Wenn ich auch ebenso peitschen und köpfen lassen könnte wie er, dann würde ich auch mehr schaffen können.“ So äußerte sich Wilhelm II. im Juli 1905 bei einem Besuch von Castel del Monte auf Sizilien über dessen Erbauer Friedrich II., den größten der Stauferkaiser. Diese Worte gewähren nicht nur einen interessanten Einblick in die kaputte, großspurig-vermessene Persönlichkeit des letzten Hohenzollern-Kaisers Wilhelm. Sie bringen vor allem auch ein bestimmtes Bild von Friedrich zum Ausdruck, dem schon manche mittelalterliche Quellen dämonische Größe, Machtwillen und einen Hang zu rücksichtsloser Grausamkeit attestieren. Sein Verhältnis zum Papst war gespannt. So kam es zu der bizarren Konstellation, dass er seinen erfolgreichen Kreuzzug zur Rückeroberung Jerusalems 1228–1229 im Zustand der Exkommunikation unternahm. Dass er sich mit den Sarazenen auf vertragliche Kompromisse einließ, nahmen ihm manche Zeitgenossen übel. Es ging sogar das Gerücht, Friedrich sei eigentlich Muslim gewesen. Überhaupt hielten ihn viele für den Antichristen. Andere dagegen feierten ihn als mustergültigen Idealherrscher. Der Widerstreit der Meinungen legt nahe, dass die Wahrheit komplexer ist als solche Extrempositionen es behaupten. Olaf B. Raders Friedrich-Biographie stellt sich dieser Komplexität. Der als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Quelleneditionen der „Monumenta Germaniae Historica“ tätige Autor legt eine ungemein kenntnisreiche und quellengesättigte Darstellung vor.
Rader betrachtet den Kaiser „von Süden her“ – also weniger als Teil der deutschen Kaisertradition, sondern als Menschen der mediterranen Welt. Aus dieser Perspektive lassen sich für ihn viele Entscheidungen und Prioritäten des Kaisers besser erklären. Auch kulturell hat Friedrich im Süden Spuren hinterlassen: In den ihm umgebenden literarischen Kreisen wurde die italienische Nationalliteratur geboren.
Rader geht bei seiner Darstellung nicht rein chronologisch vor – was ermüdend wäre –, sondern bemüht sich vor allem, den Staufenherrscher in seinen verschiedenen Funktionen und Wesensfacetten vorzustellen. Deshalb tragen seine einzelnen Kapitel Überschriften wie „Der Gesetzgeber“ oder „Der Dichter“. Ein ganzes Kapitel (und nicht das uninteressanteste) widmet sich Friedrichs Vorliebe für die Falkenjagd. Es spricht für Friedrich, dass er sich überhaupt aus so vielen verschiedenen Blickwinkeln sinnvoll betrachten lässt. Rader vernachlässigt keinen relevanten Aspekt. Über die Kreuzzüge Friedrichs erfährt man in diesem Buch ebenso Profundes wie über seine enorm ausgeprägten literarischen und wissenschaftlichen Interessen. Bei allem, was er tat, achtete der Kaiser selbstbewusst auf die Außenwirkung. An den Sultan al-Kamil schrieb er während seines Kreuzzuges: „Die Könige und der Papst wissen um meine Fahrt. Wenn ich davon zurückkehre, ohne etwas erreicht zu haben, werde ich alles Ansehen in ihren Augen verlieren.“
Auch die Ritterorden werden zum Thema
Über den Details verliert Rader die Hintergründe und den breiten historischen Horizont nicht aus dem Blick. Grundlegende Fragen wie das Spannungsfeld zwischen Kaiser und Papst oder die Rolle der kämpferischen Ritterorden werden anschaulich und ansprechend erörtert.
Mit seinen ausgewogenen Urteilen wird Rader der Gestalt Friedrichs in ihrer ausgeprägten Ambivalenz vollauf gerecht. Dunkle Seiten werden nicht ausgespart, so wie die grausame Behandlung, die Friedrich seinem aufständischen Sohn Heinrich zuteilwerden ließ (den er dennoch nach dessen Tod eines königlichen Begräbnisses würdigte) oder der Hang des Kaisers, seine Gegner enthaupten, verstümmeln, ertränken, verbrennen oder blenden zu lassen. Dabei beschränkt sich Rader aber nicht auf eine spekulative psychologische Deutung, sondern macht auf strukturelle Probleme in Friedrichs Herrschaft aufmerksam, die solche extremen Maßnahmen zur Folge hatten.
Wie lange werden Figuren wie Friedrich noch wirken?
Immer wieder wirft Rader auch Schlaglichter auf die Rezeptionsgeschichte Friedrichs in späteren Jahrhunderten. Dabei gibt es auch Komisches zu berichten, wie etwa die Aussage eines Augenzeugen zu der Öffnung von Friedrichs Sarg im Jahr 1998, der den sich bietenden chaotischen Anblick als „wie ein Trog angefüllt mit leeren staubigen Kartoffelsäcken“ beschrieb (was auch daran lag, dass man später in demselben Sarg noch zwei andere Tote untergebracht hatte). Tief in die deutsche Geistesgeschichte führen dagegen die Ausführungen zur Friedrich-Monographie des dem George-Kreis angehörenden Gelehrten Ernst Kantorowicz von 1927, in dem das Stauferbild des Kreises mustergültigen Ausdruck fand. Es mutet bizarr an, dass sich Nazigrößen wie Himmler und Göring für das Buch des jüdischstämmigen Kantorowicz begeisterten, den ihre Politik in die USA vertrieb (und Hitler soll es sogar gleich zweimal gelesen haben).
Auf der anderen Seite gab die Monographie freilich auch den Gebrüdern Stauffenberg Kraft und Anregung. Rader huldigt anders als noch Kantorowicz gewiss keinem metaphysisch aufgeladenen Friedrich-Mythos, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts anachronistisch und komisch wäre. Und doch bleibt der Staufer auch in dieser nüchternen, abgeklärten Darstellung eine Gestalt, deren Faszination sich niemand entziehen kann, der ein Gefühl für historische Größe besitzt. Solange es Menschen gibt, die sich der Ausstrahlung geschichtlicher Figuren wie Friedrich nicht entziehen können, solange wird die westliche Zivilisation noch nicht völlig verloren sein. Raders Biographie bietet eine gute Gelegenheit, sich mit diesem Teil unserer kulturellen Überlieferung (wieder) vertraut zu machen.
Olaf B. Rader: Friedrich II. Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. C. H. Beck, München 2019, kartoniert, 606 Seiten, ISBN 978-3-406-73857-9, EUR 18,–