Buchrezension

Iran: Aufstand gegen den Islam

Im Iran wendet sich nicht nur die Gesellschaft, sondern auch das Regime vom Propheten Mohammed ab.
Demonstration gegen Irans Regierung in Spanien
Foto: Ximena Borrazas (SOPA Images via ZUMA Press Wire) | Katajun Amirpur beschreibt auf der Grundlage weitgehend unbekannter Quellen, zahlreicher Besuche in Iran, Gesprächen mit Dissidenten sowie Berichten von Zeitzeugen die Wandlungen des Regimes in Teheran.

Katajun Amirpur ist Journalistin und Professorin für Islamwissenschaften in Köln. Hervorgetreten ist sie mit einer grundlegenden Biographie des iranischen Revolutionärs Ayatollah Chomeini, und nun berichtet sie über den aktuellen Aufstand gegen seine geistigen Erben, die Führer des Mullah-Regimes in Teheran. Seit September 2022, so legt sie überzeugend dar, ist es nicht mehr nur die iranische Gesellschaft in ihrer ganzen Breite, die sich von Islamismus und zunehmend vom Islam insgesamt abwendet. Auch das Regime selbst scheint nicht mehr an die Offenbarungen Mohammeds zu glauben. Ein Abfall von Khomeini? Nationales Pathos, nationalistische Töne haben seit neuestem sogar in offiziellen Verlautbarungen Vorrang vor dem Koran. Zwar steigert das Mullah-Regime die Methoden des Terrors, mit denen Khomeini ab 1979 die Iraner zu drangsalieren begann, aber Polizei und Militär schwingen nun nicht nur die Knüppel, sondern drücken wahllos ab und hängen tausendfach Menschen auf.

Frauen sind im Widerstand federführend

Epochale Umwälzungen im Iran deuten sich jedenfalls an, und die Autorin registriert sie seismographisch genau. Schon in ihrer Einleitung geht sie auf den Tod einer jungen Frau ein, die von der Sittenpolizei ermordet wurde, weil sie das religiöse Zwangskopftuch nicht tragen wollte: „Die Frauen, die federführend sind, aber auch die ethnischen, sprachlichen und religiösen Minderheiten sowie ganz unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen – Arbeiter, Angestellte, Lehrer, Studenten, Professoren. Jeder denkt: Was Jina Mahsa Amini passiert ist, als sie am 16. September 2022 im Gewahrsam der Sittenpolizei zu Tode kam, hätte mir, meiner Mutter, meiner Schwester, meiner Cousine auch passieren können, es betrifft uns alle. Das ist anders als bei den bisherigen Protesten, die wir spätestens seit 2009 beobachten. Wir wissen durch Leaks der iranischen Hackergruppe Black Reward, dass das Regime gerade das Schichtenübergreifende des Protests als veritable Gefahr einschätzt.“

Hinter der Fassade der strikten Gottesherrschaft hat sich längst eine brutale Diktatur der Revolutionsgarden etabliert, der es um Machterhalt und geopolitischen Einfluss geht, wie Katajun Amirpur sehr genau aufschlüsselt: „Die sogenannten Revolutionswächter, Pasdaran, wurden eigens dazu gegründet, das Regime zu verteidigen. Diese Handlanger haben viel zu verlieren und zu fürchten – vor allem die Rache einer Bevölkerung, die sie jahrzehntelang terrorisiert haben. (…) Das Regime besteht aus Revolutionären und weiß daher, dass es keinesfalls nachgeben darf, wenn es an der Macht bleiben will. Deshalb erstickt es jeden Protest im Keim. Schon Alexis de Tocqueville wusste, dass der gefährlichste Moment für eine schlechte Regierung der ist, in dem sie sich zu Reformen bereit erklärt.“

Prominente schweigen nicht länger

Ein prominenter Rundfunkmann, Mohammad Omrani, sorgte im Oktober 2022 für beklommene Aufmerksamkeit, als er über unabhängige Medien folgende Botschaft sandte: „Ich schweige nicht länger, ich bin ein alter Mann, ich will in Frieden sterben. Ihr seid bewaffnet? Nun, auch wir sind bewaffnet.“ Langsam sprach er dann die Namen der jüngsten Opfer des islamischen Regimes: „Mahsa, Nika, Navid – unser Blut. Das ist unsere Waffe. Ihr müsst davon gehört haben, dass Blut über das Schwert siegt. Und nun werdet ihr es sehen. Welcher Schrei ist lauter als der unserer getöteten Kinder?“ Ja, und auch der Mut von Katajun Amirpur ist enorm, wenn sie dies berichtet und weiter über das generelle Problem im Iran schreibt: „Der Islam ist nicht die Lösung, er ist Teil des Problems. Vom Widerstand gegen den Islamismus zur Abwendung vom Islam ist es für viele Iranerinnen und Iraner offenbar nur ein kleiner Schritt. Das zeigt sich an der Hinwendung zu anderen Religionen, vor allem zum Zoroastrismus, aber auch zu Buddhismus und zu Christentum.“

Nicht minder mutig ist der renommierte Beck-Verlag, und dieses Buch schmückt sein Programm. Denn Katajun Amirpur beschreibt auf der Grundlage weitgehend unbekannter Quellen, zahlreicher Besuche in Iran, Gesprächen mit Dissidenten sowie Berichten von Zeitzeugen die Wandlungen des Regimes in Teheran. Bereits 1979 vom mörderischen Islam durchtränkt, kommt jetzt zunehmend staatliche Repression dazu. Doch die Iraner – und besonders die Iranerinnen – haben begonnen, die Fassade des Islamismus niederzureißen, auch wenn dahinter Guillotine und Maschinengewehre lauern.

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Der Iran ist kein islamischer Gottesstaat

Dem Werk sind recht viele Leser zu wünschen. Denn immer noch wird in westlichen Denkschulen, bevorzugt übrigens im politisch linken Spektrum, das Mantra nachgebetet, der Iran sei „seit der Revolution von 1979 ein Gottesstaat“, Allah selbst regiere das Land mit Hilfe eines Rechtsgelehrten, der – so wird verharmlost – „stellvertretend die Staatsgewalt innehat“. Der Beck-Verlag, der einmal mehr ein sehr mutiges Buch herausbrachte, rückt das Bild gerade, denn dies sei nur „die Ideologie, der das westliche Bild vom Staat der Mullahs willig folgt“. Muss der Name „Claudia Roth“ hier eigens genannt werden? Wohl kaum. Katajun Amirpurs überraschendes Buch macht dagegen eindrucksvoll deutlich, warum diejenigen unter den Iranerinnen, die diese Revolution mehrheitlich tragen, trotz aller Opfer endlich Erfolg haben könnten.

 

Katajun Amirpur: Iran ohne Islam. Beck-Verlag, München 2023, 240 Seiten, ISBN 978-3406803062, EUR 25,-

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