Der heilige Paulus hat es vorgemacht: Er verwendete seinen Status und seine Kenntnisse als römischer Bürger, um das Evangelium zu verbreiten. Dass das Internet eine Plattform darstellt, die man für die Neuevangelisierung nutzen kann, ist keine neue Idee. Aber genau wie beim heiligen Paulus haben einige Katholiken einen Heimvorteil: Die jüngeren Katholiken, Millenials und Gen-Z, sind Internetbürger. Wie der heilige Paulus nutzen sie „ihre“ Plattformen, um ihren Glauben zu leben. Diese Foren und Apps leisten plötzlich Bedeutendes zur katholischen Vernetzung und Neuevangelisierung – und verweisen damit auf die Zukunft.
„Wir sind eine Ausweichstelle für Gemeinden, die sozial tot sind“ erklärt ein User der Plattform „Reddit“, der dort unter dem Namen „MambaMentaIity“ eine katholische Community moderiert, gegenüber der „Tagespost“. „Natürlich ist die echte Gemeinschaft wichtiger als die virtuelle. Aber in vielen Fällen gibt es gar keine sozialen Angebote in den Gemeinden, oder die, die es gibt, wenden sich an eine bestimmte Altersgruppe, zum Beispiel ältere Menschen, sodass vielen Jüngeren eine gute Plattform zum Knüpfen von Beziehungen fehlt. Eigentlich sollte das ein Extremfall sein – aber leider ist es ziemlich häufig. In diesen Fällen sind wir eine gute Alternative, aber natürlich bleiben Beziehungen im echten Leben das Ideal.“
„Weil der katholische Glaube heute nicht gerade en vogue ist,
erlaubt diese Anonymität Katholiken, sich auszutauschen,
ohne Gegenwind von ihren sozialen Kreisen zu riskieren.“
Reddit ist eine 2005 gegründete Internetseite, auf der Nutzer, ob gläubig oder nicht, unter einem Pseudonym eigene Inhalte und Beiträge einstellen können. Sie ist nach Interessen sortiert, in sogenannte „Subreddits“, denen Nutzer beitreten können – solange sie sich an die Regeln halten. Auch diese Regeln geben sich die Nutzer der Subreddits selbst: Damit ist die Seite hochindividualisierbar.
„Ich glaube, dass Reddit deshalb attraktiv ist, weil es so groß ist und es so viele verschiedene Interessengruppen gibt.“, meint ein anderer Moderator, der anonym bleiben will, gegenüber dieser Zeitung. „Reddit ist wie ein Supermarkt für unterschiedliche Interessen: Man findet alles an einem Ort. Ich bin selbst nicht nur in katholischen Gemeinschaften unterwegs, sondern auch in verschiedenen Subreddits zum Thema Kochen.“
„Reddit“-Nutzer haben einen identifizierbaren Nutzernamen. Dieser lässt zwar keinen Schluss auf die Identität der Person im echten Leben zu, wenn der Nutzer es nicht darauf anlegt. Trotzdem sind die Nutzer dadurch erkennbar, und man kann mit ihrer „Reddit-Identität“ gezielt interagieren. Diese Anonymität, die gleichzeitig nicht völlig beliebig ist, trägt, so ein Reddit-Nutzer, ebenfalls zur Attraktivität der Seite für Katholiken bei: „Weil der katholische Glaube heute nicht gerade en vogue ist, erlaubt diese Anonymität Katholiken, sich auszutauschen, ohne Gegenwind von ihren sozialen Kreisen zu riskieren.“
Positives und Negatives liegen im Netz sehr nah beieinander
Ein verifizierter Priester, ein Moderator unter dem Nutzernamen „fr-josh“, betont gegenüber der „Tagespost“, dass „Reddit“ in den Kommentaren sehr ausführliche Auseinandersetzungen erlaubt. „Außerdem ist es anders als auf Seiten wie Twitter, bei denen es nicht immer verständlich ist, warum bestimmte Beiträge ganz oben erscheinen.“ Gleichzeitig warnt er auch vor der Seite. „Gerade mit den moralisch verwerflichen Teilen der Seite ist ,Reddit‘ nicht nur gut für gläubige Katholiken.“
Das größte katholische „Subreddit“ ist r/Catholicism, das circa 130 000 Nutzer umfasst, und generelle Beiträge zum Thema Katholizismus bietet. Häufig sind Glaubensfragen darunter, aber auch Gebetsanliegen, Zeugnisse, oder Nachrichten, die das katholische Leben betreffen. Die angebotenen Ressourcen reichen von Links zu den tagesaktuellen Lesungen bis zu dem untergeordneten „Subreddit“ r/AskAPriest, in dem Nutzer verifizierten katholischen Priestern Fragen stellen können. Die Varietät von verwandten „Subreddits“, die von katholischer Politik bis zu katholischer Empfängnisregelung reicht, zeigt die individualisierte Nutzung der Seite – und wie Katholiken unterschiedlichster Interessen sich diese zur Heimat gemacht haben.
Viele dieser „Subreddits“ leben davon, dass das Katholisch-Sein vorausgesetztes Fundament ist. Abgesehen davon, dass authentische Katholiken sich dort öffentlich mit den Themen auseinandersetzen, die sie beschäftigen, bietet die Seite auch die Möglichkeit, mit Nicht-Gläubigen ins Gespräch zu kommen – das ist nicht einfach, denn in Bezug auf Religion herrscht auf „Reddit“ meist ein beißender Umgang.
Die Kirche muss sich den Anfragen stellen
Bishop Robert Barron, Erzbischof von Los Angeles, stellte sich auf „Reddit“ allerdings schon einige Male zu einem „AmA“ („ask me anything“ – frag mich, was du willst), einem Frage- und Antwortformat über die Kommentarfunktion, für „Atheisten, Skeptiker und Suchende“ zur Verfügung: Und dabei stieß er auf große Aufmerksamkeit. Sein erfolgreichstes AMA, im Jahr 2018, erreichte 15 000 Kommentare und damit Platz drei der am meisten kommentierte AMAs des Jahres.
Parallel zu „Reddit“, das einen mittelbaren Austausch über Beiträge, Kommentare und der Möglichkeit, Äußerungen hoch- oder herunterzuwählen und dadurch über ihre Qualität abzustimmen, bietet, hat sich die „Discord“-App als unmittelbare Kommunikationsplattform etabliert.
„Discord“ wurde ursprünglich für Videospieler populär, da es das direkte Gespräch während dem Spielen ermöglicht – ideal, um sich strategisch abzusprechen. Während der Corona-Pandemie erfuhr die Webseite einen Boom. Auf „Discord“ lassen sich „Server“ erstellen, denen beliebig viele Leute beitreten können. Auf diesem Server kann man Kanäle erstellen, die sprach- oder textbasiert sein können.
Katholische Präsenz zeigen
Mit einem Klick kann man so ganz einfach einem Gruppengespräch beitreten, zum Beispiel, um gemeinsam einen Rosenkranz zu beten. Die Kanäle können thematisch sortiert werden, sodass die meist pseudonymisierten Nutzer an Gesprächen oder Chats zu verschiedenen Themen teilnehmen können. So lässt sich Gemeinschaft pflegen, ohne dass ein bestimmtes Thema im Vordergrund stehen muss. Auch viele „Subreddits“ haben einen eigenen „Discord“-Server.
Dass die Sakramente nicht durch die entstehenden online-Gemeinden ersetzt werden können, da sind sich alle befragten Nutzer einig – und ebenso, dass persönliche Freundschaften Online-Bekanntschaften vorzuziehen sind. Dennoch können diese Seiten und Plattformen nützliche Ressourcen bieten – und nicht zuletzt eine dauerhafte katholische Präsenz in einer religionsskeptischen Umgebung gewährleisten.
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