„Smart City“ heißt das Zauberwort

In einem Bezirk von Toronto wird auf einem 50 000 Quadratmeter großen Areal die Stadt der Zukunft errichtet Von Burkhardt Gorissen

Intelligente Technologien werden unseren Alltag in Zukunft zunehmend bestimmen. Die digitale Stadt ist keine Utopie mehr. Die amerikanische Alphabet-Holding will in einem Stadtviertel von Toronto erstmalig ein futuristisches Städtebauprojekt unter Laborbedingungen testen.

Der Konzern verdient vor allem seine Milliarden mit Google. Zukunftsweisender sind allerdings die Tochtergesellschaften, wie „Nest“ (Herstellung von Überwachungskameras), Calico (Gentechnik), Verily Life Science (Biowissenschaften) oder Waymo (selbstfahrende Autos). Ebenfalls mit futuristischen Zielsetzungen beschäftigt sich die Alphabet-Tochter Sidewalk Labs. Ihre Pläne zielen darauf ab, Städte zu universellen Technologie-Oasen umzugestalten.

„Smart City“ heißt das Zauberwort, die „intelligente Stadt“, eigentlich ein Sammelbegriff für gesamtheitliche Entwicklungskonzepte. Die totale Digitalisierung soll das Leben effektiver und angenehmer gestalten. In Waterfront, einem Stadtbezirk von Toronto, hat die Zukunft jetzt begonnen. Sidewalk Labs errichtet auf einem 50 000 Quadratmeter großen Areal am Hafen die Stadt der Zukunft. Unter großem Beifall wurde das Projekt auf einer Pressekonferenz im Beisein von Kanadas Premier Justin Trudeau vorgestellt. Für die Entwicklung des neuen Stadtteils namens „Quayside“ stellt Sidewalk Labs 50 Millionen Dollar zur Verfügung.

Allerdings dürfte die Umsetzung des ambitionierten Projekts einen Milliardenbetrag verschlingen. Schließlich befindet sich neben Quayside ein mehr als drei Quadratkilometer großes Grundstück, das sich für die Erweiterung des Projektes eignet. Manche träumen von einem Silicon Valley des Nordens. Trudeau jedenfalls äußerte sich zuversichtlich, dass in Toronto ein zukunftsweisendes Lebens- und Arbeitsumfeld für Zehntausende geschaffen werde. Wie Torontos digitale Neustadt aussehen soll, verrät Sidewalk Labs in einem 200 Seiten starken Dokument. Die bisherige Erfahrung zeigt, der größte gesellschaftliche Nutzen entsteht, sobald statt ambitionierter Einzelprojekte ein schlüssiges Gesamtkonzept verfolgt wird. Quayside soll deshalb von „digitaler Infrastruktur“ und „allgegenwärtiger Vernetzung“ geprägt sein. Im Kontext mit Smart City bedeutet das, die künftigen Herausforderungen wissenschaftlich zu managen. Smart Economy, Smart Mobility, Smart Data und Smart People sind Begriffe, die einer beispiellosen Umwälzung in der Menschheitsgeschichte einen Namen geben. Die Propheten des Smart-City-Engineering verkünden vollmundig, Dank eines spektakulären Feuerwerks technischer Neuentwicklungen seien die derzeitigen Probleme der Metropolen lösbar. Sidewalk Labs prognostiziert, das weniger als 20 Prozent der künftigen Quayside-Bewohner ein eigenes Auto haben. Stattdessen dienen autonome Taxis zur Fortbewegung. Sensortechnik leitet sämtliche Verkehrsinformationen in Echtzeit an ein Kontrollzentrum, von wo aus die Regelung des Verkehrsflusses optimiert wird. Nicht nur der Fahrverkehr wird vollends automatisiert, Roboter sollen nach den Vorstellungen von Sidewalk Labs nicht nur oberirdisch ihre Dienste leisten, sondern auch unter der Erde. Um den Müll, gerade ein Problem in Mega-Cities, kümmert sich in Zukunft ein Netzwerk von Robotern in unterirdischen Tunneln.

Die intelligente Stadt der Zukunft verfolgt eine nachhaltige Politik in Bezug auf Zusammenleben, Mobilität und Ressourcen-Management. Und selbstverständlich hat sie eine intelligente Verwaltung. Überlastete Ämter gehören der vordigitalen Zeit an. Anträge stellen und Dokumente einreichen, alles erfolgt digital. Selbst Einkäufe sollen rollende Roboter übernehmen. Vielleicht sogar auf einem eigenen Fahrstreifen.

Ein wichtiges Element sieht die Alphabet-Holding in der Stadtplanung. Jede Immobilie soll flexibel als Büro-, Gewerbe- oder Wohnflächen nutzbar sein. Vonseiten des Konzerns wird betont, der digitalisierte Distrikt sei keine High-Tech-Enklave für wohlhabende Nerds. Jedenfalls verlautbarten das Daniel Doctoroff, Vorstandsvorsitzender von Sidewalk Labs, und Eric Schmidt, Verwaltungsratschef von Alphabet, in einem Beitrag für die kanadische „The Globe and Mail“. Ein Drittel der Wohnfläche soll demnach für Einkommensschwache zur Verfügung stehen. Unklar bleibt einstweilen, welches Geschäftsmodell Sidewalk Labs verfolgt. Der Google-Trust macht seine Milliarden vor allem mit Werbung, die sich aus der Auswertung von Daten ergibt. Quayside, soviel ist gewiss, wird eine Unmenge Daten liefern. Wer garantiert, dass sie sicher sind? Bei einem Missbrauch wäre der Weg nach „Orwell City“ nicht mehr weit.

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