Viel ist über Tolstois religiöse Wende im Jahr 1878 geschrieben und vor allem gelästert worden. Immer wieder wurde der „geniale Künstler“ gegen den „flachen Denker“ ausgespielt. Nicht wenige Zeitgenossen glaubten sogar, der berühmte Romanautor sei verrückt geworden. Dieser Zweiteilung hat Tolstoi selbst am meisten Vorschub geleistet. Er wurde nicht müde, die eigene Bekehrung öffentlich zu machen, die Nutzlosigkeit seines früheren Lebens zu verdammen und die erreichte Erkenntnisstufe zu preisen. Gerade die Verve, mit der Tolstoi sein bisheriges Werk verriss, muss aber misstrauisch machen.
Träume von der Seligkeit auf Erden
Auf der Suche nach der weltumfassenden Vernunftreligion – Heute vor hundert Jahren starb Leo Tolstoi. Von Ulrich Schmid
