Mannheim

Wenn Rechtschreibprofis Geschlechterpolitik betreiben

„Genderisierung“: Ein neue Dudenprojekt scheint erzieherische Ambitionen zu verfolgen. Bisher hat der Duden die Sprache so wiedergegeben, wie sie sich entwickelt hatte. Jetzt scheint man in der Redaktion überzeugt zu sein, die Menschen verbal mit der Gender-Ideologie beeinflussen zu müssen.
DUDEN mit Gendersternchen
Foto: Imago-images | Wörter als Zankapfel: Was für manche ein Zeichen der Gerechtigkeit darstellen soll, wirkt auf andere wie ein brutaler Angriff auf die Sprache.

Generationen galt der Duden als Standard-Referenzwerk für korrektes Deutsch. Dabei orientierte sich das Wörterbuch weitestgehend am Prinzip, den vorherrschenden Sprachgebrauch abzubilden. Damit ist es nun vorbei, zumindest teilweise.

Die neue Onlineversion des Duden wartet mit Neuschöpfungen auf. Dem „Gast“ wird nun beispielsweise die weibliche Form „Gästin“ und dem „Bösewicht“ die „Bösewichtin“ zur Seite gestellt. Damit hängt zusammen, dass die Dudenredaktion das generische Maskulinum offenbar entweder abschaffen möchte oder mindestens als veralteten Sprachgebrauch betrachtet. So bekommt man unter dem Eintrag „Mieter“ etwa zu lesen: „Substantiv, maskulin – männliche Person, die etwas gemietet hat.“ Können Frauen mithin keine Mieter mehr sein? Der Eindruck wird erweckt. Bis Ende 2021 sollen bis zu 12 000 Artikel(!) nach diesem Vorbild überarbeitet werden.

„Der Duden ist längst nicht mehr das Standardwerk,
das er mal war.“

Der Verein deutsche Sprache e. V. übt auf seiner Homepage harsche Kritik: „Das widerspricht nicht nur der deutschen Grammatik, sondern auch dem Bundesgerichtshof, der im März 2018 letztinstanzlich festgehalten hat, dass mit der Bezeichnung ,der Kunde‘ Menschen jeglichen Geschlechts angesprochen seien. Die Beschwerde der Klägerin, die von ihrer Sparkasse mit ,Kundin‘ angeredet werden wollte, wurde kürzlich vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen.“ Und: „Der Duden ist längst nicht mehr das Standardwerk, das er mal war. Stattdessen ist er ideologisch gefärbt und will auf Teufel komm raus politisch korrekt sein.“

Die Verfechter gendersensibler Sprache wollen geschlechterstereotype Denkweisen aufbrechen. Und Denken vollzieht sich im Medium der Sprache. Dabei ist Sprache mehr als nur ein Werkzeug, sondern wirkt auf das Denken zurück. Auf der Grundlage dieses Zusammenhangs argumentieren Gendertheoretiker: Studien hätten gezeigt, dass Menschen beim Wort „Arzt“ oder „Bürger“ spontan mehrheitlich an Männer dächten. Dem lasse sich durch eine gendergerechte Sprache entgegenwirken, die konsequent von Bürgerinnen und Bürgern spricht oder von Bürger(inne)n, BürgerInnen, Bürger/inn/en, Büger:innen, Bürger*innen oder Bürger_innen schreibt. Gendersensible Rede- und Schreibweisen haben sich im öffentlichen und vor allem politischen Leben inzwischen weitestgehend durchgesetzt. Spräche ein Politiker heute von Bürgern und nicht von Bürgerinnen und Bürgern, würde ihn wohl bald der Verwurf der Frauenfeindlichkeit einholen.

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Die Sprache wird unverständlicher

Gendersensibles Sprechen und Schreiben hat freilich auch seinen Preis. Erstens beeinträchtigt seine Umständlichkeit schlicht und einfach die Verständlichkeit. Entsprechende Untersuchungen haben gezeigt, dass anspruchsvolle Texte, etwa Gebrauchsanweisungen oder Gesetzestexte, in gegenderter Form sehr viel schwerer lesbar sind. Zweitens: Man spricht zwar mit großer Selbstverständlichkeit von Ärtz:innen und Bürger:innen, nur mit Hemmungen aber von Betrüger:innen, Verbrecher:innen et cetera – eine Inkonsequenz, die das Anliegen, Geschlechterstereotype aufzubrechen, im Grunde konterkariert.

Hinzu kommt, dass einige Ausdrücke wie „Gast“ oder „Bösewicht“ bislang kein weibliches Pendant haben. Dem soll, wie bereits angedeutet, durch Neuschöpfungen wie „Gästin“ oder „Bösewichtin“ Abhilfe geschaffen werden. Gut gemeint ist aber nicht immer gut getroffen. In den genannten Fällen ist es mindestens fraglich, ob sich die vorgeschlagenen Formen durchsetzen werden. Eher wäre zu erwarten, dass „Bösewichtin“ zum Unwort des Jahres gekürt wird.

Vorgeblich „gut gemeint“, dennoch ausschließend

Abgesehen davon ist zu fragen, ob es zu den Aufgaben der Dudenredaktion gehört, neue Wortschöpfungen zu kreieren oder gar Spracherziehung zu betreiben. Drittens: Die Verfechter gendergerechter Sprache verkennen bisweilen die Funktionsweise generischer Ausdrücke. Genussbegriffe wie etwa Mensch, Bürger oder Katze sehen von bestimmten Eigenschaften wie Geschlecht, Herkunft oder Alter ab. Wer sagt „Das ist eine schöne Katze“, hat noch nichts darüber gesagt, ob es sich um eine männliche oder weibliche oder eine Wild- oder Hauskatze handelt.

Spricht man hingegen von männlichen und weiblichen Katzen oder von Wild- und Hauskatzen, bezieht man sich dabei auf Untergruppen von Katzen, die bestimmte Eigenschaften miteinander teilen. Dasselbe gilt, wenn man von Bürgern und Bürgerinnen spricht: Aus der Menge aller Bürger greift man damit zwei Teilmengen heraus, nämlich männliche und weibliche Bürger. Bürger, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, bleiben (zumindest im gesprochenen Deutsch) übrigens unberücksichtigt.

Im Unterschied dazu gilt: Wer im Sinn eines Genussbegriffs von Bürgern spricht, sieht dabei von Eigenschaften wie Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft ab. Er bezieht sich auf alle Individuen, die unter den Begriff des Bürgers fallen. Freilich kann man den Ausdruck Bürger auch so gebrauchen, dass man mit ihm nur die Teilmenge der männlichen Bürger herausgreift. Ob das der Fall ist, legt der Gebrauchskontext fest, und der ist so gut wie immer eindeutig. Freilich kann man auch von Bürgerinnen und Bürgern sprechen.

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Und wenn ich vor einer überschaubaren Gruppe von Bürgern spreche, kann es dafür auch gute Gründe geben. Fraglich ist allerdings, ob es nötig und sinnvoll ist, daraus ein Prinzip zu machen. Es ist mindestens insofern unnötig, als Bürger als generischer Ausdruck weibliche Bürger nicht nur mit meint, sondern von vornherein umfasst. Und es ist nur begrenzt sinnvoll, weil gegenderte Sprech- und Schreibweisen umständlich und, wie angedeutet, bisweilen ausschließend und willkürlich sind. Es fragt sich nämlich: Warum sollen gerade Geschlechtsunterschiede hervorgehoben werden, wenn es darum geht, das Denken der Menschen zu verändern? Müsste man in einem Land, in dem Farbige leben, die bisweilen diskriminiert werden, nicht auch von farbigen und nicht-farbigen Bürger:innen sprechen? Wo würde das hinführen, wenn man weitere Untergruppen mit berücksichtigt?

Eine Petition fordert zur Umkehr auf

Der Verein deutsche Sprache e. V. hat inzwischen eine Unterschriftenaktion gestartet. Die Dudenredaktion wird darin aufgefordert, die „Genderisierung des Dudens“ zurückzunehmen. Die Resonanz ist beachtlich: Fünf Tage nach der Veröffentlichung seines Aufrufs zur „Rettung der deutschen Sprache vor dem Duden“ verzeichnete die Petition bereits über 10 000 Unterstützer. Der Vorsitzende des Vereins, Prof. Walter Krämer, kommentiert: „Besonders freut mich der große Zuspruch aus den Universitäten“, aber „auch viele Journalisten, Schriftsteller und Verlagslektoren“ sprechen sich gegen das Projekt aus, den Duden in den Dienst geschlechtergerechter Spracherziehung zu stellen.

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Dominikus Kraschl Bundesverfassungsgericht Walter Krämer

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