Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft.“ Diesen Satz schrieb Dietrich Bonhoeffer in seinem zeitlos lesenswerten Büchlein „Gemeinsames Leben“. Wer es nicht gelernt habe, es mit sich selbst auszuhalten, so Bonhoeffer, der missbrauche die Gemeinschaft für seine eigenen egoistischen Ziele. Ganz ähnlich verurteilt der Ordensvater Benedikt, dessen Fest vor wenigen Tagen gefeiert wurde, die Angewohnheit mancher Mönche, sich herumzutreiben und sich in fremde Angelegenheiten zu mischen, als schweres Übel. „Habitare secum“, bei sich selbst wohnen, das solle ein Mönch lernen.
Immer einsamer und doch nie allein
Wir leben in eigenartigen Zeiten. Einerseits gibt es in der westlichen Welt mehr einsame Menschen als wohl je zuvor. Jedenfalls gab es noch nie so viele Singles und noch nie so viele alte Menschen, die allein oder einsam in einem Altenheim leben und oft auch leben müssen. Zugleich gab es noch nie eine Zeit, in der das Alleinsein so schwer zu finden war. Der Tourismus und die Sportbegeisterung hat auch Gebirgsregionen und ferne Inseln bevölkert. Das Summen eingehender SMS begleitet auch den Ruhesuchenden soweit das Mobilfunknetz reicht. Sitzt man tatsächlich einmal alleine in einem Raum, geht die Hand wie automatisch zur Fernbedienung, im Auto läuft das Radio. Überall Stimmen, überall Gesichter, überall Menschen.
Jeder Mensch kennt das Alleinsein. Es gibt Dinge, die kann man nur alleine tun. Auch wenn man gerne davonlaufen möchte: denken, Gewissensentscheidungen treffen und schließlich sterben muss jeder Mensch und er kann all das nicht an jemand anders delegieren. „Ja, ich leide. Doch leide ich auch gut?“, hat Thérese von Lisieux auf dem Sterbebett gefragt. Ja, ich bin manchmal alleine, doch lebe ich das Alleinsein auf gute Weise, so könnte man parallel fragen. Denn es gibt die Flucht vor dem Alleinsein. Das Sich-Betäuben. Mancher Mensch stopft suchthaft Sozialkontakte in die Löcher seines Selbst. Jene Löcher, die auf die tiefere Einsamkeit des Herzens hinweisen. Jene Einsamkeit, in der das Geschöpf sich nach dem Schöpfer sehnt. „Meine Seele dürstet nach dir“, betet David im Psalm 63. Und man fragt sich, ob er eigentlich so gebetet hätte, wenn er seine Sehnsucht mit drei Folgen Netflix und zwei Flaschen Bier übertüncht hätte. Oder irgendwen eingeladen hätte.
„Es gibt keine tiefe
Gemeinschaft ohne Alleinsein“
Ein Alleinsein, in dem der Mensch Verantwortung für sich selbst übernimmt und sich den großen Fragen des Lebens stellt. Es sind solche Zeiten, in denen neue Ideen und manchmal gar große Berufungen wachsen können. Nicht umsonst berichten biblische Geschichten wie jene von Mose oder Jesus von den Zeiten in der Wüste, der Vorbereitung im Verborgenen, die dem öffentlichen Wirken vorausgingen. Die atemberaubende Geschwindigkeit der heutigen Welt und die Menge der auf uns einströmenden Reize wirken wie eine Droge. Wer schon einmal probiert hat, für einige Tage auf das Handy und Medien zu verzichten und alleine zu sein: das kann sich anfühlen wie kalter Entzug. Doch danach kommt das Leben wieder, die Farben kehren zurück und das Denken wird tiefer. Es gibt keine tiefe Gemeinschaft ohne Alleinsein. Das trifft auch auf die Beziehung zu Gott zu. Dieser Sommer könnte dafür ein paar Gelegenheiten bieten.
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