Umstrittene Wahl

Besser als Hitchcock und Welles?

Das belgische Feminismus-Epos „Jeanne Dielman“ schlägt „Citizen Kane“ und „Vertigo“ als „bester Film aller Zeiten“.
Jeanne Dielman
Foto: Courtesy Everett Collection via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Der belgische feministische Film „Jeanne Dielman“ aus dem Jahr 1975 hat es erstmals an die Spitze der einflussreichen „Sight & Sound“-Liste geschafft.

Alle zehn Jahre veröffentlicht das renommierte britische Filmmagazin „Sight & Sound“ eine große, mittlerweile traditionsreiche Top-100-Liste der besten Filme aller Zeiten und befragt hierfür beinahe 2.000 Filmschaffende und Filmkritiker aus aller Welt. In den vergangenen Jahrzehnten gab es vor allem zwei wiederkehrende Favoriten: „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ von Alfred Hitchcock sowie „Citizen Kane“, das legendäre Regiedebüt von Orson Welles. Die neue, aktuelle Liste wartet jedoch mit einer komplett neuen Nummer 1 sowie einigen anderen Überraschungen auf.

Nur Cineasten bekannt

Denn der belgische feministische Film „Jeanne Dielman“ aus dem Jahr 1975 hat es erstmals an die Spitze der einflussreichen „Sight & Sound“-Liste geschafft. Das 200-minütige, nur wirklichen Cineasten bekannte Werk der 2015 verstorbenen Regisseurin Chantal Akerman folgt dem monotonen Alltag einer verwitweten Frau und Mutter, deren gesamtes Leben sich in Ödnis und immer wiederkehrenden Abläufen ergeht und die nebenbei als Gelegenheitsprostituierte arbeitet.

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Zwar gilt der Streifen Filmkennern durchaus als berührendes und erschütterndes Frauenschicksal-Portrait – und laut der britischen Filmkritikerin Laura Mulvey, die für „Sight & Sound“ den Begleittext schrieb, kann die große Anerkennung für „Jeanne Dielman“ einerseits als Ausdruck für den stärker gewordenen Diskurs über Frauen- und Geschlechterrollen im Kino und als Triumph für das „Women's cinema“ gewertet werden, andererseits als größere Wertschätzung von „Slow Cinema“-Filmen mit längerer Dauer und langsamen Erzähltempo.

„Lawrence von Arabien“, "Der Pate II" und Ingmar Bergman nicht mehr im Filmkanon

Doch ob es sich bei diesem Film, der in der vergangenen „Sight & Sound“-Liste aus dem Jahr 2012 nur auf Platz 36 stand, wirklich um den „besten Film aller Zeiten“ handelt, darf durchaus bezweifelt werden. Paul Schrader, Drehbuchautor des Martin-Scorsese-Filmklassikers „Taxi Driver“, sprach sogar unverblümt von einem „Woke-Exzess“ bei der diesjährigen „Sight & Sound“-Filmauswahl.

Zudem flogen aus der aktuellen „Sight & Sound“-Liste zahlreiche Filmklassiker heraus, die noch bis vor kurzem zum unumstrittenen Kanon der Filmgeschichte gehörten, wie etwa der zweite Teil des „Paten“, „Lawrence von Arabien“ oder auch die Ingmar-Bergman-Filme „Wilde Erdbeeren“ oder „Das siebte Siegel“.

Bei der separat erfolgten Umfrage unter Filmregisseuren nach deren Filmfavoriten ergab sich allerdings ein anderer, eher traditionellerer Gewinner: „2001 – Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick. „Jeanne Dielman“ hingegen landete auf Platz vier.

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