Die Universalität des spätantiken Kirchenlehrers Augustinus erweist sich in seinen Beiträgen zur Pädagogik und Sprachtheorie. Der jüngste Studientagsband des Würzburger Zentrums für Augustinusforschung zeigt, dass dies zwar eher beiläufige Themen unter den großen – wie Trinität, Schöpfungsordnung, Selbsterkenntnis – sind, doch wie bei jedem Genie sind auch solch kleinere Themen von einem großen Atem geprägt.
Bildung wird unter fünf Gesichtspunkten umkreist. Der Kirchenhistoriker Peter Gemeinhardt (Göttingen) stellt Augustinus in den breiten Bereich der frühchristlichen Selbstklärung in Apologetik und Katechetik, also in die wortgewandte Verteidigung oder notwendig einfache Unterrichtung des Glaubens. Bildung als „kultureller Code“ war im römischen Reich selbstverständliche Voraussetzung einer politischen Karriere.
Die Schwierigkeit der Christen bestand darin, dass sie natürlich die musterhaften Autoren in Grammatik und Redekunst aufgriffen, aber nicht deren durchgängigen Bezug auf die Götter gebrauchen konnten. So musste die neue Gotteserkenntnis eingegossen werden in bewährte Redefiguren, was immer einen geistigen Kampf bedeutet.
Uneindeutige Moral, die zum Täuschen einlädt
Der Althistoriker Konrad Vössing (Bonn) behandelt die spätantike Schule, die Augustinus besuchte. Den Elementarunterricht erhielt er im nordafrikanischen Thagaste, Grammatik lernte in Madauros, Rhetorik in Karthago. Augustinus wirft in seinen „Bekenntnissen“ allerdings einen kritischen Blick auf diese Schulen. Der Haupteinwand betraf das vorwiegend literarische Vorgehen anhand von dichterischen Geschichten mit durchaus frivolem Inhalt, etwa Fabeln auch in obszöner Sprache; zweitens verbunden mit uneindeutiger Moral, die zum Täuschen einlade; zudem erfolge eine reine Elitenbildung, abgehoben vom Volk, und Kindern werde Zwang angetan.
So blieb für Augustinus die Frage offen, ja, sie wurde sogar verstellt: Was ist das Ziel der Bildung und damit auch der Rhetorik? Solange Recht und Unrecht rhetorisch nicht unterschieden wurden, ging es nur um die parteiische Durchsetzung von Interessen. „Warum bist du zur Schule gegangen, hast Prügel bekommen…? Um zu lernen! Um was zu lernen? Sprache und Bildung. Warum? Um Geld zu haben oder um sich eine Ehrenstellung zu verschaffen und einen hohen sozialen Status zu bekommen… Unsere Eltern haben uns nicht … ge-sagt: ,Erwerbt Bildung, um ein Mittel zu haben, die Schriften der Bibel lesen zu können.‘ Nicht einmal die Christen sagen das ihren Kindern.“
So versäumte die antike Schule in Augustins Augen die wahre humanistische Bildung. Aufgrund seiner trüben Erfahrungen als Schüler und als heidnischer Lehrer sollte er die wahre Bedeutung von Bildung erst nach seiner Bekehrung erkennen.
Also: Was darf Schule nicht sein? Eine Anstalt, um sich „Dominanz, Konkurrenz, Besitz- und Prestigestreben“ anzueignen. Der Beitrag ist ein wertvoller Impuls zur Überprüfung von Lernzielen und unethischen Methoden.
Voller ungewohnter Anregungen steckt der Beitrag der Philologin Therese Fuhrer (München) zu den Grundlagen des Lernens am Beispiel der Musikanalyse bei Augustinus: nämlich mit Hilfe von Zahl und Rhythmus.
Motivationstraining bei Augustinus
Die Religionspädagogin Elisabeth Reil (Koblenz-Landau) entfaltet die hilfreiche Abfolge eines Motivationstrainings bei Augustinus anhand seiner Schrift „Über den Unterricht von Unwissenden“, womit Nicht-Christen gemeint sind. Eingeteilt wird in rhetorische und didaktische Grundlagen und in zwei reizvolle Musterkatechesen. Erstaunlicherweise übernimmt die Eigenmotivation des Lehrers die Hauptrolle, und zwar über alles Fachwissen und didaktische Strukturfragen hinaus: Wie man nämlich die verlorene Berufsfreude wiedergewinne. Die Ursachen für den Motivationsverlust des Religionslehrers sind zeitübergreifend: schwerfällige, langatmige Sprache; rhetorische Mängel und sachliche Wissenslücken; Überdruss an den immer gleichen Inhalten; Teilnahmslosigkeit der Hörer; gestörter Arbeitsablauf durch sich überlagernde Aufgaben; beruflicher Misserfolg. All das führt zu Verdrossenheit. Und die sechs Heilmittel lauten, wieder aus Augustins eigener Erfahrung: Perspektivenwechsel in der Sprache, indem man zu kurzen, ungekünstelten Hauptsätzen übergeht und sich den Hörern anpasst, in einer „sorgfältigen Nachlässigkeit“. Zudem rät Augustinus zu wirklichkeitsgemäßer Selbsteinschätzung ohne Perfektionszwang, bereit zur Korrektur in der „Sanftmut des Geistes“, Augenhöhe mit den Hörern ohne langweiliges Wiederholen, sondern mit neuen Gesichtspunkten, die leidenschaftlich vorgebracht werden sollen, indem man „selber brennt“. Gegen die Teilnahmslosigkeit der Hörer soll man die persönliche Ansprache setzen, auch bei Zwischenfragen.
Letztlich ist es bei der Stumpfheit des Hörers „sinnvoller, ausführlich für ihn zu Gott zu sprechen als mit ihm über Gott“. Bei Aufgaben-kollisionen empfiehlt Augustinus Geschmeidigkeit und Gelassenheit, beides gewonnen durch den Glauben, dass Gott in allem einen Plan verfolge. Für den Misserfolg gilt, sich ein wirklichkeitsgetreues Bild von den sachlichen Umständen, aber auch von sich selbst zu machen. Letzteres schließt kirchliche Missstände ein. Anstelle einer „medialen und strukturellen Technokratisierung des Unterrichts“ mit überflu-tenden Wissensströmen drängt Augustinus auf die lebendige Orientierung im Glauben, die den Lehrer selbst stützt und die er „brennend“ weiterreicht.
Zweites Großthema "Sprache"
Das zweite Großthema „Sprache“ wird vom Begriff der Seele aus beleuchtet. Die Philoso-phin Lenka Karfiková (Prag) sieht in Augustins Frühwerk „Über die Größe der Seele“ die später tiefer ausgeführte sprachliche Übermittlung des Denkens angedacht. Die Abhandlung über die Dreifaltigkeit fußt aus ihrer Sicht auf der Unterscheidung des inneren intelligiblen Wortes, das den Vater einsehbar macht, vom äußeren fleischgewordenen Wort, das sinnlich fassbar wird.
Alfons Fürst (Münster) behandelt die Pflicht zur Wahrhaftigkeit und die Lüge bei Augustinus. Im Unterschied zu manchen seiner Zeitgenossen schuf er eine scharfe Begriffsklärung der Lüge, denn er entflocht ihren Begriff von dem des Irrtums oder der ironischen Verstellung. Entscheidend war, dass das Wort auf Vertrauen beruhte und die Lüge Vertrauen zerstörte – selbst die Notlüge. Der differenzierte Beitrag steckt, wie der faBand insgesamt, voller reicher Anregungen zu Fragen der Sprache und Bildung in der Spätantike, die von Augustinus in den Radius des Christentums gezogen wird.
Christof Müller/Guntram Förster (Hg.): Augustinus als Pädagoge und als Sprachtheoretiker. Beiträge der Würzburger Augustinus-Studientage 16 (2018) und 17 (2019). (Res et Signa, Augustinus-Studien 16), Würzburg 2020, Echter Verlag, 287 Seiten, ISBN 978-3-429-04254-7, EUR 34,–
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