Oft nutzen Muslime bei Begegnungen mit Katholiken die Gelegenheit und stellen eine Frage, welche sie seit langem auf dem Herzen haben. Eine typische Frage könnte lauten: „Warum beten Sie zu Maria?“ Oder quasi-protestantisch formuliert: „Warum beten Sie Maria an?“ Einige mögliche Antworten für Ihre nächste Begegnung.
Unsere hl. Maria wird, je nach Koran-Ausgabe, als „Maryam“, als „Meryem“ oder „Miriam“ bezeichnet und wird, in der islamischen Kultur wegen ihrer besonderen Rolle, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, häufig als „Mutter“ (je nach Sprache „ana“ oder „madar“) angerufen. Der Begriff „heilig“ (türk. „aziz“, arab. „muqadas“) würde sofort zu schwierigen theologischen Debatten führen, welche wir geschickt vermeiden, wenn wir unsere hl. Maria im Gespräch mit den Muslimen ebenfalls als „Mutter Maria“ bezeichnen.
„Das bedeutet, Maryam befindet sich erst einmal in der Top-Liga
der koranischen Propheten und ist die einzige Frau in dieser Liga“
Zwar benutzen die Perser für Maria den Begriff „hazreti“, was unserem „heilig“ sehr nahe kommt, aber sie verstehen dies nur als Ehrentitel, so dass wir auch mit Iranern in deutscher Konversation von „Mutter Maria“ sprechen können. Dabei können wir sicher sein, dass unsere unter vielen Namen erscheinende hl. Maria, dieser „brückenbauerischen“ Namensanpassung milde ihre Genehmigung erteilen wird.
Die herausragende Bedeutung Marias im Koran wird auch dadurch deutlich, weil etwas nicht gesagt wird. Im gesamten Koran wird nämlich keine andere Frau namentlich erwähnt. Es muss also etwas Einzigartiges bei Maryam geben. Überlegen wir, was es sein könnte.
Katholiken wenden sich voll Vertrauen an die Mittlerin Maria
Doch: Warum also beten wir zu Mutter Maria? Ja, weil sie unsere, Deine und meine Mutter ist! Mutter Maria schenkte ihren Sohn uns allen, also der gesamten Menschheit. Und Jesus sagte am Kreuz zum hl. Apostel und Evangelisten Johannes: „Siehe, Deine Mutter“ (Johannes 19, 27). Dies galt damals dem Johannes, aber auch den Menschen unter dem Kreuz, und allen Menschen, die damals lebten und auch jenen, die erst noch auf die Welt kommen sollten. Denn Mutter Maria‘s Sohn wurde damals der Menschheit geschenkt.
Und so wie wir unserer leiblichen Mutter voll Vertrauen und Liebe begegnen, so schenken wir auch unserer himmlischen Mutter unser Vertrauen. Sie liebt uns so sehr, wie unsere leibliche Mutter, und wird unsere Bitten an Jesus vortragen. So wie eine liebende irdische Mutter unsere Kindeswünsche erfüllte, wird unsere himmlische Mutter auch im Himmel uns helfen wollen, was herzeinnehmend für Muslime ist. Sie ist die Mutter aller Menschen und sie lebt im Himmel mit Jesus zusammen.
Entgegen aller Behauptung: Maria ist in der Kirche nicht „Göttin“
Wir Christen können dies freimütig während solcher Begegnungen darlegen, denn der Koran liefert wichtige wörtliche Hinweise, auf die wir aufbauen können. Denn es heißt im Koran „O Maria, siehe, Gott hat dich auserwählt und gereinigt und erwählt vor den Frauen der Welten“ (Sure 3, 42) sowie „Nehmt euch außer Gott mich und meine Mutter [gemeint ist Maryam] zu Göttern!“ (Sure 5, 116). Natürlich sehen wir Katholiken in der hl. Maria keine „Göttin“, wie es der Koran irrtümlicherweise uns Christen unterstellt, gleichwohl erklärt dies die Verehrung der Muslime für Mutter Maria, auf die wir getrost aufbauen können, ohne diese Fehlvorstellung sofort kommentieren zu müssen. Denn das Entscheidende ist zu verstehen, warum Mutter Maria – aus koranischer Sicht – einzigartig ist. Und jedes Gespräch über Mutter Maria ist ein gutes Gespräch, denn führt sie nicht die Menschen (wie alle Mütter) hin zu ihrem Sohn?
In der islamischen Welt stellen daher Wallfahrten zu einem vom Islam anerkannten Marienort, wie etwa das Haus der Mutter Maria in Ephesus/Türkei, den Höhepunkt des spirituellen Lebens für viele Muslime dar und ist daher eine ehrwürdige islamische Tradition. Daher laufen Christen gegenüber erhobene islamische Behauptung von „Götzendienst“ bei Wallfahrten oder Gebeten zu Mutter Maria ins Leere, zumal es viele weitere Ehrungen der „Maryam“ im Koran gibt. Sowohl der Koran als auch die islamische Tradition erlauben die Anrufung der Mutter Maria für die Sorgen und Nöte der Muslime, und mehr noch, es wird sogar dazu aufgerufen!
„Nur“ Mutter eines weiteren Propheten?
So verbindet uns Katholiken mit den Muslimen eine tiefe Marienverehrung, eine schöne Grundlage für fruchtbare Glaubensgespräche. Eine weitere Frage könnte etwa lauten: „Mutter Maria war nur eine Prophetin, aber warum betet ihr sie an?“
In dieser Fragen offenbart sich zunächst die islamische Sichtweise auf unsere heilige Maria. Wer ist sie im Koran? Die Frau, die jungfräulich den „Isa“ (also den jüdischen Jeshua) geboren hat, ist gemäß des Korans die Schwester des Haruns. So heißt es in der Maryam-Sure, also in Sure 19, 28 über Maryam: „O Schwester Haruns dein Vater war doch kein sündiger Mann ...“. Und wer ist Harun? Er ist bei uns bekannt als der jüdische Aaron, der Bruder des Moses, Söhne des Amram (Ex 6, 20). Dass unsere hl. Maria nicht die Schwester des Mose sein kann, wollen wir einmal übergehen, weil dies für den Dialog mit ihrer Tischnachbarin zunächst nicht wesentlich ist.
Unantastbar für den Teufel
Die „Maryam-Sure“ (Sure 19) steht in Verbindung mit der „Sippe Imrans Sure“ (Sure 3), welche die Sippe Imrans (jüdisch: Amram), also des vermeintlichen Vaters von Maryam thematisiert. In ihr sagt Imrans Frau, deren Name im Koran unerwähnt bleibt, in Versen 35 und 36, dass sie ein Kind im Mutterleib trage und dieses, nach dem sie ein Mädchen zur Welt brachte, Maryam genannt habe. Nach dem Koran wäre also Amrams unbekannte Frau, die Mutter von Maryam. Anschließend „weiht“ die namenlose Mutter ihre Tochter dem „Allhörenden und Allwissenden“ und bittet für ihre Tochter um dessen Schutz vor dem [gesteinigten bzw. verfluchten] Satan (Verse 35-36). Ein Mädchen, welches mit ihrer Geburt von Gott vor dem Satan beschützt wird, kommt uns das nicht bekannt vor?
Aber zurück zu Maryam, die nicht „mehr“ als eine Prophetin sein soll. Der Hintergrund dieser Frage ist die wachsame Aufmerksamkeit des Koran, ja niemanden über dessen Religionsgründer Mohammed zu stellen und zu verehren. Dies wird dadurch erreicht, in dem alle anderen Heilspersonen auf die Stufe eines Propheten gestuft und egalisiert werden. Dies gilt für alle jüdischen und christlichen Heilspersonen. Daher fungiert der Religionsgründer in dieser Kette der „Propheten“ als zeitlich letzter Prophet und bekommt qualitativ einen zusätzlichen Titel, nämlich den Titel des ,Gesandten‘.
„Nur“ Prophetin oder doch Gottesmutter
So wird die muslimische Verwunderung über die besonderen Verehrung der hl. Maria durch die Katholiken verständlich. Warum verehren Katholiken sie mehr als eine Prophetin? Genauer gesagt: „Warum verehren wir eine Frau mehr als den wichtigsten Propheten und den Gesandten?“ Die Antworten sind zwar aus unserer katholischen Perspektive nicht schwierig, aber was soll man einer gottesfürchtigen Muslima nun sagen, und zwar so, dass sie es verstehen kann? Zunächst einmal können wir sagen, dass Maryam, wie bereits erwähnt, die einzige namentlich genannte Frau im Koran ist, an diversen Stellen vorkommt, und sogar eine eigene Sure hat.
Von den 114 Suren des Koran tragen, je nach Zählweise, nur zwischen drei und fünf Suren in ihrem Titel den Namen eines Propheten. Das bedeutet, Maryam befindet sich erst einmal in der Top-Liga der koranischen Propheten und ist die einzige Frau in dieser Liga. Ist das kein Grund für die besondere und liebevolle Ehrung? Diese „innerkoranische“ Argumentation, die sie mit Fragen herausarbeiten könnten, dürfte ihre muslimische Nachbarin beeindrucken.
Frei von jedem menschlichen Makel
Aber geben wir auch Argumente aus unseren hl. Schriften und unserer Tradition und betrachten dazu die zuvor im Koran beschriebene „Weihe“ Maryams durch ihre Mutter. Eine seit ihrer Geburt stets vom [gesteinigten bzw. verfluchten] Satan beschützte Frau, wer könnte das sein? Welche Frau ist fortwährend fern jeder Berührung des Satans, fern von jedem menschlichen Makel?
Sie ist „die Frau“ aus der Offenbarung des Johannes (Kapitel 12), der Drache und Schlange nichts antun können. Sie ist „die Frau“, die der Schlange mit der Ferse auf den Kopf tritt (Genesis 3, 15). Sie hat einen Namen und wir kennen sogar ihre Eltern und den Namen des klugen, weitsichtigen und treuen Ehemannes. Sie ist unserer aller Mutter Maria. Wir können daher dankbar sein, wenn durch solcherlei Gespräche unser Glaubenswissen herausgefordert wird und wir „jedem Rede und Antwort zu stehen (dürfen), der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt“ (1 Petr 3, 15). Sie sind „Goldene Momente“ unseres Glaubens. Wir können stets dankbar für diese Momente sein.
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