Die Kunst braucht keine Beleuchter, sie strahlt aus sich selbst heraus.“ Dieses Zitat aus der „Kulturpause“, seiner geharnischten Streitschrift zur gegenwärtigen Kunstszene mit ihrem Übergewicht an feuilletonistischen Anstrahlern, muss den entschuldigenden Einstieg bilden, bevor man zum Lobpreis von Ludwig Valentin Angerer mit nichts als ebenjenen Worten aufwartet, denen seine Werke so zuverlässig spotten. Dass sich der Personenkult um Künstler für gewöhnlich antiproportional zu ihren Leistungen verhalte, ist eine weiterer Gedanke, der Aufnahme in die „Kulturpause“ gefunden hat.
Und doch darf man hoffen, dass eine bündige Würdigung das Werk des bayerischen Malers nicht allzu sehr schmälert. Den Verdacht der absichtsvollen Überhöhung, der Selbsthistorisierung bei lebendigem Leibe gar, könnte indes auch der imposante Zusatz aufkommen lassen, um den Angerer seit Jahrzehnten seinen Namen ergänzt: „der Ältere“. Reichlich gesucht wirkt das auf manchen: Als wolle er sich schon nominell nachträglich einreihen in den erlauchten Reigen der Cranachs, Brueghels und Holbeins.
Hoffnung auf die kulturelle Sonne aus dem Osten
Wem dieser Komparativ als Anmaßung aufstößt, der mag im Leben und Wirken Angerers des Älteren lange nach etwas Ausschau halten, das aus dem Rahmen fällt, den die archaisch anmutende Selbstbezeichnung absteckt. Je näher man den Künstler allerdings kennenlernt, desto weiter reift die Gewissheit, dass der klangvolle Name nicht bloß Fassadenverkleidung ist, sondern dass er das Wesen seines Trägers recht gründlich abbildet: Eines Lesers, der die Werke seiner beiden Lieblingsautoren – des Geburtsschwaben Friedrich Hölderlin wie des Wahlschwaben Ernst Jünger – über weite Strecken auswendig zu kennen scheint und den eine Freundschaft mit Michael Ende verband.
Eines Hörers, der als Jüngling den „Feuervogel“ noch unter Stravinskys eigenem Dirigat erlebte und später sein Bild „Zur Freiheit II“ dem Andenken des vergessenen Komponisten Heinz Schubert widmete. Und nicht zuletzt eines Katholiken, der mit seiner Frau Margit ein denkmalgeschütztes Bauernhaus in der Hallertau bewohnt, vor dem die selbsterbaute „Erlöserkapelle“ thront. Zu ihrer Einweihung hatte der seinerzeitige Präfekt der Glaubenskongregation herzlich gratuliert. „Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Werk“, schrieb der spätere Papst Benedikt XVI., „das endlich einmal wieder wirkliche sakrale Kunst darstellt im Gegensatz zu so vielem, das bloß den Verfall der Seele im Unglauben sichtbar macht.“
Geboren wird Angerer am 07. August 1938 in Bad Reichenhall. Nicht wenigen Sehnsuchtsorten des Berchtesgadener Landes, dem verwunschenen Listsee etwa oder dem sagenumwobenen Untersberg, hat er in seinen Werken Denkmäler gesetzt. Der Vater – Bergführer von Beruf – fällt bald nach der Geburt des ersten Sohnes im Polenfeldzug. Rührend lesen sich Angerers Aufzeichnungen über die polnische Dame, die das Grab des Fremden aus reiner Ehrfurcht vor der menschlichen Gottesebenbildlichkeit pflegte. Nur aus dem Osten, so ist der Maler heute überzeugt, könne auch die kulturelle Sonne wieder aufgehen, die ihren Zenit für seine Begriffe spätestens 1789 überschritt. Regelmäßig empfängt er russische Besucher und erhält mitunter Aufträge von orthodoxen Patriarchen.
Schon dem jungen Angerer eilt ein Ruf voraus
Als Kind ernstlich an den Bronchien erkrankt, findet Angerer nach einjährigem Kur-Aufenthalt auf Norderney zu ausreichend guter Form, um zu einem der besten Mittelstreckenläufer seiner bayerischen Heimat zu werden. Nach dem Schulabschluss schreibt er sich für das Studium der Architektur an der Münchner Akademie der Bildenden Künste ein, wo er der Professorenschaft schon bald – nach dem einstigen Privatarchitekten König Ludwigs I. – als „neuer Klenze“ gilt. Dieser Ruf eilt dem Studenten bis zu Alexander von Branca voraus, der ihn 1967 zu seinem Entwurfsarchitekten macht und an der Konzeption der Neuen Pinakothek beteiligt.
Brancas eigene Kirchenbauten – weitgehend fensterlose Kolosse mit Verblendungen aus Naturstein – zeugen von jenem wehrhaften Katholizismus, dem sich sein früherer Adlatus bis heute verbunden fühlt. Auch Angerers Bekenntnis zur gegenständlichen Malerei speist sich aus christlichem Geist: Weil sich Gott in Gestalt Jesu leibhaft offenbart habe, dürfe – ja müsse er geradezu figürlich dargestellt werden. Die Bilder des Schönen, in denen sich das Geheimnis des unsichtbaren Gottes versichtbare, hatte Kardinal Ratzinger zur Jahrtausendwende in seiner Schrift über zum christlichen Kultus.
den „Geist der Liturgie“ klargestellt, gehörten festWer die Konkretion meide, zitiert Angerer Max Liebermann, überspringe das Sinnliche kurzerhand zum Übersinnlichen. Doch bleiben luftige Ambitionen ohne handwerkliches Fundament für seine Begriffe Scharlatanerie: Künstler, die sich daran beteiligten, entzögen sich schlicht den Maßstäben der Beurteilung, wie auch moderne Dichter diesen objektiven Kriterien durch Verzicht auf Rhythmus und Reim aus dem Wege zu gehen pflegten.
Selbst schreitet Angerer den Weg vom Sinnlichen zum Übersinnlichen stets aufs Neue mühsam aus: Schicht für Schicht bringt er in seinem Atelier zu Klängen von Bach und Mozart mit altmeisterlicher Lasurtechnik auf die Leinwand. Auch an Mitteln zur Umsetzung seiner Ideen ist Angerer nicht zu sparen gewillt: Eine Höhe von 80 Metern soll etwa der „Christusdom“ messen, den er nach dem Vorbild frühmittelalterlicher Kirchenbauten auf oktogonalem Grundriss geplant hat. Während Skeptiker ambitionierter Bauten sich zu Anwälten der mühsamen Jahre aufschwingen, die ihre Errichtung mit sich bringt, ist Angerer fest auf die Jahrtausende fokussiert, in denen immer neue Betrachter ihrerseits vom Anblick großer Kunstwerke aufgerichtet werden. Vor diesem Hintergrund mag das Bonmot Giuseppe Prezzolinis einleuchten, wonach der Fortschrittler bloß an morgen denke, der Konservative dagegen stets an übermorgen.
Der Fortschritt wirkt allzu oft nur wie ein Irrweg
Bevor er sich mit Fanfaren in die progressive Phalanx einreiht, erlaubt sich Angerer von Zeit zu Zeit die Frage, wovon eigentlich jeweils fortgeschritten werde: Zumeist, wie sein Freund Michael Ende befand, von nichts als Maß, Mensch und Mitte: Seit etwa zwei Jahrhunderten fordere man nunmehr, die Welt zu verändern, schrieb der „Momo“-Autor konsterniert: „Verändert haben wir sie zweifellos – so sehr, dass wir uns bald eine neue suchen müssen.“ Die Irrwege von Kulturverfall und Naturzerstörung versucht Angerer jedoch ebenso wenig abkürzen wie die verschlungenen Pfade vom Sinnlichen zum Übersinnlichen: Während Kunstpausen bewusst gesetzt und beendet werden könnten, seien Kulturpausen von höherer Warte verhängt und müssten eisern ausgestanden werden.
Für ihn stellt sich daher höchstens die Frage nach seiner genauen Rolle im ästhetischen Interregnum: Obwohl er Gefallen findet am Bild des Königs im Exil, das Ernst Jünger für den alten, nach Erscheinen von Goethes „Götz“ zusehends aus der Mode gekommenen Klopstock prägte, stellt der Bergführer-Sohn schließlich den noch erhabeneren Bezug zum orthodoxen Mönchtum auf der Felseninsel Athos her. Nahezu fünf Jahrhunderte hatten die dortigen Klöster unter osmanischer Fremdherrschaft gestanden und doch den Faden der abendländischen Tradition niemals abreißen lassen.
Was den Mönchen die islamische Bedrohung war, sind dem bayerischen Maler die Zumutungen der technischen Moderne an sich. Und dennoch begreift Angerer seine Zeit auch und gerade als willkommene Prüfung: In einer Epoche künstlerischer Blüte schiene ihm sogar manches große Talent verzichtbar. Wo sich aber die kulturelle Erbmasse des alten Europa auf immer weniger Schultern verteile, wachse dem Einzelnen eine ungeahnte Verantwortung zu.