Selbst unter Konservativen gab es nie eine einheitliche Meinung zu Preußen und seiner Herrscherfamilie, den Hohenzollern. Zwar gab es im alten Preußen eine starke Strömung des pro-preußischen Konservatismus, aber es gab vor allem in Süddeutschland und in katholischen Milieus auch eine starke anti-preußische Stimmung. Der Kulturkampfgegen den politischen Katholizismus hatte dem Ruf der Hohenzollern in diesen Kreisen naturgemäß sehr geschadet. Und als nach dem Zweiten Weltkrieg die Alliierten den Staat Preußen abschafften, überwog vielerorts die Auffassung, dass Preußen vor allem durch Militarismus geprägt sei und schon aus diesem Grunde massiv zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen habe.
Als das damalige Familienoberhaupt, Kronprinz Wilhelm von Hohenzollern, im Jahre 1945 in jenen Gebieten, die unter der Sowjetischen Militäradministration standen, ohne Entschädigungen enteignet wurde, hat man dies daher weithin als gerechtfertigte Strafe angesehen. Dies galt für all jene Kreise, die im weitesten Sinne „antifaschistisch“ eingestellt waren. Auch vertrug sich diese Auffassung bestens mit der kommunistischen Ansicht von einer Allianz der alten reaktionären Adelsschicht mit den Nationalsozialisten. Die Angelegenheit konnte, solange die DDR existierte, auf sich beruhen, auch weil es niemals in der deutschen Nachkriegsgeschichte eine nennenswerte politische Kraft gegeben hatte, die irgendeine Form von monarchischer Restauration auch nur im geringsten wahrscheinlich gemacht hätte.
„Eine sorgfältige historische Rekonstruktion
der Zeit vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus hilft,
sich gegen die Gefahren autoritärer Politikvorstellungen zu wappnen“
Aber vor einigen Jahren klagte die Hohenzollernfamilie auf Entschädigungen für die verlorenen Besitztümer im östlichen Teil des heutigen Deutschlands. Diese Entschädigungen würden, so sie denn gewährt würden, keine besonders großen Summen betreffen, da hier rechtliche Begrenzungen gegeben sind. Doch würde eine Anerkennung der früheren Eigentümerschaft der entsprechenden Gebäude und Gegenstände wie etwa Möbel und Kunstwerke die Situation der Familie gegenüber den Museen gleichsam normalisieren.
In den nun folgenden Debatten vermischten sich verschiedene Probleme, die der von Frank-Lothar Kroll, Christian Hillgruber und Michael Wolffsohn herausgegebene Debatten-Band zu entwirren versucht. Rechtsfragen und historische Analysen ergänzen sich hier. Während der rechtliche Rahmen davon bestimmt ist, ob jemand wie der Kronprinz Wilhelm der Etablierung des NS-Regimes im Sinne des Gesetzes „erheblichen Vorschub“ geleistet hat, was eine klare Verantwortlichkeit mit sich bringen würde, ist die historische Frage komplizierter. Auf mehr als 400 Seiten des lesenswerten Bandes werden zentrale Fragen der deutschen Geschichte auf dem Weg von Wilhelm II. zu Hitler erörtert: Wie prägte der Gründungsakt des Kaiserreiches die deutsche politische Kultur? Welche Auswirkungen hatte die Gründung der Weimarer Republik und die Flucht des abgedankten deutschen Kaisers auf das „Charisma“ oder politische Kapital der Hohenzollern? Welche Verbindungen bestanden zwischen einzelnen Mitgliedern der Familie und antirepublikanischen politischen Bewegungen?
Wichtiger Beitrag zu einem freiheitlichen Geschichtsbild
Das Bild ist durchwachsen, denn der Kronprinz Wilhelm selbst hielt sich nicht immer an die ihm eigentlich auferlegte Passivität in politischen Dingen, und auch sein jüngerer Bruder August Wilhelm („Auwi“) war mit seiner Anbiederung an die extreme Rechte kein Ruhmesblatt der Adelsfamilie. Aber auch wenn der Kronprinz wie sein jüngerer Bruder beim sogenannten „Tag von Potsdam“ dabei war, spielte er doch in der NS-Inszenierung dieses Schulterschlusses von Hitler mit den preußischen Eliten keinerlei Rolle. Wilhelm hatte auf die Nationalsozialisten nicht den geringsten Einfluss, und Hitler selbst lehnte ohnehin jegliche Restauration der Monarchie unter den Hohenzollern als reaktionär ab. Dass Wilhelm einen positiven Einfluss auf die zahlreichen katholischen Wähler gehabt hätte, kann ohnehin ausgeschlossen werden.
Die Hohenzollerndebatte kommt so insgesamt zu einem differenzierteren Urteil als der Historiker Stephan Malinowski, der in seinem Buch „Die Hohenzollern und die Nazis“ (2021) von einer „Geschichte der Kollaboration“ spricht und den Hohenzollern die Begünstigung des Nationalsozialismus vorwirft. Obwohl der Anlass für beide Bücher die strikt juristisch zu klärende Frage war, ob Angehörige des Hauses Hohenzollern dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub“ geleistet haben, ist es vor allem ihr Beitrag zur Diskussion eines demokratischen Geschichtsbildes, der hervorzuheben ist. Denn eine sorgfältige historische Rekonstruktion der Zeit vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus hilft, sich gegen die Gefahren autoritärer Politikvorstellungen zu wappnen. Zugleich bietet „Die Hohenzollerndebatte“ die Chance, sich ein eigenes Bild jenseits politisch motivierter Schuldzuweisungen zu machen und die Ambivalenzen einer Geschichte auszuhalten, die keineswegs schon in der Kaiserzeit unausweichlich auf die Schrecken der NS-Herrschaft hinauslief.
Frank-Lothar Kroll, Christian Hillgruber, Michael Wolffsohn (Hg.):
Die Hohenzollern-Debatte. Beiträge zu einem geschichtspolitischen Streit.
Duncker & Humblot, Berlin 2021, 430 Seiten, ISBN-13: 978-342818-392-0, EUR 29,90
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