Ein bloßer Blick in die Welt der Werbung lehrt: Alle Werbung ist aufs Unterscheidende aus. Am zu Bewerbenden wird das Besondere herausgestellt, das spezieller Wertschätzung würdig ist, wenn möglich ein Alleinstellungsmerkmal. Merkwürdig: Bemüht um Wertschätzung der Frauen – zumal auch seitens der Männer –, konzentriert sich der bisherige Feminismus auf Klagen gegen deren gesellschaftliche Unterlegenheit unter tatsächlich oder vermeintlich bevorzugte Männer. Einzig zur Sprache kommen so tatsächliche oder vermeintliche Stärken der Männer und erscheinen dann – als im Konkurrenzkampf zielführend – auch für Frauen erstrebenswert. Ein alternativer Feminismus müsste schlicht diesen Konkurrenzkampf entkrampfen und die Besonderheiten des Frauseins bewerben – mit Blick auch auf das Miteinander der Geschlechter. Denn angesichts ihres überragenden Alleinstellungsmerkmals Mutterschaft sind zahlreiche besondere Stärken der Frau gewiss beziehungs- und familienbezogen. Aber nicht minder nachgefragt auch in der Berufswelt und Gesellschaft. Herausforderung an eine feministische Avantgarde?
Keine Frage: Die von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts lebendige Frauenbewegung – in Frankreich seit 1880 vereinzelt schon als „feminisme“ bezeichnet – hat zahlreiche Hindernisse erfolgreich überwunden, die gesellschaftlicher Gleichberechtigung von Frau und Mann historisch im Wege standen, etwa Frauenwahlrecht, Universitätsstudium, selbstständiger beruflicher oder öffentlicher Werdegang.
Simone de Beauvoirs Klageruf von 1949 „On ne naît pas femme, on le devient“ (Man wird nicht als Frau geboren, man wird es) unterstellt ein autoritäres Mannsbild. Den anti-autoritären 1968ern passt das ins Feindbild. Deren sexuelle Revolution („Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“) wirkt als Stimulans auf die zweite Welle des Feminismus der 1970er Jahre, der allerdings Frauen weniger schützt als ausliefert (#MeeToo lässt grüßen!).
Traditionelle Wertschätzungen der Frau als Frau, gar als Mutter, stehen demnach ihrer „Emanzipation“ im Wege und treten zurück. Kinderkriegen, klassisch Alleinstellungsmerkmal Nr. 1 der Frau, bislang so selbstverständlich wie kaum vermeidlich, trifft auf die soeben marktfähig entwickelte chemische Verhütung (eine angesehene Philosophin schrieb „chemische Ausschaltung des Frauseins“). Bald wird – ergänzend bei Versagen – Abtreibung propagiert. Sie wiederum setzt zunehmend Schwangere unsäglichem Druck aus – sei es seitens der Zeuger oder in der eigenen Familie. Als Emanzipationserfolg taugt schließlich erst recht nicht – bei näherem Hinsehen oder -hören – das im Nachhinein häufige Leiden am post-abortion-Syndrom: ein unübersehbarer Hinweis übrigens auf das Personsein der Frau in der Ganzheit ihrer leibgeistigen Verfasstheit – als Subjekt unantastbarer Menschenwürde. Weniger abstrakt ausgedrückt: Abgesehen von Fällen handfest medizinischer Indikation bedeutet Schwangerschaftsabbruch nicht nur Tötung des Kindes, sondern auch – in der geläufigen Diskussion kaum beachtet – eine als korrekturbedürftig eingeschätzte natürlich weibliche Physiologie, die zum Wesen des Frauseins gehört.
Vom Schwangerschaftsabbruch handelt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.05.1993 über das Schwangeren- und Familienhilfegesetz von 1992. Die im Zweiten Senat beteiligte Richterin Karin Graßhof sprach von einer „juristischen Spagatübung zwischen Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit, zu der das Gericht sich gezwungen sah“. Das Problem habe darin bestanden, „dass effektiver Lebensschutz gewährleistet werden soll in der sozialen Wirklichkeit, wie sie sich nun einmal entwickelt hat“. Hatte diese „soziale Wirklichkeit“ dem BVerfG nicht das Verfassungsorgan Bundestag vorgegeben? Das zwiespältige Ergebnis laut Frau Graßhof: Rechtlich erlaubter Eingriff mit rechtswidrigem Erfolg. Um das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ist das Urteil sehr bemüht – selbst angesichts entgegenstehenden Selbstbestimmungsrechts der Schwangeren: „Hierzu zählt“, so das Urteil, „dass der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demnach rechtlich verboten ist.“ Allerdings räumt das Wort „grundsätzlich“ Ausnahmelagen ein, die es „von verfassungs wegen“ zulassen, die „Pflicht zum Austragen des Kindes“ aufzuheben. Genannt werden eine ernste Gefahr für das Leben der Frau oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Gesundheit (medizinische Indikation im engeren Sinn). Weitere Ausnahmelagen werden nicht präzisiert. Zusammenfassend heißt es: Wenn die Austragepflicht nicht zugemutet werden kann. Nähere Bestimmung bleibt dem Gesetzgeber überlassen. Der allerdings sträubt sich seitdem hartnäckig, auch nur der ihm vom BVerfG aufgegebenen Datenerfassung über die Wirkung des Urteils nachzukommen.
„Pflicht zum Austragen der Schwangerschaft“: ein hilfreicher oder sprachlich das Geschehen eher verschleiernder Begriff? Wer – oder je nachdem was – verpflichtet die Schwangere? Der Staat kann zu einer Handlung verpflichten oder auch zu deren Unterlassung. Von dieser Pflicht kann er dann auch dispensieren. Die Schwangere handelt aber nicht. Noch kann sie das weitere Austragen einfach unterlassen. Das Urteil stellt noch klar, „dass die Beteiligung der Frau an dem Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich nicht als Unterlassungsdelikt einzuordnen ist“. Ist also mit der Austragungspflicht vielleicht eine Achtungspflicht gemeint, die die weibliche Natur auferlegt – demnach eine Duldungspflicht? Diese Pflicht erfüllt ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs. Der ist eindeutig Handlung – zudem von Dritten, jedenfalls mit deren Hilfe. Die Austragungspflicht ist demnach Unterlassungspflicht des Abbruchs. Mit Blick auf die genannten Ausnahmelagen jenseits der Zumutbarkeitsgrenzen anerkennt und würdigt das Urteil eine „intensive, die Frau existenziell betreffende Pflicht zum Austragen und Gebären des Kindes“, die jedoch mitunter die Kompetenz staatlicher Rechtsordnung überschreite. Damit legt das BVerfG jedenfalls dem Gesetzgeber die Empfehlung ans Herz, die Schwangerschaft wertzuschätzen als wesensgemäßen Prozess weiblicher Selbstverwirklichung.
Die Botschaft der dritten Welle des Feminismus (ab circa 1989) lautet „Gender-Perspektive“: Gleichheit der Geschlechter. Sie verzichtet gänzlich auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Besondere Würdigung des Frauseins erübrigt sich. Das Wort Gender wurde auf der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking weltweit propagiert – ohne indes noch zu sagen, was genau gemeint ist. Das sogenannte „gender-mainstreaming“, regierungsamtlich längst nicht nur bei uns politische Querschnittaufgabe, entspricht wohl eher einer Strategie sanfter Einführung in und Gewöhnung an eine Sicht der Welt aus Gender-Perspektive.
Was meint die Gender-Ideologie wirklich? Warum auf Englisch? Auf der internationalen Konferenz im März 1995 in New York zur Vorbereitung der UN-Weltfrauenkonferenz im gleichen Jahr in Peking war plötzlich unentwegt von „gender“ die Rede. Kaum einer der Delegierten verstand den neuen Sinn des englischen Wortes, das zudem in kaum eine andere Sprache übersetzbar ist. Im Englischen wurde „gender“ (Geschlecht) ursprünglich, im Unterschied zu „sex“, womit eindeutig das biologische Geschlecht gemeint ist, für das grammatische Geschlecht (der–die–das) verwendet. Dann in speziellen Zirkeln auch zur Bezeichnung traditions-geprägter Männer- und Frauen-„Rollen“ in der Gesellschaft. In diesem Sinne nunmehr radikalisiert, dürften gewisse sprachliche Nebel durchaus gewollt gewesen sein.
Gender-Ideologie in Kürze: Historisch war die Unterscheidung der Geschlechter verbunden mit einer gesellschaftlich aufgedrängten Über- (Männer) und Unterordnung (Frauen). Die damit zugewiesenen kulturell-sozialen Rollen sind laut gender seit je künstlich ausgedachtes Konstrukt. Davon gilt es sich zu befreien. Alle Menschen sind gleich. Auf das biologische Geschlecht („sex“) kommt es nicht an. Es ist zufällig, die Leiblichkeit irrelevant. Moderne, selbstbestimmte Menschen bestimmen ihre Rolle als Mann oder Frau in der Gesellschaft selbst, somit auch über die eigene geschlechtliche Identität.
Ehe von gender die Rede war, ging es um Gleichberechtigung. Gleichberechtigung setzt Unterschiede voraus. Gleichheit schließt Unterschiede aus. Die gender-Ideologie leugnet die Verschiedenheit von Mann und Frau. Allerdings: Wir haben nicht einen Leib wie wir eine selbst ausgesuchte Brille oder Schuhe haben. Diese Verdrängung mag in einzelnen Köpfen eine Zeitlang gelingen – theoretisch und abstrakt. In der Wirklichkeit ist jede(r), Frau wie Mann, leib-seelische Einheit und Ganzheit – untrennbar (solange wir leben jedenfalls), je einzigartig. Und das meint Person und Subjekt der Menschenwürde.
Im Kampf um Gleichberechtigung – um Überwindung von Privilegien der Männer – hob der Feminismus die Verschiedenheit von Frau und Mann zwangsläufig hervor. Vorgebliche männliche Stärken wurden, wie gesagt, auch Frauen als nachahmenswert empfohlen. Die Schwäche des Feminismus der vergangenen zweiten Welle, von weiblichen Stärken kaum noch zu reden, hat auch die Gender-Perspektive nicht behoben. Ihr Gleichheitsfuror emanzipiert Frauen allenfalls von der Wirklichkeit – und programmiert damit wohl schon selbst den Verfall des Alt-Feminismus.
Für eine feministische Avantgarde, die die Besonderheiten des Frauseins bewirbt, stehen die Chancen gar nicht schlecht, wenn man an die vielen Frauen und Mütter denkt, die sich vom lautstarken Schlachtruf „Wir sind auch Männer!“ gar nicht angesprochen fühlen. Begleitet und unterstützt von ebenso zahlreichen Männern, schätzen sie ein ihnen vorbehaltenes Lebensglück in der Familie, wenngleich es auch berufliche Einsätze und gesellschaftliches Engagement keineswegs ausschließt, oft vielmehr spezifisch fruchtbar macht. Sie alle wahrten bislang große Stille. Familienmütter und Hausfrauen machte diese Stille zu öffentlich beliebten Opfern von Verunglimpfung und Hohn.
Stille birgt nicht selten Überzeugungskraft. Wahrheit kommt oft in der Stille erst ans Licht. Die gegenderte Geschlechtsidentität nimmt inzwischen Jürgen Habermas aufs Korn: „Eine Person ist Mann oder Frau, hat dieses oder jenes Geschlecht – und könnte das andere Geschlecht nicht annehmen, ohne zugleich eine andere Person zu werden“ (Die Zukunft der menschlichen Natur (...), Suhrkamp 2005, S. 146). Stütze liefern Jahrtausende Kultur. Schon um 250 vor Christus beschrieb das Geschlechterverhältnis der römische Jurist Herennius Modestinus: „Ehe ist die Vereinigung von Mann und Frau sowie Teilung des ganzen Lebens, gemäß sowohl göttlichem wie menschlichem Recht“ (in: Justinian, Digestae, XXIII, 2.1).