Ob Walmart, Amazon oder Google: Die meisten großen US-Unternehmen und Tech-Giganten haben eine eindeutige Rolle eingenommen, seitdem der Oberste Gerichtshof der USA Ende Juni sein neues Grundsatzurteil in der Abtreibungsfrage erlassen hat: Kämpfen, Widerstand leisten, abtreibungswillige Frauen nach Kräften unterstützen.
„Insbesondere jüngere Nutzer, vor allem Teenager,
wenden sich immer mehr von der Plattform ab.
Eine Erhebung des „Pew Research Center“ ergab jüngst,
dass von den 13- bis 17-Jährigen nur noch 32 Prozent Facebook überhaupt nutzen“
Zahlreiche Unternehmen beteuerten in internen Mitteilungen oder öffentlichen Stellungnahmen, dass sie die „reproduktiven Rechte“ ihrer Angestellten schützen wollten, auch mit finanziellen Zuwendungen: etwa, indem sie die Kosten übernehmen, wenn Frauen für eine Abtreibung in einen anderen Bundesstaat reisen müssen, da der Eingriff in ihrem Heimatstaat nicht mehr erlaubt ist.
Was das soziale Netzwerk Facebook angeht, genauer gesagt dessen Mutterkonzern Meta, ist die Lage nicht ganz so klar. Zwar war die derzeitige Co-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg von Anfang an nicht um klare Worte zu dem Urteil verlegen. Sie betonte, die Tatsache, dass „Roe v. Wade“ gekippt worden sei, „droht, den Fortschritt, den Frauen am Arbeitsplatz erzielt haben, rückgängig zu machen und sie ihrer Wirtschaftskraft zu berauben“. Und ein Sprecher des Konzerns bekräftigte gegenüber US-Medien, dass auch Meta für die Reisekosten abtreibungswilliger Schwangerer aufkommen werde.
So schnell erhält man Jubel oder kommt in sozialen Medien in Verruf
Doch ein Vorfall brachte das von Mark Zuckerberg gegründete Unternehmen jüngst in Verruf bei Abtreibungsbefürwortern – und ließ Lebensschützer im Gegenzug jubeln: Im August war bekannt geworden, dass Facebook den Strafverfolgungsbehörden die Chatprotokolle zwischen einer 17-Jährigenund ihrer Mutter zur Verfügung gestellt hatte. Das Mädchen aus dem Bundesstaat Nebraska, in der 28. Woche schwanger, hatte mit chemischen Präparaten eine Abtreibung eingeleitet. Das tot geborene Kind begruben sie und ihre Mutter auf dem Grundstück eines Bekannten. Zuvor hatten sie versucht, es zu verbrennen.
Die Ermittler waren durch einen anonymen Hinweis zunächst nur darauf aufmerksam geworden, dass Mutter und Tochter die Überreste des Kindes „unrechtmäßig verborgen und begraben“ hatten. Von den Abtreibungspillen, die zum Tod des Kindes geführt hatten, wusste die Polizei da noch nichts. Da sie dennoch bereits in mehreren strafrechtlich relevanten Punkten gegen die beiden ermittelte, verlangte sie von Facebook auf Vorlage eines Durchsuchungsbeschlusses Einsicht in den Chatverlauf zwischen der Mutter und ihrer Tochter. Daraus wurde für die Ermittler schließlich ersichtlich, dass die 17-Jährige mit chemischen Präparaten eine nach den Gesetzen des Bundesstaates Nebraska zu diesem Zeitpunkt illegale Abtreibung eingeleitet hatte.
Sowohl als auch werden dem Unternehmen nicht gerecht
Aus dem komplexen Fall aus Nebraska wurde medial schnell das Narrativ gestrickt, Facebook übergebe der Polizei private Chatprotokolle, um Frauen, die abtreiben, den Strafverfolgungsbehörden „auszuliefern“. Die Abtreibungslobby empörte sich über die Plattform und sah in deren Vorgehen einen weiteren Beleg für ein Klima der Angst und der Denunziation, das nach dem neuen Grundsatzurteil entstanden sei. Manche Lebensrechtler dagegen bejubelten Facebook bereits als neuen Fahnenträger ihrer Werte.
Beide Sichtweisen gehen fehl. Denn zum einen handelte es sich im Fall der 17-Jährigen um eine Abtreibung zu einem derart späten Zeitpunkt, dass sie selbst unter „Roe v. Wade“ nicht mehr erlaubt gewesen wäre. Das gekippte Grundsatzurteil aus dem Jahr 1973 hatte Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs, also etwas bis zur 24. Schwangerschaftswoche, nicht unter Strafe gestellt. Zudem nahm das Mädchen die Präparate bereits im April ein; damals war das neue Grundsatzurteil noch gar nicht erlassen. Und die Aufforderung der Polizei an Facebook, Einsicht in die Chatprotokolle zu gewähren, erging Anfang Juni, also ebenfalls noch vor Veröffentlichung des Urteils.
Abtreibungslobby kritisiert Facebook zu Unrecht
Darüber hinaus stand zum Zeitpunkt des Durchsuchungsbeschlusses der Tatbestand einer illegalen Abtreibung noch gar nicht im Raum. Facebook sah sich zu einer Klarstellung veranlasst, nachdem die Berichterstattung im August massiv zugenommen hatte. „Der Durchsuchungsbeschluss erwähnt Abtreibung überhaupt nicht“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Die Gerichtsdokumente weisen darauf hin, dass die Polizei zu jener Zeit das mutmaßliche illegale Verbrennen und Begraben eines tot geborenen Kindes untersuchte.“ Gleichzeitig wirft die Stellungnahme die Frage auf, wie sich Facebook verhalten hätte, wenn die Ermittler damals schon eine illegale Abtreibung untersucht hätten. Hätte die Plattform dann die Kooperation mit der Polizei verweigert?
Diese Frage steht überhaupt erst im Raum, da Facebook die Möglichkeit hat, die Chats seiner Nutzer einzusehen. Kritik an Facebook könnte man also eher aufgrund der laxen Datenschutzpolitik üben. Denn der bei anderen Telekommunikations-Apps gängige Standard der „End-to-end“-Verschlüsselung, der Nachrichten auch für den Anbieter nicht einsehbar macht, muss bei Facebook erst manuell aktiviert werden.
Mitten in den Kulturkampf gerissen
All dies ist für Facebook und den Mutterkonzern Meta durchaus heikel: Insbesondere jüngere Nutzer, vor allem Teenager, wenden sich immer mehr von der Plattform ab. Eine Erhebung des „Pew Research Center“ ergab jüngst, dass von den 13- bis 17-Jährigen nur noch 32 Prozent Facebook überhaupt nutzen. Zum Vergleich: In derselben Umfrage 2014/15 hatte der Wert noch 71 Prozent betragen. Zudem war in den letzten Wochen auch Kritik laut geworden, da das Netzwerk offenbar Posts schnell löschte, in denen für Abtreibungspillen geworben wurde, nicht aber solche, in denen Waffen oder Drogen angeboten wurden.
Facebook muss aufpassen, nicht zwischen den Fronten des Kulturkampfes um Abtreibung zerrieben zu werden. Schlägt man sich zu sehr auf eine Seite oder vermittelt auch nur einen solchen Eindruck, droht automatisch der Verlust einer großen Nutzerzahl. Und die Konkurrenz, das weiß man grad im Hause Zuckerberg, schläft nicht: Die digitale Welt dreht sich auch für deren einstige Platzhirsche wie Facebook immer schneller und immer weiter.
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