Zu Recht verweist Raphael E. Bexten in seiner Einleitung darauf, dass die Frage nach dem menschlichen Personsein eine der wenigen großen und immer aktuellen Fragen der Menschheit war. Wie Max Scheler ist er der Überzeugung, dass sich alle zentralen Probleme der Philosophie auf die Frage zurückführen lassen, was der Mensch sei. Und wie Scheler erhebt Bexten, der Philosophie und Theologie studiert hat, deshalb von vornherein nicht den Anspruch, das Mysterium des menschlichen Personseins zu entschleiern. Ihm geht es vielmehr darum, dieses Geheimnis im Licht der natürlichen Vernunft reflektierend zu beleuchten. Und das ist ihm gelungen. Im Mittelpunkt stehen nicht philosophiegeschichtliche Erörterungen des Personbegriffs, sondern eine systematische Grundfrage.
Die Arbeit ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil widmet er sich der Einführung in inhaltlicher und methodischer Hinsicht, präsentiert die Grundthesen seiner Arbeit, die er verteidigen will, und gibt einen thematischen Überblick über die ganze Arbeit und ihre Schwerpunkte. Im zweiten Teil erörtert er die verschiedenen Personbegriffe und stellt sich die Frage, ob es einen adäquaten Personbegriff gibt. Um diese Frage zu klären geht er detailliert auf die verschiedenen Personbegriffe ein, um Äquivokationen zu vermeiden. Er behandelt die Personbegriffe etwa von Robert Spaemann, John Locke, David Hume, Josef Seifert, Sören Kierkegaard, Peter Singer, Thomas von Aquin, Aristoteles und Max Scheler. Im dritten Teil der Arbeit wird dann die Hauptfrage „Was ist menschliches Personsein?“ thematisiert und nach möglichen Antworten auf diese schwierige Frage gesucht. Er geht davon aus, dass die eine Grundwirklichkeitsform der menschlichen Person drei unterschiedliche Dimensionen besitzt, die sich in zeitlicher Hinsicht im Leben der einen menschlichen Person unterscheiden können. Die erste Dimension der Grundwirklichkeitsform ist das noch nicht bewusste oder erwachte menschliche Personsein. Die zweite Dimension der Grundwirklichkeitsform ist das rational-affektiv-bewusste und voluntativ-frei Sein und die dritte Dimension ist das qualitativ vervollkommnete oder abgewertete Sein der menschlichen Person. Im vierten und letzten Teil thematisiert er dann das Phänomen der Personvergessenheit in der heutigen Zeit und deren Konsequenz für das individuell-sittliche und das gesellschaftliche Leben. In dieser erhellenden systematischen Untersuchung zum menschlichen Personsein zeigt Bexten in einer detaillierten Analyse, dass ein adäquater Personbegriff sich nur substanzontologisch-relational begründen lässt, da nur ein solcher Personbegriff dem An-sich-Sein der menschlichen Person am besten gerecht wird. Es gibt nach Bexten nur „eine urphänomenale Grundwirklichkeitsform menschlichen Personseins, die auf nichts anderes, als sie selbst es ist, reduziert werden kann“. Es kann demzufolge keine Person geben, die a) keine geistige Substanz ist, die b) nicht ontologisch eine unverlierbare objektive Würde besitzt, die c) nicht ontologisch Rationalität und einen freien Willen besitzt und die d) nicht ein ontologisch fundiertes Selbst oder Ich hat. Deshalb muss man nach seiner Analyse die Grundwirklichkeitsform des Menschseins als das geistige Substanzsein im Leib begreifen. Der Mensch muss deshalb in seinem Personsein sobald und solange er lebt als Person angesehen werden, also vom Beginn der Verschmelzung der menschlichen Gameten bis zum Eintritt des sicheren Todes. In ähnlicher Weise wie Kant kommt Bexten zu dem Ergebnis, dass das Herz des Menschen nicht nach physischer Vollkommenheit, sondern nach der moralischen Vollkommenheit ausgerichtet sein soll. Denn das Herz ist aller Weisheit Anfang. Darüber hinaus besitzt die menschliche Person Seinsautonomie, Seinsabgeleitetheit, Seinsselbstständigkeit und Seinsabhängigkeit.
Der nicht geistig verstandene Personbegriff scheitert daran, dass man dann konsequent jedem Menschen, der aktuell nicht das Personverhalten zeigt, etwa einem Säugling, einem schlafenden oder einem in Ohnmacht fallenden oder im Koma liegenden Menschen das Personsein absprechen müsste. Deshalb müssen Embryonen zu Recht, wie er gezeigt hat, auch ohne ein aktuelles Personverhalten als wirkliche Personen angesehen werden und dürfen demzufolge nicht getötet werden. Weil die Person als das perfekteste Seiende überhaupt angesehen werden muss, muss dementsprechend jede Person um ihrer selbst willen bejaht und geliebt werden, wie bereits Thomas von Aquin erkannt hat.
Trotz aller differenzierten Bestimmungen des menschlichen Personseins muss man sich aber nach Bexten immer bewusst bleiben, dass die menschliche Person ein Geheimnis ist, das sich nicht umfassend erkennen und verstehen lässt, weil die menschliche Person als seinsabgeleitetes Wesen kontingent ist. Was Bexten in diesem Zusammenhang nicht weiter thematisiert ist die Frage, inwieweit in der menschlichen Person die Fähigkeit angelegt ist, sich auf ein transzendentes personales Du – Gott – beziehen zu können. Nimmt man an, dass es einen personalen Gott gibt, dann ist der Mensch personal auf Gott hin ausgerichtet. Wenn die menschliche Person sich auf eine absolute Person hin überschreiten kann, dann stellt sich allerdings die Frage, was dafür der ontologisch zureichende Grund ist. Der liegt nach Bexten darin, dass die menschliche Person im „Bilde Gottes“ geschaffen worden ist. Diese Erkenntnis setzt allerdings die christliche Offenbarung voraus und kann dementsprechend kein Gegenstand der Philosophie sein. Was die Philosophie allerdings sagen kann, ist, dass die ontologische Hinordnung auf ein personales Du für die menschliche Person die Konsequenz hat, dass sie in der communio personarum sittlich gut handeln soll.
Bexten ist sich bei aller Differenziertheit der philosophischen Reflexion darüber im Klaren, dass man trotz aller noch so detailliert ausgearbeiteten theoretischen Erkenntnisse über das menschliche Personsein nie ein vollständiges Wissen darüber erhalten kann, was ein gutes und gelingendes Leben ist. Alles Wissen und alle Erkenntnisse lassen die menschliche Person nicht zu ihrer veritas vitae gelangen. Deshalb, so folgert er, ist eine Philosophie, die im rein theoretischen Wissen bleibt, keine Philosophie, wenn man unter Philosophie die Liebe zur Weisheit versteht, da es keine rein theoretische Liebe zur Weisheit geben kann.
Wenn man die Weisheit liebt, so muss sich das in Gedanken, Worten und Handlungen ausdrücken, also im Leben des die Weisheit Liebenden. Dazu gelangt man aber nur durch die Wahrheitsliebe und durch die Erkenntnis darüber, was das Sein der menschlichen Person ausmacht. Wenn man die menschliche Person substanzontologisch-relational versteht, dann kommt das am besten in der Antwort personaler Liebe zum Ausdruck.
Diese Studie zum Personsein des Menschen endet deshalb mit einem Hinweis auf die Antwort eines sterbenden Mannes, den Mutter Teresa auf der Straße aufgelesen hatte: „Ich habe wie ein Tier auf der Straße gelebt, aber ich werde wie ein Engel sterben, geliebt und umsorgt.“
Raphael E. Bexten: Was ist menschliches Personsein? Der Mensch im Spannungsfeld von Personvergessenheit und unverlierbarer ontologischer Würde. Verlag epubli 2017, 341 Seiten, ISBN-978-3745002102, EUR 32,99.