Vernetzt sind wir seit langem, verchippt noch nicht ganz. Das könnte sich bald ändern. Dem reiskorngroßen RFID-Chip gehört die Zukunft, jedenfalls wenn es nach der Firma Applied Digital Solutions aus Palm Beach geht. Diese präsentierte schon im Jahr 2000 einen Prototypen dieses kleinen Wunderwerks der Technik, auf dem alle persönlichen Daten abgespeichert sein sollen. Sofort stiegen zahlreiche US-Krankenhäuser zu Testzwecken ein.
Auch eine Diskothek in Barcelona startete ein Pilotprojekt mit Digital Angel, so der Name des Chips. Die Technologie ist im Prinzip nichts Neues. RFID ist das Kürzel für Radio Frequency Identification, übersetzt: Identifizierung mit Hilfe elektromagnetischer Wellen. Schon lange ist diese Technologie durch Smartphones und Kreditkarten bekannt. Speicherbar ist nahezu alles, Adresse, Kontodaten, Medikamente, Blutgruppe, Arztbesuche, Krankheiten, Versicherungen und sämtliche Daten vom Arbeitsplatz oder aus dem Privatleben. Jeder Herzschlag wird gemessen, jeder Atemzug gezählt.
Das kleine Zauberkorn, auf dem die ganze Welt gespeichert ist, befindet sich in einem reiskorngroßen biokompatiblen Glaszylinder und wird mit einer Hohlnadel unter die erste Hautschicht zwischen Daumen und Zeigefinger geschoben. Dieser Eingriff dauert nur wenige Minuten. Für Piercing- oder Tattoo-Erfahrene ein Kinderspiel. Nachdem die Hautstelle desinfiziert ist, wird die Haut nach oben gezogen und die Spritze angesetzt. Mit einem Stoß wird der Chip platziert. Der Schmerz ist nicht mal so wahrnehmbar wie bei einem Mückenstich. Normalerweise fließt nicht einmal Blut, und jucken tut's auch nicht. Warum also Angst haben?
Außerhalb von Deutschland wird die Technik längst in großem Stil angewendet. Im schwedischen Malmö probiert man sie in einem Modellversuch mit dem euphemistischen Namen Bio pay aus. Nie war bargeldloser Geldverkehr einfacher. Der Endverbraucher muss nur noch seine Hand auf ein Lesegerät legen, schon ist das Geld von seiner Hand unsichtbar in eine imaginäre Kasse gewandert. Auch manche Unternehmen möchten ihren Angestellten zukünftig unter die Haut gehen. Der Three Square Market ist das erste US-Unternehmen, das seinen Mitarbeitern Chips unter die Haut implantieren lässt. Die Firma betreibt Selbstbedienungsläden und Kioske für Mitarbeiter und beliefert Gefängnisse. Da ist Mitmachen Pflicht. Selbst wenn es einen Betriebsrat gäbe, Widerspruch wäre zwecklos. „Be different. Feel like a machine. Ihr Bodyupgrade mit einem X2 NFC Implantat. Mit diesem Chip Implantat erweitern Sie Ihre Fähigkeiten und werden zum Cyborg“, verspricht die Firma I am ROBOT. Wer möchte da nicht, wenigstens vorübergehend, mal mitmachen? Alle menschlichen Begrenzungen wie Müdigkeit und Erschöpfung, große und kleine Wehwehchen scheinen überwunden werden zu können. Dementsprechend verteidigen sich die kryptischen Technokraten, die auf binnenkörperliche Technologieimplantate schwören, dass die Verschmelzung von Mensch und Maschine ja längst medizinischer Alltag sei: Herzschrittmacher, künstliche Gliedmaßen, komplexe Prothesen oder Implantate in Auge und Ohr. „Ungefähr zehn Prozent der aktuellen Bevölkerung der USA sind vermutlich im technischen Sinn Cyborgs“, schreibt N. Katherine Hayles im „Cyborg Handbook“.
Dass der nächste Entwicklungsschritt der Elektronik tiefer in den menschlichen Körper führt, ist naheliegend. In den USA gibt es mittlerweile zahlreiche Institute, die diesen Schritt, also den Transhumanismus, fördern, wie etwa das Foresight Institute, Humanity+, Extorpy Institute oder das Machine Intelligence Research Institute. Patrick Kramer, Firmengründer der Firma Digiwell schwärmt: „Wir sind fasziniert vom Internet der Dinge, und uns leitet die Vision, dass der Mensch ein Teil dieses Internets wird. Schon in zehn bis 15 Jahren sind tausendfach leistungsfähigere Gehirne möglich, wenn man Implantate am Cortex anbringt.“ Die Wissenschaft tut ihr Bestes, die Unternehmen auch. So forschen Google und Samsung an smarten Kontaktlinsen, die über „Augmented-Reality-Features“ und medizinische Anwendungsmöglichkeiten verfügen, etwa das Messen des Blutzuckers von Diabetikern. Über eine integrierte Antenne funkt die Linse entsprechende Daten an das Smartphone.
Gerade im medizinischen Bereich gibt es eine Vielzahl von Entwicklungen, die eine transhumanistische Veränderung der Gesellschaft ahnen, wenn nicht bereits erkennen lassen. Gehirn-Implantate zum Beispiel sind über Sensoren oder Elektroden in der Lage, Aktivitäten des Gehirns zu überwachen und Prozesse im neuronalen Netzwerk zu stimulieren oder zu blockieren. Damit sollen in Zukunft neurologische Krankheiten wie Parkinson oder durch Schlaganfälle verursachte Gehirnschäden behandelt werden. Doch die Forscher streben nach mehr. Stefan Lorenz Sorgner, Experte für Post- und Transhumanismus-Themen, nennt als Ziel ganz offen die Cyborgisierung der Menschheit, mehr noch: „Alle Transhumanisten streben die Unsterblichkeit an.“ Hybris? Ja, doch damit eigentlich nur eine Überheblichkeit alter Schule.
Und tatsächlich: Der Begriff Transhumanismus wurde bereits um 1930 durch den britischen Biologen Julian Huxley geprägt. Huxley war ein herausragender Vertreter der Eugenik und befürwortete vehement die „Züchtung besserer Menschen“. Ein Label, das sich zur gleichen Zeit auch Kommunisten und Nationalsozialisten verpassten. Letztere pervertierten das vermeintlich hohe Ziel durch Zwangssterilisationen, erzwungene Abtreibungen und der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Passend zu Julian Huxleys Ideologie für die neue Weltordnung schrieb sein Bruder Aldous den bekannten Roman „Schöne neue Welt“. Was vor Generationen als Dystopie verstanden wurde, liest sich heute wie ein negativer Werbespot.
Es liegt auf der Hand, wer Cyborgs am Fließband klont, muss die totale Geburtenkontrolle einführen. Damit geht einher die völlige „Umwertung aller Werte“ (Nietzsche), gleichbedeutend mit einer Zerstörung christlicher Tugendlehre. In der rigiden Forderung nach einer „neuen Ethik“ reichen sich Trans- und Posthumanisten die Hand. Da klingt es fast bedrohlich logisch, wenn der australische Philosoph Peter Singer fordert: „Die Tötung eines behinderten Säuglings ist nicht moralisch gleichbedeutend mit der Tötung einer Person. Sehr oft ist sie überhaupt kein Unrecht.“
Bemerkenswert ist, dass Denker wie Singer vor allem gegen das Christentum opponieren: Die christliche Lehre habe, so Singer, viele Menschen dazu bewegt, sich als „Krönung der Schöpfung“ zu verstehen. Das reicht offenbar nicht. Ein Geschöpf schuldet dem Schöpfer gegenüber schließlich Dank und Demut, Achtung vor dem Leben. Transhumanisten können sich Kindestötungen bis zu einem Monat nach der Geburt unter bestimmten Voraussetzungen als moralisch erlaubt vorstellen. Ansichten, bei denen im durch die Vergangenheit des Nazi-Terrors sensibilisierten Deutschland die Alarmglocken klingeln sollten.
Natasha Vita-More, optimierte Muse der Transhumanz-Bewegung, erklärt die Zurückhaltung der Deutschen in Bezug auf den Transhumanismus denn auch mit den Erfahrungen des Nationalsozialismus. Tatsächlich kann man fragen, ob sich hinter dem totalen Technikglauben die Rückkehr des Faschismus verbirgt: In der Cyberwelt der Zukunft, so scheint es, reichen sich Manipulations- und Kontrollwahn die Hand. Der Mensch hat zu funktionieren, ob als Apparatschik in der Stalin-Zeit oder Übermensch bei den Nazis. Auch der cyborg-gewordene Mensch wird nur nach den Maßgaben der Technikdiktatur seine Existenz fristen dürfen. Schließlich fußen alle Diktaturen auf Grundlage der Angst. Widerspruch wird sanktioniert. Darin erkennt der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das Kernproblem. Schon um die Jahrtausendwende verfasste er die Studie „Das Ende des Menschen“. Er schlussfolgert, wenn wir die Essenz unseres Menschseins aufgeben, zerfällt unsere Gesellschaft unter einem System wissenschaftlichen Terrors. Nicht zuletzt deshalb bezeichnet Fukuyama den Transhumanismus als die gefährlichste Ideologie der Welt. Transhumanist Ray Kurzweil sieht das „naturgemäß“ anders. Der US-Pate der Bewegung prognostiziert, in spätestens 30 Jahren werde das menschliche Gehirn eingescannt, auf einen Computer hochgeladen und simuliert. Der Geist sozusagen ein Software-Produkt, vom biologischen Verfall befreit. Alle Menschen haben laut Kurzweil & Co. die „moralische Pflicht, ihr Erbgut so zu verändern, dass künftige Generationen über einen leistungsfähigeren, weniger krankheitsanfälligen Körper verfügen“.
Ohne Gott laufen solche Projekte ins Leere
Der Transhumanismus als neue Religion der Atheisten? Es geht ja, wie die Zielmarke „Unsterblichkeit“ zeigt, im weitesten Sinne um Glauben – nur ohne Gott und die Seele. Die transhumane Spiritualität gleicht am ehesten wohl dem „Abrakadabra“ der Renaissance-Alchemisten, die Blei zu Gold wandeln wollten, und danach strebten, Menschen zu machen. Was auf leisen Sohlen als kuschelige Idee technikgläubiger Nerds daherkommt, fußt auf ähnlichem geistigem Terrain.
Roboter verrichten die Arbeiten, Entscheidungen werden von Elektronikgehirnen getroffen. Der Mensch entwickelt sich zu einer Synthese von Mensch und Maschine, die in prometheischen Fantasien wie „Frankenstein“ oder „Der Golem“ beschrieben wurden. Aber Frankenstein scheiterte und der Golem des Kabbalisten Rabbi Löw zerfiel in klumpigen Lehm. Von daher besteht kein Grund zu Beunruhigung. All diese Projekte scheiterten an der fehlenden Zusage Gottes. Das wird sich in Zukunft nicht ändern.