Fußball im Vatikan

Immer am Ball

Ulrich Nersinger gibt überraschende Einblicke in die Geschichte des vatikanischen Fußballs.
Päpste und Fußball
Foto: IMAGO/MASSIMILIANO MIGLIORATO/CPP / (www.imago-images.de) | Papst Franziskus signiert einen Fußball für das Schülernetzwerk Scholas Occurentes.

Am Sonntag hat im voll besetzten Al Bayt Stadion der Küstenstadt Al Kohr das Eröffnungsspiel zwischen Katar und Ecuador begonnen. Bereits im Vorfeld standen Spielpläne zum Download und Ausdruck bereit, die einen Überblick über die 32 teilnehmenden Mannschaften (in acht Gruppen), über Termine und Anstoßzeiten bieten, bis zum Finale am 18.12. Beim Blick auf die Nationalflaggen – von Brasilien bis England, von Kamerun bis Südkorea – kommen Fragen auf: Welche Spieler werden sich auf dieser Weltbühne besonders profilieren? Werden bisher weniger bekannte Fußballspieler für Furore sorgen und wird es unter den Teams, die bis in die Finalspiele vordringen, eine große Überraschung geben?

Die Vergabe an das Gastgeberland ist – aus mehreren Gründen – mehr als umstritten. Wer sich aber dennoch auf die Fußballweltmeisterschaft einstimmen will, oder wer sich – WM-unabhängig – einfach nur für Fußball, Sport allgemein und Vatikan-Geschichte interessiert, dem sei die Lektüre eines neuen Buches von Ulrich Nersinger empfohlen. Dieser ist, hinsichtlich der Thematik seiner Bücher, mit denen er den Vatikan, Päpste und die Kirchengeschichte unter unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet, immer für eine Überraschung gut (man denke nur an Titel seiner bisherigen Publikationen, wie etwa „Der Papst und die Frauen“ oder „Die Arche Petri – von großen und kleinen Tieren im Vatikan“). Diesmal begibt er sich mit uns auf eine historische Spurensuche, mit Schwerpunkt auf dem „vatikanischen Fußball“, eine Welt, deren Existenz man vielleicht gar nicht für möglich gehalten hat.

Interessante Einsichten in sportliche Aktivitäten von Päpsten

Zunächst gibt der Autor jedoch über das Verhältnis des „Vatikans“ (von Päpsten oder Mitarbeitern) zu anderen Sportarten – von Fechten bis Radfahren, Reiten und Judo – einen Rundumüberblick. Dabei ergeben sich interessante Einsichten in sportliche Aktivitäten von Päpsten, des Gendameriekorps oder von Mitarbeitern des Vatikans wie  zum Beispiel Fußball – bereits im 16. Jahrhundert gab es den Ausdruck „calcio fiorentino“ (Florentiner Fußball) – Reiten oder Bergsteigen. Nersinger präsentiert überraschende historische Fundstücke und bei Papst Pius XI. stellt er sogar einen direkten Bezug zwischen dessen sportlichen Aktivitäten und seinem Charakter her.

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Schließlich ist es der polyglotte „Kulturminister“ des Vatikans – Kardinal Gianfranco Ravasi –, der am Ende des ersten Teiles dieses Buches ein Fazit zieht: „Sport, Kultur, Religion und Ethik“ gehören zusammen. Der Rezensent stimmt zu (wer wollte einem großen Gelehrten wie Ravasi auch widersprechen?) und ist gespannt auf die nächsten Kapitel.

Der Verfasser hat sein Buch klug eingeteilt, denn im Anschluss konzentriert sich Nersinger voll auf Fußball. Dabei stellt er eine These auf, die erstaunt und unter Fußballfans in englischen Pubs vielleicht auf ungläubigen, oder gar lautstarken, Widerspruch stoßen würde: Der erste Fußball soll lange vor Christi Geburt (und nicht in England, dem Mutterland des Fußballs) gerollt sein?! Nersinger liefert den chinesischen Fachausdruck aus der Huang-Dynastie gleich mit, der hier – wegen seiner prägnanten Kürze – wiedergegeben wird: „Ts'uh-küh“ („den Ball mit dem Fuß stoßen“).

Dass es sich bei einem Bekenntnis eines Papstes nicht um das „Credo“ handeln muss, bewies der „bekennende“, leidenschaftliche Fußballfan Johannes Paul II. Er war unter anderem Ehrenmitglied sowohl beim FC Barcelona als auch bei Real Madrid, Vereinen, unter denen sonst eine große Rivalität herrscht.

„Und Sie sind Brasilianer?“

Nersinger untersucht nun die Beziehung von Päpsten – von Paul VI. bis zu Franziskus – zum Sport und besonders zum Fußball. Wer bereits Bücher dieses Autors gelesen hat, weiß, dass es dabei nicht „staubtrocken“, sondern durchaus auch unterhaltsam zugehen kann. So ist etwa die Frage eines ehemaligen Papstes an den größten Fußballer aller Zeiten, Pelé: „Und Sie sind Brasilianer?“ (bei allem Respekt), einfach köstlich.

Eine wesentlich größere Begeisterung für den Fußball – so erfährt man – brachte Kardinal Tarcisio Bertone auf. Es muss ein Erlebnis gewesen sein, ihn als passionierten Radio- und-TV-Kommentator von Spielen von Juventus Turin (wegen der Farben ihrer Trikots unter anderem auch „i Bianconeri“ – die „Weiß-Schwarzen“ – genannt) zu erleben. Als großer Fußballfan, seit seiner Jugendzeit in Buenos Aires, erweist sich auch Papst Franziskus; ein Anhänger des Fußballclubs San Lorenzo (der in seinem Vereinsnamen an den heiligen Laurentius erinnert und einen Salesianerpater zu seinen Mitbegründern zählt). Ein ehemaliger Mitschüler stellt aber die Reihenfolge seiner Interessen klar. An erster Stelle stand bei José Bergoglio die Literatur. Grund genug, ihm darin nachzueifern und zu dem hier rezensierten Buch zu greifen.

Den dritten Teil der „Himmelsstürmer“ bilden Ansprachen des amtierenden Papstes, darunter eine an Spieler der Nationalmannschaften Argentiniens und Italiens, also ausgerechnet der Länder, in denen er aufwuchs, etwa in dem er  nach der Emigration seiner Familie später lebte. Seine Ansprachen – bald ernsthaft, ermahnend, bald scherzhaft, humorig – sind immer noch aktuell: Man denke nur an seinen Hinweis, dass Fußballer Vorbilder sein sollen, dass diese Sportart, bei allem Wettkampf, ein Spiel ist, das nicht zu stark kommerzialisiert werden sollte.

Ulrich Nersinger hat auch für dieses sehr lesenswerte Buch wieder gründlich recherchiert. Davon zeugt die mehrsprachige Literaturliste (Auswahl) im Anhang. Hervorzuheben ist schließlich auch die ausgesprochen gelungene Umschlaggestaltung durch Ulrike Christ. Der Fußball auf dem Cover fügt sich harmonisch in das Deckengewölbe von St. Peter ein. Auch der auf der Buchrückseite – auf rotem Untergrund – zu sehende Fußballschuh in den Vatikanfarben Gelb-Weiß, samt Papstwappen, wirkt elegant und gefällig. Wer weiß, ob Fußball-Ausnahmekünstler wie Messi, Neymar oder Musiala mit solchen Fußballschuhen nicht noch genialere Pässe schlagen oder spektakulärere Tore erzielen würden.


Ulrich Nersinger: Himmelsstürmer. Ein Blick in die Geschichte des vatikanischen Fußballs. Verlag Petra Kehl, Künzell 2022, 70 Seiten, ISBN 978-3-
947890-12-5, EUR 9,90

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