Katholiken haben es nicht einfach. In Deutschland ist das übrigens seit langem schon so. Seit dem Kulturkampf wurden sie immer wieder angefeindet, im Nationalsozialismus verfolgt, aber auch in den vergangenen Jahrzehnten stehen sie am Pranger als diejenigen, die nicht mit der Zeit gehen, die sich einbilden, Sexualität noch mit einer Moral begleiten zu müssen, mit einem Wort, die hoffnungslos veraltet sind. Man muss allerdings darüber nicht lamentieren, denn Jesus hat den Christen schon im Neuen Testament nicht den Beifall der Menge vorausgesagt. Und doch gibt es in jüngster Zeit ein psychologisches Problem. Die Gewöhnung daran, immer die Angegriffenen zu sein, lässt manche Katholiken – psychologisch, gar nicht inhaltlich – spontane Solidarität mit anderen Menschen empfinden, die auch von „den“ Medien angegriffen werden.
Das gilt schon im politischen Bereich. In der Ära Angela Merkel war es für viele Katholiken schwer, noch eine politische Heimat zu finden. Angela Merkel trennte sich mit ihrer radikal pragmatischen Politik nach und nach von zahlreichen Positionen, die solche Katholiken wichtig fanden. Sie erklärte dann ihre entsprechenden Aktionen mit Vorliebe für „alternativlos“. Fast war es da schon rein sprachlich logisch, dass sich dagegen eine „Alternative für Deutschland“ gründete. Kein Wunder auch, dass sich gegen diese politische Bewegung sofort das „Merkel-Lager“ stellte, was immer das im Einzelnen – politisch, medial, gesellschaftlich – war.
„Nun sahen sich Katholiken, die – politisch heimatlos –
einer ebenso wie sie selber verfolgten Gruppe Beistand leisten wollten,
plötzlich absurderweise an der Seite von Nationalisten“
In weiten Kreisen galt es jedenfalls von vornherein als alternativlos, gegen die Alternative für Deutschland zu sein, auch wenn die Gründergeneration dieser Partei keineswegs rechtsradikal war, sondern eher aus politisch naiven Ökonomen bestand, die geld- und wirtschaftspolitisch Alternativen zur Merkelschen Politik einfordern wollten. Sie hatten damit keinen Erfolg, obwohl sie zum Sprung über die 5-Prozent-Hürde den von ihnen später selber bereuten Fehler begingen, gewisse Nationalisten und Rechtsausleger nicht abzuweisen. Fatalerweise nahm diese Partei aber eben nicht mit der Euro-Krise sondern erst mit der Flüchtlingskrise Fahrt auf. Diese Krise hatte jedoch mit den geldpolitischen Erwägungen der Gründungsphase überhaupt nichts zu tun. Doch sie spielte nun dem nationalistischen Lager, das man ursprünglich wohl nur zum Stimmenfang nutzen wollte, in die Karten. Nun sahen sich Katholiken, die – politisch heimatlos – einer ebenso wie sie selber verfolgten Gruppe Beistand leisten wollten, plötzlich absurderweise an der Seite von Nationalisten.
Dabei waren es doch gerade die Nationalisten, gegen die Katholiken 200 Jahre lang immer wieder gekämpft hatten und dafür als „ultramontan“ beschimpft worden waren, als „vaterlandslose Gesellen“, die ihr Oberhaupt nicht in Berlin, sondern jenseits der Alpen in Rom hatten. Beim Umgang mit der Corona-Krise und dem Impfen zeigt sich dasselbe psychologische Phänomen. Zwar kommen coronaleugnende Verschwörungstheoretiker offenbar eher aus dem südwestdeutschen Raum, wo immer schon auch andere Sekten, esoterische Abwegigkeiten und radikale Kleingruppen blühten, wo Natur- und Gesundheitsgurus ihre Anhänger fanden und Katholiken, die gegen dieses ganze Gelichter waren, einen schweren Stand hatten. Doch psychologisch fühlten sich manche dennoch Coronaleugnern und irrationalen Impfgegnern nahe, wenn sie mit der gleichen Heftigkeit von denselben Leuten angegriffen wurden, die die eigenen katholischen Positionen jahrzehntelange der Lächerlichkeit preisgegeben und öffentlich an den Pranger gestellt hatten.
Solidarisch mit Impfgegner, nur weil man psychologisch nahe stehen will
So findet man jetzt absurderweise auch Katholiken an der Seite von Impfgegnern, nur weil man sich denen psychologisch nahe fühlt, obwohl von der Sache her gerade Katholiken nichts mit sektenartiger Irrationalität zu schaffen haben. Papst Benedikt hat immer wieder für die Rationalität des Glaubens und des Gläubigen plädiert, hat sich natürlich selber impfen lassen und auch die Glaubenskongregation, der man bei ihrer letzten Stellungnahme zur Segnung von homosexuellen Paaren nun wirklich keine Zeitgeisthörigkeit vorwerfen kann, hat klar und eindeutig für eine Impfung mit den derzeit verfügbaren Impfstoffen plädiert. Sich impfen lassen ist damit für Katholiken verantwortbar und aus meiner Sicht als Arzt und Theologe sogar verpflichtend, denn man schützt damit nicht nur die eigene Gesundheit, wozu man verpflichtet ist, sondern auch die Gesundheit anderer, wozu man als Christ ebenso verpflichtet ist. Natürlich muss man Katholiken, die das anders sehen, weil sie falsch informiert oder in jene psychologischen Fallen geraten sind, mit Respekt begegnen. Aber sagen, dass man da anderer Meinung ist, muss man – aus Respekt – auch.
Der Autor ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und katholischer Theologe, er wurde vom heiligen Papst Johannes Paul II. in die Päpstliche Akademie für das Leben und in deren Direktorium berufen und ist bis heute dort ordentliches Mitglied.
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