Hoheit, was verbinden Sie persönlich mit der Krönung von King Charles III.?
1911 war mein Großvater, Leul Ras Kassa, der offizielle Vertreter des Kaisers bei der Krönung von George V., 1953 waren mein Vater, Leul Ras Asserate, und der Kronprinz die Repräsentanten des äthiopischen Kaisers bei der Krönung von Elisabeth II. Diesmal werden die Vertreter der unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten zur Krönungszeremonie eingeladen sein. Das ist gut so und hilft auch der Krone.
Ein bayerischer Königstreuer wurde einmal gefragt, wozu Bayern einen König brauche. Er antwortete, ins Hochdeutsche übersetzt: "Brauchen tun wir ihn nicht, aber schöner wär's." Warum finden viele Menschen eine Monarchie schöner und interessanter?
Ich denke, das hat damit zu tun, dass wir uns im Innersten unserer Seele nach einem menschlicheren Staat sehnen. Wir wollen uns mit der Staatsspitze identifizieren und Stolz empfinden. Walter Bagehot, ein großer englischer Essayist und Philosoph, hat gesagt: "Die Monarchie ist ein Mysterium." Gerade weil sie ein Mysterium ist, spricht sie eine Sehnsucht im Menschen an.
Großbritannien und sechs der 27 EU-Mitgliedstaaten sind Monarchien, aber keineswegs weniger demokratisch oder rechtsstaatlich als die übrigen Staaten Europas. Allerdings haben ihre Monarchen nur repräsentative Aufgaben. Sie können kaum noch, wie Kaiser Franz Joseph es wollte, ihre Völker vor ihren Regierungen schützen.
Viele Leute denken, Frankreich sei das erste Land gewesen, das einem gesalbten Herrscher den Kopf abschlug. Tatsächlich jedoch war es Großbritannien, wo Charles I. im Jahr 1649 enthauptet wurde. Nach der grässlichen Zeit von Oliver Cromwell hat der Sohn des Enthaupteten, Charles II., die erfolgreichste und unblutigste Revolution in Gang gesetzt, die Europa je sah: die "Glorious Revolution" von 1688. Die englischen Herrscher wussten seither, dass man Revolutionen nur durch Reformen bekämpfen kann. Nur mit Reformen von oben konnte man den Revolutionären von unten den Wind aus den Segeln nehmen. So hat die englische Krone überlebt! Als nach der Französischen Revolution viele Franzosen nach England kamen und vor dem drohenden Sturz der Monarchie warnten, lachten die Engländer: "Die Rechte, für die bei euch gekämpft wird, die gibt es bei uns schon seit hundert Jahren." Die Monarchie kann heute nur überleben, wenn sie sich völlig aus der Tagespolitik heraushält.
"Die Monarchie kann heute nur überleben,
wenn sie sich völlig aus der Tagespolitik heraushält"
Im Vereinigten Königreich geht das so weit, dass die Queen nur Thronreden verlas, die ihre Premierminister schrieben. Sie konnte auch den Brexit nicht verhindern.
Und das ist richtig, denn sonst würde sie nur die Hälfte ihrer Untertanen repräsentieren. Die andere Hälfte würde ihr nicht mehr folgen. Monarchien haben in der modernen Welt von heute nur den Sinn, die nationale Einheit zu symbolisieren und die Werte des jeweiligen Landes zu repräsentieren.
Ist der konstitutionelle Monarch dann noch ein Schutz gegen die Willkür einer reinen Mehrheit, gegen populistische Volkstribunen oder die Allmacht der Parteien?
Nein, das wohl nicht. Er kann den Premierminister allerdings beraten, denn er trifft ihn ja einmal in der Woche und kann seine Hilfe und seinen Rat anbieten.
Am Anfang wie am Ende ihrer Amtszeit war Queen Elisabeth II. jeder Kritik enthoben, doch dazwischen war das nicht immer so.
Zu keiner Zeit konnte man dieser Frau irgendetwas Ehrenrühriges vorwerfen. Nur einmal, nämlich beim Tod von Diana, gab es ein Problem, das sie allerdings - mit Hilfe von Tony Blair - rasch reparieren konnte.

In Mitteleuropa verstanden die Habsburger unter "Gottesgnadentum" vor allem, dass sich der Monarch vor Gott zu verantworten habe. Woher kommt dieser transzendentale Bezug und was bringt er?
Das ist auch ein Zeichen der Demut. Das Gottesgnadentum besagt, dass der Monarch ein Diener Gottes und Ihm gegenüber verantwortlich ist.
Gibt es im Vereinigten Königreich ein sakrales Verständnis der Monarchie?
Selbstverständlich, denn der König wird ja gesalbt. Diese Minute der Salbung ist der einzige Augenblick, bei dem keine Kameras dabei sein dürfen. Sie waren auch 1953 nicht dabei. Zu den Titeln des englischen Königs gehört zwar nicht mehr "Auserwählter Gottes", aber noch immer "Defensor fidei" (Verteidiger des Glaubens).
Für die britischen Medien ist Kritik am Königshaus gleichwohl längst nicht mehr tabu.
In dem Augenblick, in dem die Krone zugelassen hat, dass die Augen der Menschen durch die Medien alles sehen können, setzte ein Wandel ein: Einerseits sahen die Briten, dass es im Privatleben wenige Unterschiede zwischen ihnen und der Queen gibt. Dass ihre Königin das Abendessen vor dem Fernseher einnimmt, trug in einer sehr kritischen Zeit gewiss dazu bei, dass man sich mit der Queen identifizieren konnte. Aber damit wurde zugleich der Boden für eine totale Medienpräsenz gelegt. Am Ende musste deshalb ein Mitglied des Hauses sterben, weil sie eben auch eine Medien-Prinzessin war.
Großbritannien wird von vielen Zentrifugalkräften geplagt. Vor allem die Schotten streben nach Unabhängigkeit. Ist die Krone noch ein Faktor der Einheit?
Sie ist vielleicht die letzte diesbezügliche Kraft. Der König ist vor allem in Wales, dessen Sprache er erlernt hat, sehr beliebt. Seine Mutter und Großmutter liebten Schottland sehr. Wenn es jemanden gibt, der den Zerfall des Landes verhindern kann, dann König Charles III. Ich habe großen Respekt vor dem, was dieser Mann in seinem bisherigen Leben geleistet hat, etwa im Bereich des Umweltschutzes, wo er ein Pionier war. Er war nicht nur in der British Army, der Royal Navy und der Royal Air Force, sondern hat als einer der ersten seines Hauses ein Universitätsstudium absolviert. Dieser Mann ist zu einem Symbol geworden.
"Dieser Mann ist zu einem Symbol geworden"
Sie glauben also nicht, dass die Fußspuren der Queen für den neuen König zu groß sind?
Ich würde umgekehrt sagen, dass sie ihm den Weg gut vorbereitet hat. Wenn die Briten ihn besser kennenlernen, wenn sie aufhören, ihn nur als Exzentriker zu sehen, dann wird es gut gehen. Er wird aber wohl kein so angenehmer Beobachter sein wie die Queen, die zu keinem Zeitpunkt auch nur irgendeine politische Position bezogen hat. Ich hoffe nur, dass er genau weiß, wie weit er mit seinen politischen Aussagen gehen darf.
Wie rechtfertigt man die Privilegien und die Kosten für ein Königshaus, wenn andere demokratische Rechtsstaaten in Europa ganz gut ohne Monarchen auskommen?
Es wird immer Leute geben, die glauben, dass die Monarchie zu teuer sei. Sie wissen allerdings nicht, dass einige Präsidialdemokratien in Europa viel teurer sind. Vor allem, wenn man sieht, welche Einnahmen die Krone dem britischen Staat durch den Tourismus beschert. Ich denke nicht, dass ebenso viele Leute nach London kämen, wenn ein republikanischer Präsident im Buckingham Palace wohnen würde.
Sie selbst wuchsen als Prinz im kaiserlichen Äthiopien auf. Würde Ihr Vaterland zur Monarchie zurückkehren, wären Sie ein legitimer Thronanwärter. Wie geht es Ihnen mit dieser Rolle? Spüren Sie eine Verantwortung aus der Geschichte?
Ich spüre tatsächlich eine sehr große Verantwortung für Äthiopien und auch für mein eigenes Haus. Aber ich bin realistisch genug, zu wissen, dass man Monarchisten braucht, um eine Monarchie zu etablieren. In einem Land mit 120 Millionen Einwohnern, von denen 85 Prozent jünger als 25 Jahre sind, ist es illusorisch, über die Wiederkehr der Monarchie zu sprechen. Die Regime, die seit der Revolution von 1974 in Äthiopien herrschten, haben immer wieder versucht, das Image der Monarchie zu zerstören - um selbst in einem besseren Licht zu glänzen. So wurden in den Schulen unwahre Geschichten und viel Blödsinn gelehrt. Unter den Älteren, die die Kaiserzeit noch selbst erlebt haben, gibt es natürlich eine Nostalgie. Angesichts einer Inflation von über 60 Prozent fangen sie an, ihren Kindern von der guten alten Zeit zu erzählen. Der kaiserliche Kronrat und ich versuchen zu zeigen, was die Krone in der Vergangenheit für das Land und seine Kultur geleistet hat, und wie eng Kirche und Kaiserhaus zusammengearbeitet haben. Eines ist ganz klar: Die Monarchie war in Äthiopien nie so ethnozentrisch wie die Regierungen, die wir seit 30 Jahre haben.
Sie setzen sich aber unabhängig von jeder Idee einer Restauration der Monarchie für ihr Heimatland ein.
Das werde ich bis an mein Lebensende tun, auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, gegen Giganten zu kämpfen. Mein Vater sagte mir stets: "Du hast Privilegien und musst darum auch Verantwortung tragen für dein Land.
Asfa-Wossen Asserate, als kaiserlicher Prinz 1948 in Addis Abeba geboren, ist ein Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selasie und Urenkel von Kaiserin Menen. In Deutschland, wo er seit den 1970er Jahren lebt, wurde er durch seine Bücher über "Manieren" und "Deutsche Tugenden" berühmt.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.