Vor Jahrzehnten schon veröffentlichte der Bayreuther Politikwissenschaftler Konrad Löw sein Buch „Warum fasziniert der Kommunismus?“ Er fragte damals, weshalb diese Ideologie und ihre Grundlagen im Denken von Karl Marx in der westlichen Kultur so viel Anklang fanden – trotz des offenkundigen Versagens sozialistischer Systeme, politische und ökonomische Probleme freiheitlich zu lösen. Lange konnte man denken, diese Frage sei mit dem Ende des Sowjetkommunismus zu einer bloß historischen geworden. Manche sprachen erst vom „Ende der Ideologien“, dann gar vom „Ende der Geschichte“, in dem der Liberalismus alternativlos geworden war.
Wer aber nun geglaubt und gehofft hatte, nach dem Untergang des von der Sowjetunion weltpolitisch gestützten Kommunismus werde diese Faszination gleichfalls enden und Nüchternheit einkehren, sieht sich heute schwer getäuscht. Die „Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie“, die der evangelische Politologe Klaus Motschmann schon 1990 ausmachte, bestehen heute unverändert fort. Ja, sie scheinen sogar größer geworden zu sein. Denn im Vergleich der Wirklichkeit einer unvollkommenen Wirtschaftsordnung, die nur sehr grob als „Kapitalismus“ beschrieben werden kann, zu einer vollkommenen Idee, dem Sozialismus, hat die Wirklichkeit immer die schlechteren Karten.
„Es hängt für die Zukunft unserer Kultur viel davon ab,
sich der wiederkehrenden Versuchung des Sozialismus
zu widersetzen“
Vor allem bei jungen Menschen, die von den Funktionsbedingungen einer komplexen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft wenig verstehen, finden sozialistische Ideologien daher erneut Anklang. Da aktuell wieder marktwirtschaftsfeindliche Ideologien eine Stimmung zugunsten sozialistischer Vorstellungen zu schaffen suchen – man denke an die auflebenden Enteignungsforderungen, die vielfach sogar erstaunlich positiv kommentiert werden – lohnt es sich, nochmals Bilanz zu ziehen.
Das grundlegende Buch von Kristian Niemietz aus der liberalkonservativen Denkfabrik „Institute of Economic Affairs“ (IEA) in London setzt hier Maßstäbe. Niemietz geht nicht auf das Verhältnis des Sozialismus zur Religion oder zur Anthropologie ein, sondern konzentriert sich auf die ökonomischen Effekte und auf die lange Reihe der „Pilger“, die in sozialistischen Ländern das Heil zu finden glaubten.
Scheitern entschuldigt und verharmlost - immer wieder
Er zeigt, wie bei fast jedem neuen Sozialismusversuch bei Anhängern im Lande selbst wie im Ausland erst großer Enthusiasmus herrschte. Dies führte noch in jüngster Vergangenheit dazu, das Venezuela von Hugo Chávez als Musterbeispiel eines Sozialismus für das 21. Jahrhundert hinzustellen. Doch wie bei der Sowjetunion, Rotchina oder Kuba zuvor, musste auch diese Erwartungen schwer enttäuscht werden. Es dauerte nie lange, bis erhebliche ökonomische und politische Probleme auftauchten. Dann musste behauptet werden, es habe sich in all diesen offensichtlich unattraktiven Fällen gar nicht um „echten“ Sozialismus gehandelt, um das Idealbild gegen jede Konfrontation mit der Wirklichkeit abzusichern.
Dieses Denkschema ist so lebendig, dass sogar die derzeitige SPD-Ko-Vorsitzende Saskia Esken einmal auf Twitter erklärte, den „echten“ Sozialismus habe es bisher noch nicht gegeben. Es ist diese Art von Immunisierung gegen Kritik am Sozialismus, die Niemietz aufs Korn nimmt und mit vielen plastischen Beispielen illustriert – von hierzulande weniger bekannten Vertretern der Labourpartei bis zu berühmten Intellektuellen wie Noam Chomsky oder Schriftstellerinnen wie Luise Rinser, die mit ihrem Nordkorea-Buch eines der groteskesten Beispiele für die Verteidigung eines totalitären Regimes bot.
Egal ob sie es „gut meinen“ - es funktioniert nicht
Für Niemietz ist aber ein Punkt entscheidend, der nicht genug betont werden kann: Das Scheitern des Sozialismus oder Kommunismus hängt nicht von den guten oder schlechten Intentionen der Revolutionäre ab, sondern folgt aus der Logik der Sache. Selbst diejenigen, die wie Hugo Chávez in Venezuela ausdrücklich nicht dem Vorbild der Sowjetunion folgen wollten, landeten schließlich bei einer Planwirtschaft, die genauso ineffizient war und mit massiven Freiheitseinschränkungen einherging. Schon Marx habe die realen Schwierigkeiten eines sozialistischen Systems nicht entfernt vorausgesehen. Als Ideal lasse sich ein Sozialismus mit individuellen Freiheitsrechten wunderbar vorstellen – de facto aber schränkten sozialistische Regime diese Rechte wie etwa die Personenfreizügigkeit immer mehr oder weniger stark ein.
Schon 1977 stellte der Kölner Soziologe Erwin K. Scheuch die simple Frage „Muss Sozialismus misslingen?“ Seine Antwort war damals ein klares Ja. Denn es gibt keine guten Beispiele dafür, dass Sozialismus in modernen Gesellschaften gelingt. Immer neue Versuche haben nichts daran geändert, dass der Sozialismus eine der großen Paradoxien der Politikgeschichte darstellt: Eine Politik, die angeblich den Schwächsten und Ärmsten helfen soll, macht die Gesellschaft als Ganzes ärmer – dies bestätigt Niemietz mit seiner glänzenden Studie, die weite Verbreitung verdient. Denn es hängt für die Zukunft unserer Kultur viel davon ab, sich der wiederkehrenden Versuchung des Sozialismus zu widersetzen. Politische Bildung versagt dabei zurzeit in einem erheblichen Maße.
Kristian Niemietz: Sozialismus. Die gescheiterte Idee, die niemals stirbt.
Finanzbuch Verlag, München 2021, 317 Seiten, ISBN 978-3-95972-440-1, EUR 22,99
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