Rezension

Gestrandet im Paradies

Mark Twain erzählt die Romanze von Adam und Eva neu.
Mark Twain betrachtet das Verhältnis von Adam und Eva mit einem Augenzwinkern
Foto: IN | Mark Twain betrachtet das Verhältnis von Adam und Eva mit einem Augenzwinkern.

Wer muss bei dem Namen Mark Twain nicht sofort an und Huckleberry Finn denken, vielleicht sogar an die großartige, in zahlreiche Lesebücher aufgenommene Szene, in der Tom zur Strafe für eine Prügelei einen Gartenzaun streichen soll? Auch der unterhaltsame Essay „Die schreckliche deutsche Sprache“ des US-amerikanischen Schriftstellers, der nicht nur Europa bereiste, sondern sich auch drei Monate lang in Heidelberg aufhielt und den „Struwwelpeter“ ins Englische übersetzte, mag bei dem einen oder anderen deutschen Leser noch in guter Erinnerung sein.

Weniger bekannt dagegen ist seine Kleinschrift „Die Tagebücher von Adam und Eva“, in der er sich ebenso augenzwinkernd wie hinreißend mit dem gewissen kleinen Unterschied befasst. Wie mag Adam sich zu Beginn der Menschheitsgeschichte wohl gefühlt haben, als ihm der Herrgott praktisch über Nacht ein neues Mitgeschöpf vor die Nase setzte?

„Was so herrlich vergnüglich beginnt,
mündet in den beiden schönsten Liebeserklärungen der Welt“

„Das neue Geschöpf mit den langen Haaren ist ganz schön lästig“ und „Ich wünschte, es hörte auf zu reden! Dauernd ist es am Reden“ beschwert sich Adam genervt in seinem Tagebuch. Ständig gibt sie den Pflanzen und Tieren Namen, benennt sie mit dem in Adams Augen sinnlosen Argument, es sehe ganz danach aus. Der Greif sieht wie ein Greif aus. Der solcherart benannte Vogel sieht, so findet jedenfalls Adam, einem Greif nicht ähnlicher als er selbst.

Doch auch Eva ist irritiert von diesem anderen Geschöpf, dem sie von heute auf morgen gegenübersteht. Es mache sie neugieriger „als alle anderen Reptilien“. Denn „es hat keine Hüften und läuft unten spitz zu wie eine Karotte; wenn es steht, spreizt es sich wie ein Lastkran“. Ansonsten ist sie damit beschäftigt, den Mond zu suchen, der eines Nachts vom Himmel gerutscht sein muss. Außerdem versucht sie, Sterne zu pflücken, um sie sich ins Haar zu stecken. Ihr beständiges, verliebtes Entzücken über die ganze Schöpfung in ihrer vollen Schönheit bezaubert wiederum Adam schlussendlich und öffnet ihr sein Herz.

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Diese großartige Liebesgeschichte mit ausgesprochen holprigem Start, erzählt Mark Twain hier auf wenigen Seiten ebenso genial wie vergnüglich. Dabei interpretiert er die Geschichte vom Sündenfall auf seine eigene Weise – Tiger dufteten jedenfalls im Garten Eden noch herrlich aus dem Maul, weil sie sich nur von Erdbeeren ernährten. Doch dann will Eva unbedingt Äpfel essen und die Folgen sind bekannt. Jedenfalls mag der Tiger danach keine Erdbeeren mehr. Und ein Jahr später lernt Adam wiederum ein neues, sehr kleines Geschöpf kennen, von dem er zunächst denkt, dass es ein Fisch sein müsse. Allmählich bröckelt seine Überzeugung, insbesondere deswegen, weil er den neuen Fisch ins Wasser legt, der aber nicht schwimmt. Eva nennt das Wesen Kain.

Was so herrlich vergnüglich beginnt, mündet in den beiden schönsten Liebeserklärungen der Welt: Evas Begründung, warum sie Adam liebt und ihr inniges Gebet darum, vor ihm zu sterben. Denn Adam sei stark, sie aber nicht. Gott gewährt ihr diesen Wunsch und was Adam dann zu ihrem Gedenken auf ihren Grabstein meißeln lässt, das wird an dieser Stelle nicht verraten.

Da denkt kein Mensch an „soziologische Konstrukte“

Der Herder-Verlag hat die „Tagebücher“ im fast quadratischen 13 x 16 Format publiziert und mit wunderschön leuchtend-bunten Illustrationen von Tanja Geier bebildert. Das macht dieses Lesevergnügen noch dazu zu einem Augenschmaus, weshalb sich das Büchlein auch hervorragend zum Verschenken eignet.

Als Twain seine wundervolle und augenzwinkernde Hommage an die speziellen Eigenheiten von Mann und Frau schrieb, da gab es noch keine dekonstruktivistischen und destruktiven Umbaumaßnahmen im Hinblick auf die Geschlechter und schon gar nicht war die Rede davon, es handle sich bei den biologischen und natürlichen Gegebenheiten lediglich um „soziologische Konstrukte“. Insofern mag sich so mancher Leser nach dieser erquicklichen Lektüre eventuell sogar fragen, wie lange diese Kurzschrift des berühmten US-amerikanischen Schriftstellers überhaupt noch verlegt werden und frei verkäuflich sein wird.


Mark Twain: Die Tagebücher von Adam und Eva. Verlag Herder GmbH,
Freiburg im Breisgau, 2021, 96 Seiten, ISBN 978-3-451-03295-0, EUR 14, –

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