Lapvona – So also sieht die Hölle aus? Die Schriftstellerin Ottessa Moshfegh ist eine Spezialistin des Orkus. Schon in ihrem Roman „Der Tod in ihren Händen“ schickte sie ihrer Protagonistin den Sensenmann. Eine zärtliche Zuneigung bringt die Hauptfigur dem Tod entgegen, der ihr „fragil wie tausend Jahre altes brüchiges Papier“ scheint.
Das Leben dagegen wirkt „vorlaut und aufdringlich“ wie ein „Klassenrüpel“. Lediglich die Natur, Verlockung und Bedrohung zugleich, bietet Trost, denn irgendwo flüstert friedlich vielleicht ein Gott: „Mein kleines Täubchen“.
Apostel politischer Aktivisten
In „Lapvona“, dem seelenlosen Ort ihres aktuellen Romans, gibt es weder Gott noch Teufel. Moshfegh dreht sämtliche Mittelalterklischees durch den Fleischwolf und klebt der ungenießbaren Mélange das Etikett „Herrschaftskritik“ auf. In ihrem neuen Roman erfüllt sie billigst das zeitgenössische, verkaufsfördernde Desiderat: Die Reichen sind böse, Geld ist widerlich und das Feudal-Kapitalistische so unabänderlich wie die Jahreszeiten. Natürlich darf auch das übliche Religions-Bashing nicht fehlen: Die Pfaffen paktieren mit den Fürsten, das Erlöserkindchen ist ein Bankert. Die Bösen obsiegen, die Guten krepieren. Damit‘s auch wirklich der letzte Tölpel merkt, dass „Lapvona“ eine Parabel auf unsere Zeit ist, winkt die Autorin im Interview mit dem Zaunpfahl: Aha, auch in Lapvona gibt‘s einen Trump! Oder so ähnlich ...
Es ist ein Jammer, dass sich selbst Literaten, die sich bisher der grassierenden Opferverherrlichung und der plakativen Politisierung von Literatur verweigerten, dem Zeitgeist ergeben und sich als Apostel politischer Aktivisten erweisen.
In der Bibel wird, dem Genre geschuldet, kein Hehl daraus gemacht, dass Jesu Gleichnisse dem Leser Aufschluss über seine eigene Lebenswirklichkeit geben sollen. Der Ansatz aber ist subtiler: Gleichnisse erfüllen nicht nur die Sehnsucht nach Geschichten, sondern ermöglichen auch eine Distanz zu den Dingen und eröffnen einen Raum zur Selbstreflexion. Diese Distanz wird derzeit aufgelöst in einer geschichtslosen Identifikation. Absurd und geringschätzig ist es, dass dem Leser nur mehr mundgerechte Häppchen serviert werden, die weder auf den Magen schlagen noch den gedanklichen Verdauungsprozess anregen dürfen. Auf die zahlreichen autofiktionalen Ergüsse folgen romaneske Systemdemontagen, die moralisch belehrend daherkommen oder bestenfalls noch als Gimmick Geltung beanspruchen können. Für Satire oder auch biblische Gleichnisse fehlt es Lapvona-Geschichten an Pointiertheit und auch am Vertrauen in den denkfreudigen Leser.
Wer an Krisen wächst ist konservativer Mitläufer
Figuren wie der junge Fürst von Lapvona können einem Parzival nicht das Wasser reichen, da ihnen keine Entwicklungsfähigkeit zugestanden wird. Immer sind sie nur Produkte des Systems, Opfer nicht ihrer eigenen selbst verschuldeten Unmündigkeit, sondern krakenhaften Herrschertums. Opfertum wird instrumentalisiert für „höhere“ Zwecke. Von Autorenaktivisten unterschiedlicher Couleur werden Opfer benutzt, um politische Ziele durchzusetzen.
Aus einem vorübergehenden Zustand wird so ein ewigwährender. Für die Benachteiligten und Leidenden wird es immer schwieriger, sich zu befreien, denn die Hölle sind nicht einmal mehr die anderen, sondern das vermaledeite System.
Jeder, der an seinen Krisen wächst dagegen, gilt plötzlich als Mitläufer und konservativ.
Das Vertrauen in die eigene Wandlungsfähigkeit und Stärke ist aber weitaus progressiver als der unbeirrte Glaube an dubiose, nicht weiter ausgeführte strukturelle Ungerechtigkeiten.
Wer Resilienz erworben hat, ist kein Duckmäuser und Systembewahrer. Er gibt sich nur nicht mit verbalem Dope wie „Struktur“ und „System“ zufrieden, sondern packt an, um dem „Klassenrüpel“ Leben die Stirn zu bieten. Nicht wahr, mein Täubchen?
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