Ein Klick und man ist in einer anderen Welt: Musikvideos, in denen Jungen in Uniform auf arabisch davon singen, dass Jerusalem ihr Ziel ist, ein muslimischer Stellen- und Wohnungsmarkt, ein Halal-Markt, ein muslimischer Fernseh- und Radiokanal. Die Seite Muslim-Markt hat wirklich alles zu bieten. Was auf den ersten Blick wie eine unübersichtliche, veraltete Webseite aussieht, darf aber nicht unterschätzt werden. Denn wie der Pressesprecher des „Niedersäschsichen Ministeriums für Inneres und Sport“, Frank Rasche gegenüber der „Tagespost“ bestätigt, handelt es sich „um ein bundesweit bedeutsames schiitisches Internetportal.“
Oftmals lässt sich in den Beiträgen auf ,Muslim Markt‘ eine deutliche antiwestliche, antiisraelische Propaganda erkennen, was als Bestrebung gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu werten ist.“ Das Portal wurde zwischen 2003 und 2006 auch wegen „antiwestlicher und antiisraelischer Propaganda“vom Verfassungsschutz beobachtet. So heißt es auf der Seite unter dem Punkt „Muslim-Demokratie“ in einem „offenen Brief an die selbsternannten Vertreter der Menschenrechte in der westlichen Welt“, Menschenrechte in der westlichen Welt würden bedeuten, dass die brutalsten Massenmörder der Welt mit biologischen und chemischen Waffen ausgestattet würden und das betroffene Land wegen Besitz von Massenvernichtungswaffen massakriert und gegen den Willen des Volkes besetzt und ausgebeutet würde.
Holocaustleugnung und Volksverhetzung
Aber wer steckt hinter dem Netzwerk? Verantwortlich für den Inhalt der Webseite sind die Brüder Yavuz und Gürhan Özoguz aus Delmenhorst. Die beiden stammen aus der Türkei und wuchsen in einer säkular ausgerichteten Familie in Hamburg auf. Während ihrer Jugend waren sie sogar an den Kirchen hierzulande interessiert, wie die beiden in ihrem Buch „Wir sind (keine) ,fundamentalistische Islamisten‘ in Deutschland“ schreiben.
Yavuz gibt sogar zu, dass er den Islam als „Mittelalter pur“ betrachtet habe. Stattdessen habe ihn die Befreiungstheologie von Ernesto Cardenal stark geprägt. Als Cardenal aber den damaligen iranischen Führer als „die Heiligkeit unserer Zeit“ bezeichnete, wandte sich Yavuz dem Schiitentum zu. Der iranische Einfluss ging so weit, dass Yavuz Özoguz 2004 letztlich wegen Holocaustleugnung und Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Das Verfahren wurde später jedoch gegen eine Geldauflage von 1000 Euro eingestellt. Auch wenn die Brüder nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet werden, verbreiten sie weiter die islamistische Propaganda. Und sind extrem gut vernetzt.
Jugend geht subtiler vor
Zahlreiche Links führen auf der Internetseite „Muslim-Markt“ zu vielen weiteren Webseiten, die die Familie betreibt: „Islamischer Weg“, „Muslim-TV“, „Radio Wilaya“ und der muslimische Gemeinschaftsblog „Offenkundiges“. Der wird bereits von der nächsten Generation betrieben. Die Webseite sieht deutlich moderner, übersichtlicher, ansprechender aus. Doch auch in den teilweise unter Pseudonymen geschriebenen Beiträgen finden sich Aussagen wie: „Mithilfe der elitären Medien haben [die Politiker] es geschafft, den Begriff Freiheit oder Meinungsfreiheit zu einem Götzen zu erheben, den die Menschen im Westen anbeten können, weil sie ihnen keine anderen moralischen Werte vermitteln können.“ Reden des iranischen Revolutionsführers Ali Chamenei sind in voller Länge zu lesen, in denen er unter anderem davon spricht, dass „das Ziel ist, eine neue islamische Zivilisation zu errichten. Das ist unser Endziel. Es ist möglich, dass eine Generation dies nicht erreicht, aber der Weg wird weitergehen und mit Allahs Gunst werden zukünftige Generationen das Ziel erreichen.“
Sadik Özoguz, der viel für die Seite schreibt, kommentierte in einem Facebook-Video der Seite „Offenkundiges“ die Ermordung des iranischen Offiziers Quassem Soleimani: „Unser Kampf ist nicht der mit den herkömmlichen Waffen. Wir sind keine Soldaten an der Front. Unsere Front sind die Medien, die versuchen, die Wahrheit zu verschleiern.“ Neben den Webseiten ist die Jugend also auch auf den sozialen Medien aktiv. So veröffentlichte der Betreiber der Seite „Offenkundiges“, Huseyn Özoguz, kurz nach den letzten Anschlägen in Frankreich das Video „Anschläge in Frankreich: Beginnt jetzt die politische Verfolgung der Muslime in Europa?“
In einem Beitrag auf dem Blog „Offenkundiges“ heißt es auch, die Bundesregierung habe es versäumt, den Muslimen in Deutschland die Angst vor islamfeindlich motivierten Gewalttaten in einer angespannten Lage zu nehmen. Die Autoren der Webseite arbeiten aber selbst mit Angst. So schildert der Autor des jüngsten Beitrags, Mahdi Haschim, eine mögliche Zukunftsszene, in der die Häuser von Muslimen durchsucht und Muslime pauschal verdächtigt werden. Die Unterdrückung der Muslime habe aber bereits begonnen. „Trotz dieser Feindseligkeit und die sich daraus ergebende Drangsal dürfen wir Muslime jedoch keinen Millimeter zurückweichen“, so Haschim.
Die deutsche Bloggerin Sigrid Herrmann-Marschall, die salafistische und islamistische Organisationen und Akteure beobachtet und in diesem Zusammenhang Kommunalpolitiker berät, sieht darin die Haltung, „überall Gegner und Feinde zu wittern“. Dieses Verhalten sei häufig, wenn sich die eigene Richtung nicht oder noch nicht durchsetze. „Die nächste Generation zeigt sehr deutlich auf, in welche Richtung die frühe Indoktrination ging“, so Herrmann-Marschall. Mit den Youtube-Formaten könnten nun auch mehr Personen erreicht werden. Die Zuschauerzahlen seien zwar noch relativ gering, gingen aber teilweise bereits in den vierstelligen Bereich.
Radikale und Extreme zurückdrängen
Dass islamistische und extremistische Gruppierungen in den letzten Jahren verstärkt das Internet nutzten und damit „Brandbeschleuniger“ bei Radikalisierungsprozessen waren, bestätigt auch die Studie „Hassrede und Radikalisierung im Netz“ des Institute for Strategic Dialogue. Um dem entgegenzuwirken hält die Rechtsanwältin und Mitbegründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, Seyran Ateº, einen flächendeckenden multikonfessionellen Unterricht für eine gute Langzeitlösung. In diesem Kontext müssten zivilgesellschaftliche Organisationen, Lehrer und Eltern in Zusammenarbeit mit Experten aber auch aktiv dazu beitragen, über die Gefahren, die aus der Radikalisierung im Netz ausgehen, zu berichten und die Jugend zeitgemäß aufzuklären.
Denn „Fakt ist, derzeitig ist man nur einen Klick entfernt von gezielt platzierten Inhalten, die einen auf schnellem Wege auf die schiefe Laufbahn geleiten können, was es umso wichtiger für uns macht, die Gefahr schnellstmöglich zu erkennen, die entsprechenden Maßnahmen zu setzen, um die Situation unter Kontrolle zu bringen.“
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