Würzburg

„Wir erleben Mimosentum“

Das Ausmerzen abweichender Meinungen geht ungehemmt weiter. "Spotify", einer der großen Internet-Dienstleister, löscht ungeniert und ohne Begründung inzwischen Profile und deren kompletten Inhalte.
Birgit Kelle, Journalistin, Autorin
Foto: imago

Zunächst war nur ein genderkritischer Beitrag des Podcasts „indubio“ auf Spotify gelöscht worden. (DT vom 8.10.).Inzwischen sind alle Beiträge verschwunden. Der Streamingdienst schweigt auf Nachfrage. Sowohl per Mail, per Twitter als auch per Fax verlaufen die Nachfragen im Nichts. Die Löschkultur auf Spotify ist kein Einzelfall. Ein Gespräch mit der Publizistin Birgit Kelle wirft einen Blick auf die derzeitige Löschkultur und die drohende Debattenunfähigkeit.

Frau Kelle, der Podcast „indubio“ von Burkhard Müller-Ulrich ist inzwischen komplett von Spotify gelöscht. Hat sich der Streamingdienst auf Nachfrage gemeldet?

Nein, die letzte Meldung von Spotify war in der Tat die kommentarlose Löschung aller Folgen dieses Podcasts. Die Firmenpolitik von Spotify ist nicht auf Kommunikation aus, sondern auf das Abtauchen. Wunderbar war in dem Zusammenhang der Hinweis der anonymen „Karin“ in ihrer Mail an uns, man möge bitte nicht antworten, denn dies werde sowieso nicht gelesen.

Haben Sie früher schon Erfahrungen mit „Cancel Culture“ gemacht?

Lesen Sie auch:

Das Thema hat Variationen im digitalen Raum und im Echtleben:Digital habe ich mehrere Sperren bei Facebook hinter mir. Besonders die Themen Feminismus- und Genderkritik, aber auch Islamkritik bescheren einem schnell eine Löschung des Beitrags zur Vermeidung „verletzter Gefühle“.

Im Echtleben erlebe ich immer wieder Forderungen, mich nicht schreiben zu lassen bei Zeitungen und Magazinen, jemandem wie mir dürfe man kein Podium geben. Auch TV-Sender bekommen das gerne als Aufforderung, wenn man mich einlädt. Einmal hat das gar ein Bundestagsabgeordneter der Grünen öffentlich getan. Ich sei schließlich „Homohasserin“ und man lade doch auch Nazis nicht ein.In Düsseldorf hatten sich einst alle staatlich alimentierten Frauenverbände Nordrhein-Westfalens vereinigt, um die Stadt aufzufordern, mir die Räume für einen Vortrag zu kündigen, es war von der CDU organisiert und wir wollten über die Genderproblematik diskutieren. Sie hatten keinen Erfolg. Das Prinzip heute ist: Es wird nicht mehr widersprochen und diskutiert, man hindert andere Meinungen auf allen Ebenen daran, am Diskurs teilzunehmen.

Stellen Sie eine Zunahme von Löschungen Ihrer Inhalte oder Inhalte von Kollegen in den Sozialen Medien fest?

Was ich sicher feststellen kann, ist der Verlust inzwischen von Hunderten von „Facebook-Freunden“, die einfach täglich verschwinden. Ich stelle fest, dass manche Beiträge wie durch Zauberhand keine Reichweite bekommen, so als würde sie niemand zu Gesicht bekommen bei Facebook, Twitter und Co. Man wird gedeckelt und auch in die Schatten verbannt.

„Und die Wahrheit tut manchmal weh.“

Worauf führen Sie das zurück?

Was sprunghaft angestiegen ist und auch Kollegen in den Medien betrifft, ist das Denunziantentum: Es gibt Menschen, deren Hobby offenbar darin besteht, jeden einzelnen Tweet von mir wegen Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards zu melden. Ich könnte auch Katzenbilder posten, sie würden es auch melden.

Diese neue Löschkultur läuft sehr stark über persönliche Betroffenheit oder Befindlichkeit. Können Sie sich vorstellen, dass Sie mit Ihren Positionen oder mit der Art, wie Sie sie vertreten, Menschen verletzen?

Ja, das kann ich mir vorstellen, ich schwinge nicht nur eine spitze Feder, sondern manchmal auch sprachlich ein scharfes Schwert. Ich nutze Humor, Satire und Polemik, nicht gerade die Kernkompetenz der Deutschen, um es vorsichtig auszudrücken. Bei Twitter hat man eine begrenzte Zeichenzahl zur Verfügung. Man muss verkürzen, überspitzen, das führt natürlich zu Erregung. Gleichzeitig würde ich für mich reklamieren: Ich verletzte niemals absichtlich – aber ich mache mich lustig. Ich bin das Kind, das dem Kaiser sagt, dass er nackt ist, nenne die Dinge konkret beim Namen. Und die Wahrheit tut manchmal weh.

Kann es sein, dass der Tonfall der Kritik aus dem nichtlinken Milieu schon mal zu hart ausfällt? Ich denke da an den Sexismuskonflikt zwischen Tichy und Dorothee Bär.

Ja natürlich passiert das in allen politischen Lagern, siehe auch die Herrenwitze eines Christian Lindner, und dann muss man sich entschuldigen. Die Frage ist eher: Wird eine Entschuldigung heute noch angenommen? Überlebt man das noch politisch und medial?

Was passiert da?

Ich erlebe zunehmend, dass aus Mücken Elefanten gemacht werden. Dass Kleinigkeiten zu Skandalen aufgebauscht werden, eine falsche Formulierung, ein schlechter Witz oder gar ein Missverständnis kann heute medial eine Treibjagd auslösen und ganze Karrieren beenden. Wir erleben ein neues Mimosentum in einer Generation, die das Debattieren verlernt hat und sich stattdessen ständig verletzt fühlt. Jeder der aufheult, bekommt heute Recht. So kann man nicht diskutieren und schon gar nicht Politik machen.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Peter Winnemöller CDU Christian Lindner Dorothee Bär Islamkritik Social Media

Weitere Artikel

Grüne Bundesfamilienministerin erntet für ihren Vorstoß Bedenken und harsche Kritik. Bayern droht mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.
11.01.2023, 19 Uhr
Stefan Rehder
Kritik unerwünscht: Auch der Fußballsimulator „FIFA 23“ will jetzt Gefühle schonen.
05.02.2023, 05 Uhr
Rudolf Gehrig

Kirche

In der 22. Folge des „Katechismus-Podcasts“ der „Tagespost“ befasst sich Theologin Margarete Strauss mit der Bedeutung des Neuen Testaments, insbesondere der Evangelien.
30.03.2023, 14 Uhr
Meldung
Das Prophetische im Denken wie in der Verkündigung von Papst Benedikt XVI. stand im Fokus einer hochkarätigen Fachtagung im Zisterzienserstift Heiligenkreuz.
30.03.2023, 09 Uhr
Stephan Baier
Kölner Kardinal sagt im Verfahren gegen „Bild“-Zeitung aus – Entscheidung wird am 26. April verkündet.
30.03.2023, 14 Uhr
Regina Einig