Tagesposting: Die "Weiße Rose" in Oxford

Das „White Rose Project“ verbindet Übersetzungsübungen mit wissenschaftlichen Fragestellungen und einem Ausstellungskonzept, um die "Weiße Rose" einem englischsprachigen Publikum näher zu bringen. Von Alexandra Lloyd.
Tagesposting: Die „Weiße Rose“  in Oxford
Foto: Archiv | Die Autorin ist promovierte Literatur- und Filmwissenschaftlerin. Sie unterrichtet Germanistik an der Universität Oxford.

In Deutschland kennt eigentlich jeder die Weiße Rose. In England dagegen ist die Geschichte der Widerstandsgruppe, wenn überhaupt, nur bekannt, weil Marc Rothemunds Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ im Deutsch- oder Geschichtsunterricht gezeigt wurde. Das versuche ich mit einer Gruppe Studierender an der Universität Oxford zu ändern. Das „White Rose Project“ verbindet Übersetzungsübungen mit wissenschaftlichen Fragestellungen und einem Ausstellungskonzept, um diesen Aspekt der deutschen Geschichte einem englischsprachigen Publikum zu vermitteln. Am 12. Oktober 2018, auf den Tag genau 75 Jahren nach der Hinrichtung des letzten der sechs Hauptmitglieder der Gruppe, des katholischen Studenten Willi Graf, wurde unsere Ausstellung in der Bibliothek der Neuphilologie eröffnet. Die Bücher und Gegenstände in den sechs Vitrinen sollten unterschiedliche literarische, kulturelle und religiöse Einflüsse auf die „Weiße Rose“ beleuchten. Warum riskierten diese Menschen ihr Leben? Welche Motivationen steckten dahinter? Und allgemeiner gefragt: Wie kam man zu dem politischen und moralischen Entschluss, der Macht des Bösen zu widersprechen?

Das sind Fragen, die auch die StudentInnen bewegen. Fünfzehn von ihnen arbeiten momentan an einer neuen, kommentierten englischen Übersetzung der Flugblätter der „Weißen Rose“. Die meisten von ihnen studieren Germanistik, fast alle sind englische Muttersprachler. Für junge Menschen, die sich im Laufe des Studiums mit der deutschen Sprache und Literatur beschäftigen, sind die Flugblätter besonders faszinierend. Die Flugblätter zu übersetzen ist eine anspruchsvolle Aufgabe: die Sprachebenen wechseln, literarische, religiöse und philosophische Texte werden zitiert, die Worte sind eindringlich, fesselnd und kraftvoll. Mich hat besonders beeindruckt, wie die 19- bis 21-Jährigen den Stil und die Sprache der Flugblätter bewahren wollen. Als GermanistInnen sei es ihnen wichtig, dass ihre Übersetzungen etwas von der Originalsprache spürbar machten. Ich freue mich auf das Endprodukt (wenn man eine Übersetzung je als abgeschlossen bezeichnen kann).

Es gibt noch eine weitere Verbindung zwischen Oxford und der Weißen Rose. Im Mai 1942, als Sophie Scholls Verlobter Fritz Hartnagel an die Ostfront musste, gab sie ihm zwei Bände Predigten des Seligen (und in Zukunft Heiligen) John Henry Newman, der in einem Vorort Oxfords namens Littlemore in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche aufgenommen wurde. Für Fritz Hartnagel waren Newmans Worte wie „Tropfen kostbaren Weines“. Die Mitglieder der Weißen Rose waren Ausnahmegestalten, aber auch gleichzeitig normale Menschen. Sie lebten, liebten, lasen, beschwerten sich, machten Witze, feierten und trauerten. Es wurde schon einmal kritisch hinterfragt, was sie mit der Aktion wirklich erreichten. War das Ergebnis es wert, das Risiko einzugehen? Nichtsdestotrotz ist es aber möglich, ohne sie zu vergöttern, sich von diesen Menschen inspirieren zu lassen und viel über Mut, Gewissen und Glauben zu lernen.

 
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