Papst Benedikt XVI.

Päpstliches Potpourri

Der Herder-Verlag wagt einen Streifzug durch das theologische Gesamtwerk Benedikts XVI.
Papst Benedikts XVI. im Deutschen Bundestag
Foto: imago stock&people | Die Ansprache Papst Benedikts XVI. aus dem Jahr 2011 zählt zu seinen historischen Reden. „Herder“ versucht nun einen Streifzug durch sein theologisches Machtwerk.

Im Jahr 2008 sprach Papst Benedikt in Paris im Collège des Bernardins zu den Repräsentanten des kulturellen Frankreich. Sein Thema war die „Kultur des Wortes“, die sich im abendländischen Mönchtum aus der Suche nach Gott entwickelt hat. In den Worten der biblischen Schriften hätten die Benediktinermönche „das Wort, den Logos selbst, der sein Geheimnis durch die Vielfalt hindurch ausbreitet“, vernommen. Liturgie und Kirchenmusik, Wissenschaft und Bibliothekswesen hätten einen klösterlichen Ursprung und eine Dienstfunktion. Zudem sei das Christentum keine Buchreligion, sondern „Gotteswort durch Menschenwort“, in dem Gott auf uns zugeht. Darum bedürfe es der Verkündigung und der lebendigen Gemeinschaft der Kirche als Auslegungsinstanz und zur Vergegenwärtigung  „der ewigen Vernunft in unserem Fleisch“.

Dieser Vortrag ist ein Schlüssel, der einen Zugang zu Benedikts Denken eröffnet: Der ewige Logos, seine Offenbarung im Menschenwort, die Antwort darauf in der Liturgie der Kirche, in Gebet und Musik. Die „Kultur des Wortes“ als der Ursprung der Bildung in Europa. Für die vorliegende Textauswahl hat der Verlag den Titel „Papst der Bücher“ gewählt. Damit wird Benedikt, der Papst des Wortes, nicht zutreffend beschrieben.

Der Verlag wirbt gleichzeitig für die Verteidigungsschrift des Synodalen Weges

Die Beziehung Ratzingers zum Verlagshaus Herder gehen auf das Jahr 1956 zurück. Damals verpflichtete Karl Rahner den jungen Professor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising zur Mitarbeit am ersten Band der zweiten Auflage des „Lexikons für Theologie und Kirche“. Ratzinger, der gerade seine erste Eschatologievorlesung vorbereitete, hatte die Artikel „Auferstehung des Fleisches“ und „Auferstehungsleib“ übernommen.
In den Folgebänden ist Ratzinger mit zahlreichen weiteren Beiträgen vertreten. Auch an den nachkonziliaren Ergänzungsbänden war er beteiligt. Seine großen Erfolgstitel hat Professor Ratzinger allerdings nicht bei Herder publiziert, weder die „Einführung in das Christentum“ (1968), noch „Eschatologie – Tod und ewiges Leben“ (1977), noch die „Theologische Prinzipienlehre“ (1982).

Verdienstlicher wäre es gewesen, wenn der Verlag im vorliegenden Band, statt weitgehend bekannte und kostengünstig leicht anderweitig verfügbare Texte abzudrucken, die durchaus wechselvolle Geschichte der Beziehung zu seinem Autor aus seinem Archiv dargestellt hätte.
Während sich auf dem Umschlag Vater und Sohn Herder im päpstlichen Glanz sonnen, wirbt ihr Verlag gleichzeitig ganzseitig für die Verteidigungsschrift des Synodalen Weges durch einen Autor, der in der hauseigenen Zeitschrift über diesen Papst schreibt: „Joseph Ratzinger hat sein Christentum erdacht, es in unterschiedlichen Positionen als das orthodox-katholische Christentum durchgesetzt (…) er (ist) die Figur, an der sich die Geister scheiden und der Katholizismus auseinanderbrechen sollte“. Auf dem Umschlag sind in der Mitte der Papst zu sehen sowie rechts und links je eine Tischreihe mit der Masse seiner Einzelpublikationen. Sie sind alle in die Werkausgabe „Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften“ eingegangen. Darüber hinaus konnte Herder mit der dreiteiligen Christologie „Jesus von Nazareth“ erstmals ein theologisches Hauptwerk von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. veröffentlichen.

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Unbestritten ist die Gesamtausgabe eine verlegerische Großtat und höchst verdienstvoll. Einen erheblichen Anteil daran hat aber auch Bischof Rudolf Voderholzer als Leiter des Instituts Papst Benedikt in Regensburg. Bis auf den biografischen Band („Aus ,meinem Leben“) liegt das Gesamtwerk inzwischen vor.

Die Textauswahl im vorliegenden Buch hat sechs Kapitel. Unter „Glaube – Hoffnung – Liebe“ werden aus den beiden Enzykliken „Deus Caritas est“ (2005) und „Spe salvi“ (2007) längere Auszüge gebracht. Warum die Sozialenzyklika „Caritas in Veritate“ (2009) mit ihrer Betonung einer gerechten Wirtschaftsordnung hier unter den Tisch fiel, erschließt sich nicht. Sodann werden unter „Jesus Christus begegnen“ aus den Jesusbüchern fast sechzig Seiten abgedruckt, wobei der Prologband mit der Kindheitsgeschichte außen vor bleibt.

Die editorischen Nachweise lassen Wünsche offen

Die „Acht großen Reden des Pontifikats“ sind die Ansprache des Kardinaldekans vor dem Konklave (Auszug), die Antrittsrede (Auszug), die Ansprache im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau (2006), die Regensburger Universitätsrede (2006), die Ansprache im Deutschen Bundestag (2011), die Rede bei der ökumenischen Begegnung in Erfurt (2011, Auszug), die Ansprache im Konzerthaus in Freiburg (2011, Auszug) sowie die  Ansprache bei der letzten Generalaudienz (2013, Auszug). Unter der Überschrift „Kirche – Ökumene – Religionen“, werden Konzilserinnerungen, die Frage der Konzilsrezeption, die Zukunft der Ökumene, die Kirche und ihr Verhältnis zu den Religionen zusammengebunden. Beim hier abgedruckten Text „Rechtfertigungslehre und Barmherzigkeit Gottes“ handelt es sich um Fragen, auf die der Emeritus schriftlich geantwortet hat. Dazu geben die Herausgeber an: „Schriftlich geführtes Interview des Theologen Jacques Servais SJ mit dem emeritierten Papst Benedikt über die Frage ,Was ist der Glaube, und wie kommt man zum Glauben?‘, veröffentlicht am 18.3.2016 von Radio Vatikan, Auszug.“

Auch Elio Guerriero hat dieses Interview in seinen – nach dem Tod Benedikts in Italien veröffentlichten – Band mit Texten des Emeritus aufgenommen („Was ist das Christentum – fast ein geistliches Testament“ 2023). Darin heißt es, dass der Jesuit Daniele Libanori die Fragen gestellt habe und Jacques Servais der Übersetzer sei. Am 16. März 2016 sei das Interview in der italienischen Ausgabe des Osservatore Romano erschienen. Im selben Jahr habe Pater Libanori im Verlag Mondadori erstmals den Text in ein Buch aufgenommen. In der Internet-Bibliographie von Pater Servais wird unter der  Überschrift „La fede non e un ideal ma la vita“ das Interview für 2016 aufgeführt: „Intervista di Jacques Servais a papa Benedetto XVI.“ Über diese Widersprüche hinaus ist ungeklärt, in welcher Sprache die Fragen gestellt und die Antworten geschrieben worden sind und welche Autorisierung der deutsche Text hat.

Da es sich im Herderband um die erste deutschsprachige Buchveröffentlichung handeln könnte, fragt man sich, wieso der Text nicht vollständig abgedruckt wurde. Offensichtlich lassen die editorischen Nachweise Wünsche offen. Texte zur Liturgie stehen unter „Den Glauben feiern“, bis auf den „Brief an die Bischöfe zur Wiedereinführung der römischen Liturgie in der Gestalt vor  der 1970 durchgeführten Reform“ (7.7. 2007, Auszug) stammen alle Texte aus dem Liturgieband der Werkausgabe.

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Er rehabilitierte des beiseitegeschobenen alten Ritus

Im Schlussteil „Gesellschaft und Politik“ finden sich unter anderem der Vortrag „Vorpolitische moralische Grundlagen eines freiheitlichen Staates“ und Aussagen zur Befreiungstheologie. Ein Brief des Papstes an den Verleger Manuel Herder zur Edition von „Jesus von Nazareth“ sowie das Kondolenzschreiben des Papstes zum Tod seines Vaters Hermann Herder (20.12. 2011) beschließen den Band. Insgesamt haftet dem Ganzen etwas Beliebiges an. Aus der Gesamtausgabe ließen sich Bände zu aktuellen Einzelthemen erstellen. Somit erscheint die hier gebotene Auswahl wie ein Rückfall hinter die Werkausgabe. Allen Kapiteln ist eine redaktionelle Einführung vorangestellt.

Im Liturgiekapitel ist ein Auszug aus dem Begleitbrief des Papstes an die Bischöfe zum Motu proprio „Summorum pontificum“ (7.7. 2007) abgedruckt. Dazu heißt es in der redaktionellen Vorbemerkung: „Als Papst rehabilitierte er den nach dem Konzil beiseitegeschobenen Ritus (die sogenannte ,alte Messe‘); dabei versuchte er die Quadratur des Kreises, indem er den älteren Ritus zur ,außerordentlichen Form‘ eines einzigen, ungeteilten römischen Ritus erklärte.

Dass Benedikt durch diese Ritenreform auf die schismatisch orientierte Piusbruderschaft zuging, führte zu innerkirchlichen Protesten. Manche befürchteten, der Papst wolle Errungenschaften des Konzils zurückschrauben.“ Was Benedikt getan hat, war gerade keine „Ritenreform“. Er hat am Ritus nichts geändert. Als „außerordentliche Form“ wurde die vorkonziliare Messform vom Nimbus des Verbotenen befreit und ihre Verwendung wesentlich erleichtert. Dies war ein Beitrag zur Wiederherstellung der Kontinuität in der Kirche.

In der Vorbemerkung wurde  unterlassen, darauf hinzuweisen, dass Papst Franziskus in seinem Motu Proprio „Traditionis custodes“ (16.7. 2021) die ordentliche Form des römischen Ritus inzwischen zur „einzigen Ausdrucksform“ erklärt hat und die Feier des ehemals „außerordentlichen“ Ritus gleichzeitig wieder deutlich erschwert hat. Welche Wirkung dies auf den Emeritus gehabt haben soll, davon berichtet ein anderes neues Buch aus dem Verlagshaus Herder.

 

Manuel Herder (Hg.): Der Papst der Bücher. Schlüsseltexte zum Denken Benedikts XVI., Herder, Freiburg, 2023, gebunden, 331 Seiten, EUR 28,–

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