Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Filmrezension

Gegensätze schenken sich Hoffnung

Jean-Pierre Améris’ Film „Wie das Leben manchmal spielt“ zeigt, wie Begegnungen neue Chancen eröffnen, alte Wunden zu heilen.
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Foto: Lighthouse /Caroline Bottaro | Jean-Pierre Améris setzt auf die Zweckgemeinschaft zwischen Charakteren, die sprichwörtlich nicht unterschiedlicher sein könnten: dem Richter d’Outremont (Michel Blanc) und der jungen Kellnerin Marie-Line (Louane Emera).

„Gegensätze ziehen sich an“ - dieses Sprichwort hat seit jeher für Komödien und Dramen gesorgt. Der französische Regisseur Jean-Pierre Améris („Die anonymen Romantiker“) greift es in seiner neuen Tragikomödie „Wie das Leben manchmal spielt“ (Original: „Marie-Line et son juge“) auf, und findet darin weit mehr als bloße Unterhaltung. Er erzählt von der ungewöhnlichen Begegnung zweier Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, und von der Möglichkeit, inmitten persönlicher Brüche neue Wege zu beschreiten.

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Im Zentrum steht die 25-jährige Marie-Line (Louane Emera), die sich in Le Havre mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und zugleich für ihren verwitweten, vom Leben enttäuschten Vater sorgt. Sie selbst strahlt Energie aus, trägt pink gefärbte Haare und bunte Kleider, wirkt mitunter schrill. Doch hinter der Fassade verbirgt sich eine tiefe Verletzlichkeit: Der Student Alexandre (Victor Belmondo), in den sie sich verliebt, weist sie zurück, und ein heftiger Streit bringt Marie-Line vor Gericht. Dort begegnet sie dem Richter Gilles d’Outremont (Michel Blanc), einem verschlossenen Mann kurz vor dem Ruhestand.

Die Kraft der Dialoge

Gilles hat seinen Führerschein verloren, und Marie-Line hat kein Geld, um ihre Strafe zu bezahlen. Aus dieser Zwangslage entsteht eine Zweckgemeinschaft: Einen Monat lang soll sie ihn fahren. Was zunächst wie eine Notlösung aussieht, entwickelt sich bald zu einer Reise ins Innere beider Figuren. Während sie durch die graue Hafenstadt Le Havre und über Landstraßen tuckern, prallen Welten aufeinander: Hier der desillusionierte Richter, der seinen Alltag nur mit Tabletten und Alkohol erträgt; dort die junge Frau, die vom Leben wenig erwartet, aber eine unerschütterliche Lebensfreude ausstrahlt. Améris vertraut in seiner Inszenierung auf die Kraft der Dialoge. Zwischen Marie-Line und Gilles fliegen zunächst die Fetzen. Er kritisiert ihren Mangel an Ehrgeiz, sie verspottet seinen Pessimismus. Doch je mehr sie voneinander preisgeben, desto klarer wird: Beide haben Wunden, beide suchen Halt. So verwandeln sich die Reibungen in aufrichtige Gespräche - und in eine Freundschaft, die für beide zu einer Quelle der Hoffnung wird.

Gerade in dieser Entwicklung liegt die Stärke des Films. Améris entwirft keine Märchenwelt. Er zeigt zwei Figuren, die von der Gesellschaft längst abgeschrieben scheinen: die junge Frau ohne Perspektive und den alten Richter, der den Glauben an seine Arbeit verloren hat. Doch er zeigt auch, wie Begegnung Verwandlung möglich macht. In der Offenheit füreinander wächst etwas, das man die sprichwörtliche „zweite Chance“ nennen könnte.

Was macht ein gutes Leben aus?

Louane Emera, die bereits vor zehn Jahren in „Verstehen Sie die Béliers?“ ihr Talent bewies, spielt Marie-Line mit einer Mischung aus Trotz, Direktheit und tiefer Verletzlichkeit. Der im Oktober 2024 verstorbene Michel Blanc überzeugt in einer seiner letzten Rollen als Richter, der hinter seiner grimmigen Fassade eine stille Sehnsucht nach Nähe verbirgt. Die Chemie zwischen den beiden macht den Film glaubwürdig. Ein Nebenstrang um Marie-Lines enttäuschte Liebe zu Alexandre vertieft das Thema: Während er die Filme François Truffauts verehrt, zieht sie Reality-Shows vor. Ihre Welten passen nicht zusammen - und doch zeigt sich, dass Zuneigung möglich ist, wo man sich auf den anderen einlässt. Auch diese Episode fügt sich in das Grundthema des Films: Versöhnung der Gegensätze.

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Améris balanciert geschickt zwischen Tragik und Komik. Immer wieder lässt er Raum für Situationskomik, etwa wenn Marie-Line unbedarft in Fettnäpfchen tritt. Gleichzeitig hält er den Blick auf die existenzielle Dimension: Was macht ein gutes Leben aus? Wie können Menschen aus unterschiedlichen Welten einander beistehen? Wie das Leben manchmal spielt“ ist damit mehr als eine nette Tragikomödie. Der Film blickt voller Sympathie auf seine Figuren und erinnert daran, dass Hoffnung nicht aus glatten Lebenswegen erwächst, sondern aus Begegnungen, die uns verändern. Und er setzt dem französischen Schauspieler Michel Blanc ein stilles Denkmal.

Der Rezensent ist promovierter Historiker und schreibt über kulturelle und mediale Themen.

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