Geniale Paare

Trotz Widrigkeiten hatten sie ein harmonisches Familienleben

Die heiligen Eltern der Thérèse von Lisieux, Zélie und Louis Martin hatten fünf Töchter, die einer Berufung ins Ordensleben folgten.
Louis & Zelie Martin
Foto: Julian Kumar / imago | Louis und Zelie Martin, ein heiliges Paar, das jeweils selbst einer geistlichen Berufung folgen wollte und dann doch zu Eltern einer Heiligen und vier weiteren Berufungen wurde.

Heiligkeit liegt nicht in den Genen und ist keine Frage der Erziehung. Deshalb kann ein Heiliger durchaus unheilige Eltern haben. Wiederum kommen verlorene Söhne und Töchter in den besten Familien vor. In der Ehe der heiligen Zélie (1831–1877) und Louis Martin (1823–1894) hat sich ein pädagogisches Wunder ereignet. Ihre Töchter Marie, Pauline, Léonie, Celine und Thérèse folgten der Berufung zum Klosterleben. Vier traten in den Karmel von Lisieux ein. Léonie wurde Salesianerin. Beide Eltern waren Geschäftsleute. Zélie leitete einen Vertrieb für feine Spitzen aus Alençon,

„Er war ein Narr, unser Viel-Geliebter, da er auf Erden kam,
um Sünder zu Freunden zu machen, zu seinen Vertrauten, zu seinesgleichen“

Louis führte als Uhrmacher und Juwelier ein Geschäft. Als praktizierende Katholiken waren sie tief verwurzelt in einem kirchlichen Leben, das in Frankreich starken Gegenwind zu spüren bekam. Die Pariser Kommunarden ließen Erzbischof Georges Darboy (1813–1871) erschießen, Pilger aus Lourdes wurden bedrängt, Wallfahrten und Prozessionen gestört. Die Familie erfuhr durch die Einquartierung preußischer Soldaten die Auswirkungen des deutsch-französischen Krieges.

Was kann eine einzelne Familie den Wirren der Zeit entgegensetzen? Das Gebet und den Glauben, dass kein Schicksalsschlag jetzt und in Ewigkeit die Familienbande lösen kann. „Meine kleine Königin“ nannte der Vater seine jüngste Tochter Thérèse. Pauline war sein „Diamant“. Der Vater angelte gerne und fischte manchen dicken Karpfen für den Sonntagstisch. Die Mädchen besaßen eine ganze Menagerie: Blaue Wellensittiche, eine Seidenraupenzucht, ein Lämmchen und den Cockerspaniel Tom. Thérèse und Celine spielten im Kaminzimmer gerne mit dem Geschenk ihrer Amme – einem Hahn und einer Henne.

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Das Leben der Familie war kein Idyll - aber im Glauben zu bestehen

Das Haus in Lisieux verströmt noch immer jene Nestwärme eines harmonischen Familienlebens. Als ich vor Jahrzehnten das Museum mit meiner vierjährigen Tochter besuchte, war sie von den Spielsachen und der Freundlichkeit der Ordensschwester am Empfang so angetan, dass sie beschloss: „Papa, ich will auch berühmt oder heilig werden.“ Das Kindheitsbildnis der heiligen Thérèse von Lisieux hing über ihrem Bett. „Tout est grâce!“, war darauf zu lesen.

Das Leben der Familie Martin war kein Idyll. Aber Eltern und Kinder verfügten durch ihren Glauben über ein hohes Potenzial an Resilienz. Vier Kinder der Martins starben in sehr jungen Jahren. Der Tod aber hatte sie in Engel verwandelt. Das glaubten sie. So begleiteten die verewigten Geschwister den Alltag der Familie und wiesen voraus auf die himmlische Heimat. Denn die Welt ist bei aller Schönheit letztlich ein Ort der Verbannung, das Leben ein Exil. Durch die Berufe und die täglichen Herausforderungen waren beide Eltern sehr geerdet. Aber der Schatz ihres Glaubens lag im Himmel und nicht in den Schubladen des Juweliers. Von dort her floss ihnen jene Seelenstärke zu, mit der sie die Krisen ihres Lebens bewältigten.

Felsenfester Glaube an die Macht des Gebetes

Sie glaubten an die Macht des Gebetes, die so stark war, dass sie unerlöste Seelen befreien konnte. Auch sahen sie im Leiden keinen Widerspruch zur Güte Gottes. Alles kommt von Gott. Das Leiden werde dem Menschen zur Bewährung und inneren Stärkung geschickt, damit er darin über sich hinauswachse. In der Familie Martin herrschte eine lebendige Gesprächskultur. Alles wird kommuniziert. Selbst die feinsten Regungen der Seele. Die Tage der Mädchen sind ausgefüllt. Sie singen und lesen. Schon die Kleinsten üben sich im Zeichnen und Schreiben. Gedichte und eigene Gebete entstehen. Briefchen werden geschrieben.

Es gibt in dieser Kultur der offenen Seelen keine Geheimnisse. Alles wird mitgeteilt, auch in Tränen und Schweigen. In einem anderen Milieu wäre vielleicht aus diesen Schwestern das französische Gegenstück zu den Brontës geworden. „Wir sind größer als das ganze Weltall, eines Tages werden wir selbst ein göttliches Dasein führen. Die Cherubim im Himmel beneiden uns um unser Glück“, schreibt Thérèse in einem Brief an ihre Lieblingsschwester Céline. Pauline war die begabteste Schriftstellerin der Familie. Ohne sie gäbe es die Erinnerungen der heilige Thérèse nicht. Pauline ist auch die Adressatin jener Briefe ihrer Mutter, durch die wir einen beispiellosen Einblick in das Alltagsleben einer heiligen Familie gewinnen.

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Persönlicher und klarer Auftrag an die Gottesmutter

Marie und Pauline besuchten die Klosterschule der Salesianerinnen in Le Mans und wurden hier von ihrer Tante Marie-Dosithée unterrichtet. Als Eliteschülerin entsprach Pauline den hohen Erwartungen ihrer Mutter. Talent ist Gabe und daher eine Verpflichtung. Im Gegensatz zu ihren Schwestern war Léonie schwer zu führen. Sie hatte nicht nur eine leichte Lernbehinderung, sondern besaß jenen Geist des Widerspruchs, der ihrer ehrgeizigen Mutter das Leben schwer machte. „Ich weiß mir keinen Rat mehr mit ihr; sie macht nur, was sie will und wie sie es will“, schreibt Zélie Martin ihrer Tochter Paula. Damit nimmt sie ihr begabtestes Kind in die Pflicht.

Die sterbende Schwägerin und Nonne Marie-Dosithée bekommt sogar einen Auftrag für den Himmel: „Sobald Du im Paradies bist, gehe zur Muttergottes und sage ihr: ,Liebe Mutter, Du hast meiner Schwester einen ordentlichen Streich gespielt, als Du ihr die arme Léonie geschenkt hast. Um ein solches Kind hatte sie Dich nicht gebeten. Du musst die Sache wieder in Ordnung bringen.‘“ Den Himmel bestürmen, nennt man in der Familie diesen recht selbstbewussten Umgang mit der Muttergottes.

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Mit 15 Jahren spricht sie in Rom den Papst persönlich an

Wer anklopft, dem wird aufgetan. Das war die Erfahrung der Schwestern im Umgang mit ihrem Vater. Thérèse wird die große Meisterin der Beharrlichkeit. Als der Bischof aufgrund ihres jugendlichen Alters von fünfzehn Jahren den Eintritt in den Karmel verweigert, schließen sich der König und seine kleine Königin einer Pilgergruppe nach Rom an. Bei einer Audienz spricht Thérèse Papst Leo XIII. direkt an und trägt ihm ihre Bitte vor. Diese Unmittelbarkeit zeugt von hohem Selbstbewusstsein, aber auch von der Erfahrung, dass die Priester in diesen Tagen schwach geworden sind: „Retten wir vor allem die Seelen der Priester“, fordert Thérèse ihre Schwester Céline auf. „Diese Seelen müssten durchscheinender sein als Kristall. Ach, wie viele schlechte Priester, Priester, die nicht heilig genug sind. Beten wir, leiden wir für sie, und am Jüngsten Tag wird uns Jesus dankbar sein. Wir werden ihm Seelen darbieten!“

Im Jahr 1865 wurde bei der Mutter ein Brustkrebs diagnostiziert. Sie war nicht mehr in der Lage, ihre Kinder selbst zu stillen und musste sie der Amme Rose Taillé anvertrauen. Als Thérèse, ihr letztes Kind, geboren wurde, glaubte sie vergeblich an eine Heilung. So wurde Rose Taillé auch die Amme der späteren Kirchenlehrerin. Selbstverständlich wurden Spezialisten konsultiert. Unter ihnen waren Schönredner. Zélie vertraute dem Arzt, der die zunehmend aussichtslose Entwicklung des Krebses klar beim Namen benannte. Louis Martin hatte bereits eine Wallfahrt nach Lourdes unternommen, Wasser aus der Quelle mitgebracht und eigenhändig mit dem Hammer einen Stein aus der Grotte geschlagen. Nun pilgerte Zélie mit ihren ältesten Töchtern nach Lourdes. Die Reise wurde wegen zahlloser organisatorischer Pannen eine Katastrophe. Die Bäder zeigten keine Wirkung.

Sie lebt einen närrischen Glauben

Nach dem Tod der Mutter übernimmt Pauline die Erziehung ihrer kleinen Schwester und wird so ihre zweite Mutter. Dann erleidet der Vater zwei Schlaganfälle und muss in einem Pflegeheim untergebracht werden. Der Cockerspaniel Tom begleitet ihn. An seine Kinder kann er sich nicht mehr erinnern. Ist das die Belohnung für seine Liebe, Zärtlichkeit und sein tugendhaftes Leben? Wer so fragt, hat keinen Zugang zur Leidensmystik der Schwestern. „Gott hat ihm eine Prüfung geschickt, die seiner würdig war“, kommentiert Thérèse. Ist dieser Glaube nicht närrisch?

„Welches Glück, für Den zu leiden, der uns bis zur Torheit liebt, und in den Augen der Welt für verrückt zu gelten“, sagt die Heilige. „Er war ein Narr, unser Viel-Geliebter, da er auf Erden kam, um Sünder zu Freunden zu machen, zu seinen Vertrauten, zu seinesgleichen.“ Léonie hat sich zu diesen mystischen Höhen nicht aufschwingen können. Offenbar hatte die Muttergottes ihr eine andere Aufgabe zugedacht: Viele Eltern und ihre ungezogenen Nachkommen fanden Trost und neue Hoffnung an ihrem Grab. So wurde sie die Fürsprecherin der ADHS geplagten Kinder. Im Jahr 2015 wurde ihr Seligsprechungsprozess eröffnet.

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