Karl Forster (1928–1981), Organisator, Administrator und Professor, gehört zu den prägenden Priester-Figuren in der ersten Phase der Bundesrepublik. Man könnte ihn einen Strippenzieher nennen, wenn das Wort nicht einen negativen Beigeschmack hätte. Gesprächsfähig gegenüber allen Seiten sein wollte der Gründungs-Direktor der Katholischen Akademie in Bayern, der danach erster Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz wurde. Eine Mitra für ihn verhinderte Franz Josef Strauß, der sein Grundanliegen nicht verstand und ihm in Gegnerschaft verbunden war. Die Biografie des vielleicht letzten politischen Prälaten Deutschlands war überfällig und wurde nun von Simon Oelgemöller in mustergültiger Weise vorgelegt.
Keine echte nationalsozialistische Prägung
Als Sohn eines Lehrers in Amberg geboren und ein guter Schüler außer in Sport, interessierte er sich für Mathematik, musste aber zunächst, dem Zeitkontext folgend, der Hitlerjugend beitreten, wo er es, dank früh hervortretender Organisationsfähigkeit, zu einem mittleren Rang brachte. Dies, aber auch ein nicht behandelter Herzklappenfehler, wirkte sich in seinem Leben noch aus. Eine echte nationalsozialistische Prägung sieht der Autor weder für Forsters Elternhaus noch für ihn. „Volkssturm“-verpflichtet, arbeitete Forster nach dem Ende 1945 zunächst als Übersetzer für die amerikanische Militärregierung und schwenkte dann auf Theologie um, „angesichts der Erfahrungen des totalen Sinnverlustes, der Kriegsauswirkungen und der Vermittlung eines falschen Wertesystems“. Als in Landshut Wohnender wurde er Münchener Seminarist und absolvierte ein rasches und glänzendes Studium, unter anderem an der Seite eines gewissen Joseph Ratzinger.
Eine theologische Begabung war zu erkennen, aber auch die Fähigkeit, Menschen zu führen: Als erster katholischer Theologe war er AStA-Vorsitzender in München und führte einen aufsehenerregenden Kampf gegen die von der DDR gesteuerte „Freie Deutsche Jugend“, die sich vor dem Mauerbau auch im Westen tummelte. Forster drängte es in die Lehre, aber es kam anders: Ihm wurde wegen seiner früh bewiesenen Tatkräftigkeit der Aufbau und dann die Leitung einer neu ins Leben gerufenen Institution anvertraut: Noch vor dem Konzil ergriff Münchens Kardinal Joseph Wendel die Initiative zur Gründung einer gesamt-bayerischen Bildungsstätte neuen Stils und übertrug deren Leitung dem damals gerade mit seiner Habilitation beschäftigten Priester, der dann mit 29 Jahren am 1. Februar 1957 dem Gründungsakt der Katholischen Akademie in Bayern vorstand.
Er wusste als junger Direktor genau, was er wollte
Der junge Direktor wusste genau, was er wollte und man ließ ihn gewähren: Die Kirche, Anwältin des Gemeinwohls, stelle ein Forum bereit, „die zeitgemäßen Fragen, Anliegen und Blickwinkel des heutigen Menschen aufzugreifen, um nicht nur zu belehren, sondern auf Basis wissenschaftlicher Argumente argumentativ zu überzeugen“. Toleranz sollte dabei nicht „taktisches Mittel, sondern innerstes Gesetz“ sein, so Forster.
Der Erfolg war phänomenal, die Veranstaltungen der später mit einem eigenen Haus in Schwabing versehenen Akademie wurden bundesweit wahrgenommen. Ihr Direktor musste lernen, dass er sich im politischen Raum bewegte – wollte dies allerdings auch – als er gegen vielfältige Widerstände 1958 die SPD zu einer Tagung über das schwierige Verhältnis zwischen Kirche und demokratischem Sozialismus einlud. Die Publizität war ungeheuer, der Tagungsband lag alsbald auf den Schreibtischen von Pius XII. und Kanzler Adenauer – und Forster hatte einen Feind mehr: Der aufstrebende Mann der CSU, Strauß, hatte erkannt, dass die SPD nur zu gerne die Möglichkeit nutzte, sich als staatstragend und für Katholiken wählbar zu präsentieren, was die Präsenz von Carlo Schmid und Adolf Arndt in München belegte. Für Strauß war schon die Eröffnung des Gesprächskanals der Grund, Forster nachdrücklich zu grollen. In der Folge intervenierte er mehrmals gegen ihn und schwärzte ihn als angeblich ranghohen HJ-Führer beim Nuntius an, sogar ein gefälschter Lebenslauf kam in Umlauf. Dennoch machte sich der Akademie-Direktor nicht nur durch diese Tagung, die in der Forschung als Meilenstein hin zum Godesberger Programm der SPD gilt, einen Namen, zeigte zudem Unbeugsamkeit im Umgang mit Kritik. Forster sprach sich stets „für eine parteiunabhängige Kirche, aber aktive Positionierung der Katholiken aus“.
Beitrag zur Entkoppelung von Kirche und CDU
Er leistete so – bewusst oder unbewusst – einen Beitrag zur Entkoppelung von katholischer Kirche und CDU, machte zugleich die Akademie zu einem Ort der Transformation, „zu einer Schlüsselinstitution für die gesellschaftliche Verortung“ des Katholismus in Deutschland. Doch war der Weg Forsters noch nicht zu Ende.
1967 berief sein Ortsbischof Julius Kardinal Döpfner in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz Forster zum ersten Leiter des neu gegründeten Sekretariats. Es galt, in nachkonziliarer Zeit Strukturen aufzubauen, und dafür erschien der erfolgreiche Akademiedirektor als richtiger Mann. Forster musste allerdings lernen, sich nun in einem „größeren Kontext der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung“ – nämlich im Dialog nicht nur mit Döpfner, sondern mit allen Bischöfen plus Politik und Medien – zu bewegen; es ging vermehrt auch um Kompromisse.
Er bewährte sich auch hierin, gab den Anstoß zur Gründung des Verbandes der Diözesen Deutschlands zur Abwicklung der Rechtsgeschäfte der Bischofskonferenz (wie er schon zuvor bei der Gründung der Kommission für Zeitgeschichte eine wichtige Rolle gespielt hatte) – und trat 1971 nach Ablauf seiner statutengemäßen Amtszeit zum allgemeinen Erstaunen zurück. – Oelgemöller schreibt, die Amtszeit habe sechs Jahre betragen, Forster war aber nur vier Jahre tätig.
Für die damals viel hinterfragte Entscheidung kennt der Autor eine plausible Erklärung: Zum einen allgemeine Erschöpfung, denn Karl Forster hatte es auch noch zum Sekretär der Würzburger Synode gebracht – mit allem, was dazugehörte, auch an Anfeindungen –, zum anderen sollte das Sekretariat der Bischofskonferenz künftig nicht mehr beim Vorsitz-Bischof angesiedelt sein, sondern einen ständigen Sitz in Bonn erhalten. Darauf hatte der Bayer Forster schlicht und einfach keine Lust, schreibt sein Biograf. Zudem meldete sich der alte Wunsch nach der wissenschaftlichen Laufbahn wieder, denn noch war es nicht zu spät.
Ein Opfer seiner Begabungen
Die Berufung auf einen Münchener Lehrstuhl war zwar von Strauß verhindert worden, doch tat sich eine Möglichkeit an der neu gegründeten Augsburger Universität auf. Als Pastoraltheologe dort arbeitend, führte er die neuen Methoden der Religionssoziologie ein, mit zahlreichen Umfragen – was von manchen kritisiert wurde – schärfte er jedenfalls das Profil seines jungen Faches.
Auf dem Weg zu einer Vorlesung 1981 ereilte Karl Forster, der herzkrank und Kettenraucher war, ein plötzlicher Tod, nachdem sich kurz zuvor noch die Nachfolge Ratzingers auf dem Münchener Bischofsstuhl wiederum wegen der alten HJ-Vorwürfe erledigt hatte.
Ein „Opfer seiner Begabungen“ nannte ihn der Jesuit Oskar Simmel, als „moderaten Modernisierer“ kennzeichnet ihn sein Biograf Simon Oelgemöller in diesem als sehr gelungen anzusehenden Werk über einen Priester, der den Anspruch der Kirche auf Wahrnehmung und gesellschaftliche Wirksamkeit in einer Weise vertrat, die ihn zur respektierten öffentlichen Figur machte und den Anliegen, die er vertrat, in vielen Fällen Erfolg verschaffte. Doch stärkte sein Wirken zugleich den seitdem immer stärker sich manifestierenden Charakter der deutschen Kirche als einer „unerklärten Staatskirche“.
Simon Oelgemöller: Karl Forster (1928–1981): Katholizismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn, 2019, 400 Seiten, ISBN 978-3-506-79271-6, EUR 89,–
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