Überfordert uns die Freiheit?

Kölner Dom: Klaus Maria Brandauer liest Dostojewski. Von Heinrich Wullhorst
Klaus Maria Brandauer liest Dostojewskis "Großinquisitor" im Kölner Dom.
Foto: Ast/Jürgens | „Der Kuss brennt ihm im Herzen“: Klaus Maria Brandauer liest Dostojewskis „Großinquisitor“ im Kölner Dom.

Eine der großartigsten Christusdarstellungen der Weltliteratur findet man in der Parabel „Der Großinquisitor“, die Fjodor Michailowitsch Dostojewski in sein Werk „Die Gebrüder Karamasow“ hineingeschrieben hat“, sagt der emeritierte Kölner Slawistik-Professor Bodo Zelinsky. Der österreichische Burgschauspieler Klaus Maria Brandauer brachte das Stück in seiner unnachahmlichen Art im Rahmen des Literaturevents LitCologne jetzt 1 500 Besuchern im vollbesetzten Kölner Dom zu Gehör. Ihm gelang es, seine Zuhörer in den Bann zu ziehen, sie mitten hineinzunehmen in die Geschichte. In ihr lässt der 1881 in St. Petersburg gestorbene Autor im fünften Kapitel seines Romans Jesus Christus noch einmal auf die Welt kommen. Im spanischen Sevilla des 16. Jahrhunderts wird er als Störer verhaftet und vor die Heilige Inquisition seiner eigenen Kirche gestellt. Der greise 90-jährige Kardinal, dem Dostojewski einen wortreichen anklagenden Monolog in den Mund legt, will nur eines, er will ihn auf dem Scheiterhaufen brennen sehen. Zu allem, was der Großinquisitor ihm vorwirft, schweigt Christus.

„In dem Stück wird die Christusliebe deutlich, die Dostojewski ihm entgegenbringt. Dabei hat er erst spät Gott gefunden“, beschreibt Professor Zelinsky. Als der Schriftsteller eingekerkert und später nach Sibirien verbannt wird, ist eine Ausgabe des Neuen Testaments, das ihm eine alte Frau zusteckt, der einzige Lesestoff, den er hat. Er spürt die Liebe Gottes in der Gestalt Jesu Christi und erkennt Gott „als Urgrund allen Seins“. Später entwickelt er daraus seine eigene narrative Theologie, in der er Gott in verschiedene fiktive Welten seiner Romane einbindet. Und immer wieder wird in seinen Texten deutlich, wie sehr sein Denken durch die Erkenntnis geprägt ist: „Es gibt nichts Größeres und Schöneres als den Heiland“, ergänzt Zelinsky. Dostojewski sehe Christus lebendig werden in den Bauern und Arbeitern seiner Zeit und nicht in den Hierarchien der Kirche.

Vordergründig geht es in der Parabel natürlich um Kirchenkritik. Es ist keine Anklage an Gott, sondern an die Machtstrukturen der Kirche. Im Kern der Geschichte befasst sich Dostojewski allerdings mit einem ganz anderen Thema: „Es geht darum, wie Menschen ihre Freiheit leben. Es geht darum, wie sie damit umgehen und darum, ob die Freiheit sie überfordert“, erklärt der Kirchenhistoriker Dominik Meiering. Deshalb ist der Kölner Generalvikar auch froh, dass das Domkapitel der Lesung dieses Textes im Hohen Dom zu Köln zugestimmt hat: „Der Dom ist ein wunderbarer Ort hierfür. Unsere Kirche steht für Freiheit und es ist unsere Aufgabe als Christen, diese Freiheit zu verkünden.“ Der Großinquisitor bei Dostojewski meint übrigens, dass die Menschen nicht mit der ihnen geschenkten Freiheit umgehen können. Christus habe sie ihnen zwar gebracht, ihnen dadurch aber eine sie ständig peinigende Last auferlegt. Deshalb würden die Menschen ihre Freiheit zurückgeben wollen und fordern: Versklavt uns wieder!

Für Dominik Meiering ist das Stück aus dem 19. Jahrhundert hochaktuell. „Der Großinquisitor stellt Fragen, die noch heute auf der Höhe der Zeit sind.“ Ein Blick in die Türkei zeige, dass noch heute Menschen offenbar bereit seien, sich klaglos und freiwillig einem Regime zu unterwerfen. „Sie lassen sich gleichsam versklaven, statt ihre Freiheit wahrzunehmen.“ Bei allen Diktaturen gehe es immer um die Frage, wie weit Menschen bereit sind, ihre Freiheit einer Ideologie oder dem Machtstreben Einzelner zu opfern. Und auch die Kirche muss sich den kritischen Fragen stellen, die im Raum stehen, weiß Meiering. Der Umgang mit der Freiheit der Menschen betreffe jede Institution und jeden, der Macht hat. Und genau um diese Themen Freiheit, Macht und Institution gehe es in Dostojewskis Parabel.

In dem Text setzt Christus der Macht des kraftvollen, zuweilen in der Sprache brutalen Dialogs, die Allmacht des Schweigens entgegen. Und redet sich der Großinquisitor auch noch so sehr in Rage, das Schweigen Christi hat deutlich mehr zu sagen. Er ist selbst das Wort und bedarf von daher keiner Rechtfertigungsrede. Seine Antwort ist die Tat. In der Domlesung gelingt es Brandauer, diesen Spannungsbogen bis zu diesem letzten Moment zu halten. Dem Wortschwall des Großinquisitors setzt Jesus einen Kuss entgegen. Er geht auf ihn zu, der ihn immer noch auf dem Scheiterhaufen brennen sehen will, und küsst ihn auf die „blutleeren welken Lippen“. In diesem Kuss zeigt sich die allverzeihende Liebe Gottes. Nach dem Kuss wird Jesus in die Freiheit entlassen. Dominik Meiering deutet das Ende der Parabel so: „Jesus ist weiterhin in der Welt gegenwärtig. Auch die Freiheit bleibt und sie wandert mitten unter uns umher.“ Das Handeln Jesu ist beeindruckend und nachhaltig, sicher nicht nur für den Großinquisitor. Über ihn schreibt Dostojewski am Schluss des Stückes: „Der Kuss brennt ihm im Herzen.“

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