Erfahrung gemacht: Je mehr man die Welt und die Menschen in ihr kennenlernt, desto unverständlicher werden aus Hass geborene Konflikte. Gerade die mitmenschliche Wärme, auf die sie immer wieder getroffen ist, berührt sie sehr. Die Vielfältigkeit der Schöpfung, fremde Kulturen und Weltanschauungen faszinieren sie. Einen Gott, der statt auf gute Taten auf die Religionszugehörigkeit schaut, kann sie sich nicht vorstellen.
Umweltbewusster Lebensstil
Im Gespräch wird schnell klar, dass Gemeinhardt-Lehmann auch stets die kommenden Generationen im Blick hält. Gemeinsam mit ihrer Familie legt sie schon lange Wert auf einen umweltbewussten Lebensstil. Außerdem schenkten sie und ihr Ehemann zwei Kindern ein zu Hause. Auf Wunsch ihrer Mutter ließ sie beide Kinder taufen. Ein Zeugnis ihrer persönlichen Toleranz und Selbstlosigkeit ist die Tatsache, dass sie sich trotz Ablehnung wegen ihres eigenen Austritts beharrlich für die Spendung des Sakraments einsetzte. An den Moment der Taufe, für den sie ihre Lieblingskirche auswählte, erinnert sie sich gern zurück.
Mit Sorge blickt Claudia Gemeinhardt-Lehmann auf die Entwicklungen in ihrem Berufsfeld. Derzeit sinke das Ansehen der Krankenschwester immer weiter, so Gemeinhardt-Lehmann, was besonders paradox sei, da händeringend nach gutem Pflegepersonal gesucht wird. Abträglich seien dabei Stereotypen. Dass Bettpfanne und Fieberthermometer nur einen Teil des Berufsbildes darstellen, mache sich die Gesellschaft nicht klar. „Viele Menschen wissen nicht, wie viel Verantwortung wir tragen.“ Zudem habe sich das Berufsbild in den vergangenen Jahren verändert: Durch wachsende Berge von bürokratischen Aufgaben rücke die menschliche Ebene in den Hintergrund. Für die Zukunft würde sie sich wünschen, dass mehr Menschen die Tätigkeit zu würdigen wüssten und sich auch mehr junge Leute entschieden, diesen einzigartigen Beruf zu ergreifen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.