„Wo aber keine Götter sind, da walten Gespenster“, schrieb einst der Poet, Bergwerksassessor und Philosoph Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, der am 2. Mai 1772 in Oberwiederstedt im Südharz das Licht der Welt erblickte. Als Novalis eroberte er sich die Bühne der Weltliteratur. Und schnell wurde der Genius der „Blauen Blume“ zum Inbegriff der Frühromantik. Ein Sphärenklang war sein Gedichtzyklus „Hymnen an die Nacht“, stellte er doch der prädominanten Vernunft die Nacht als das Unendliche und das Eigentliche gegenüber.
Nicht die Ratio ist das Ende aller weltlichen Geschicke, sondern erst durch den Tod Jesu am Kreuz lässt sich das Endliche besiegen, verwinden sich Leben und Tod zu einer mystischen Einheit an dessen Ursprung ein pantheistisch gedachtes göttliches Absolutes steht, das über jedweden endlichen Dualismus hinweg die Einheit von Geist und Natur im Universum garantiert. Der Poet ist es, der samt seiner Einbildungskraft eine neue Welt, eine bessere erschafft und samt seiner Kunst nach der Verwirklichung der unendlichen Idee im Endlichen strebt.
„Nur die Religion kann Europa wieder aufwecken und die Völker sichern,
und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit
sichtbar auf Erden ihr altes friedensstiftendes Amt installiren.“
Das Symbol der „Blauen Blume“ bleibt es, durch das Novalis jene Einheit zwischen den Menschen stiften und gegen den Weltenbrand in Stellung zu bringen sucht. Doch diese Einheit herzustellen, ist nicht mehr der Ort der Philosophie, sondern vermag einzig der progressiven Universalpoesie gelingen, wie Hardenberg mit Friedrich Schlegel betont. Nur die Kunst arbeitet sich am Endlichen ab, um die unendliche Weite und Erhabenheit des Göttlichen darzustellen. Und damit avanciert der Künstler zum Mittler innerhalb des Ästhetischen als dem weltgegebenen Ausdruck der geschöpflichen Welt wie Christus als Mittler zwischen dem Himmelreich und allem Irdischen. Harmonie bleibt das letzte Wort.
Dass nur Harmonie Glückseligkeit in die Herzen menschlicher Existenz zu schmieden vermag, ist sich der Dichter einer liebend-magisch wie zugleich mystisch an Jakob Böhme orientierten universalen Weltordnung gewiss. Denn: „Wo aber keine Götter sind, da walten Gespenster“. Und so nimmt es nicht Wunder, dass Novalis eine Erneuerung des Abendlandes aus dem Geist des Christentums fordert. In seiner Europarede, „Die Christenheit oder Europa“ von 1799, entwirft er seine Vision eines „poetischen Christentums“. Einst war Europa „ein christliches Land“. Doch diese Ordo ist zerbrochen, gebrochen durch Individualismus und Nationalismus.
Relativismus und Vernunft eine Spiritualität gegenüberstellen
Eine Wiederauferstehung aus dieser zerrütteten Einheit vermag nur durch eine sichtbare Kirche gelingen, die das Band zwischen Himmel und Erde neu stiftet und dem blanken Relativismus der triumphierend-rationalen, sich selbst vergöttlichten Vernunft eine neue Spiritualität gegenüberstellt. „Nur die Religion kann Europa wieder aufwecken und die Völker sichern, und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar auf Erden ihr altes friedensstiftendes Amt installiren.“ Anstelle von Kriegsrhetorik und Wettrüsten sollte der „Palmenzweig“ der Versöhnung stehen. Im Angesicht des Krieges in der Ukraine kann Novalis‘ Friedensbotschaft aktueller gar nicht sein.
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