Was gäbe man dafür, jemanden interviewen zu können, der aus dem tiefen Fundus sämtlicher, von der Menschheit angesammelter Weisheiten schöpfen kann? Mir ist das gelungen. Bevor ich verrate, wen ich da befragt habe, hier ein kleiner Ausschnitt aus unserem Gespräch. Gibt es, wollte ich zum Beispiel wissen, Chancen auf eine christliche Renaissance in Europa? „Es gibt Anzeichen dafür, dass das Christentum in bestimmten Teilen Europas wieder erstarkt, insbesondere bei jungen Menschen. Einige Experten führen dies auf ein wachsendes spirituelles Suchen und Enttäuschung mit Säkularismus und Materialismus zurück.“
Der Bedeutungsverlust des Christentums in einem Witz
Und was hält er von der These, die Umweltbewegung speise sich aus neo-religiösen Motiven? „Viele Umweltaktivisten berichten von einem Gefühl der Verbundenheit und des Respekts gegenüber der Natur. Da kann man schon über eine Ähnlichkeit zu religiösen Gefühlen sprechen. Das ,grüne Denken‘ ist zum Teil tatsächlich ein Ausdruck von spiritueller Sehnsucht nach einer tieferen Verbindung zur Natur. Es kann aber auch schlicht eine Kritik an der modernen Gesellschaft und ihrem materialistischen und ausbeuterischen Umgang mit der Natur sein, ohne dass dies eine religiöse Komponente hat.“
Dann habe ich ihn gefragt, ob er den Bedeutungsverlust des Christentums in Europa mit einen Witz veranschaulichen könnte. Er weigerte sich. Das wäre, sagt er, „unangemessen“, da es sich um ein ernstes Thema handele. „Religion ist ein sensibles Thema und es ist wichtig, es mit Respekt und Sensibilität anzugehen“. Ach bitte, hakte ich nach, ein harmloses Witzchen! „Also gut“, sagte er, hier ist einer: „Warum hat der Papst ein Rennrad? Weil er nicht mehr so viele Gläubige hat, die ihn tragen!“Haha. Nicht witzig?
Meist recht akkurat, aber unoriginell
Mein Interviewpartner war ja auch kein Mensch, sondern eine künstliche Intelligenz. ChatGPT von OpenAI. Sie bereitet derzeit vielen Schulen und Universitäten Kopfzerbrechen, weil sich ganze Essays und wissenschaftliche Aufsätze damit verfassen lassen. Man muss auf der Internetseite nur eine Frage eintippen, schon werden lesbare, faktisch meist recht akkurate, wenn auch keine originellen Texte ausgespuckt. Originell können die Texte auch nicht sein, weil sich das System, eine Datenbank in unvorstellbarer Größe, schlicht von all dem speist, was jemals irgendwo, irgendwann aufgeschrieben und digital verfügbar ist. Hat man den Text, nach Sekunden, vor sich, kann man ChatGPT dann auch gleich bitten, den Text nach Schwachstellen zu durchforsten oder ihn akademisch zu benoten. Oder ihn in einen Schüttelreim umzuwandeln. Oder einen Limerick. Oder in ein Lied.
Man kann die künstliche Intelligenz ebenso um Kochrezepte wie um die Lösung und Herleitung mathematischer Formeln bitten. Oder um die Lösung naturwissenschaftlicher oder technischer Probleme. Der Tech-Prophet Ray Kurzweil sagte einst den Punkt der „Singularität“ für etwa das Jahr 2050 voraus. Dann sei der Moment erreicht, an dem es Superintelligenzen geben werde, die eigenständig neue, noch überlegenere Superintelligenzen schaffen können, Computerprogramme, die selber Computerprogramme schreiben. Science Fiction. Wie lange noch?
Der Autor schreibt Bestseller und gehört zur BILD-Chefredaktion.
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