Kurt Kardinal Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, hat eine Standortbestimmung der Ökumene vorgelegt. Seine Absicht ist es, Katholiken ökumenisch zu bilden, zum ökumenischen Miteinander zu ermutigen und zugleich die amtlichen ökumenischen Anstrengungen und Überzeugungen der katholischen Kirche sichtbar zu machen.
„Nicht verschwiegen werden die neuen Kontroversen
auf dem Gebiet der Ethik und der Anthropologie“
Dabei werden künftige Herausforderungen nicht überspielt oder kleingeredet. Der in fünf Teile gegliederte Band beginnt mit der Analyse des grundlegenden ökumenischen Dekrets des Zweiten Vatikanischen Konzils „Unitatis redintegratio“ (1964). Im zweiten Teil werden „Gebet, Mission und Umkehr als Dimensionen der Ökumenischen Bewegung“ als unverzichtbar herausgearbeitet. Im dritten Teil werden die ökumenischen Lehrschreiben der Päpste seit dem Konzil zusammengefasst. Darunter ist ein eigener, dreißig Seiten umfassender Beitrag zum Ökumeneverständnis von Papst Benedikt XVI.
In einem vierten, historischen Teil werden die verschiedenen Spaltungen aufgearbeitet. Nach einer Behandlung der christologischen Streitfragen nach dem Konzil von Chalkedon wendet sich Kardinal Koch dem Dialog mit der Orthodoxe Kirchen zu mit den zentralen Fragen: Theologie des Primats, „Autokephalie oder universalkirchlicher Primat“, „Synthese von Primat und Synodalität“.
Die Rechtfertigungslehre ist eine bleibende Herausforderung
Beginnend mit der Darstellung der Tragweite des Konsensbeschlusses zur Rechtfertigungslehre – „als ökumenische Errungenschaft und als bleibende Herausforderung“ – wendet er sich der heutigen „Konzentration auf die Themen Kirche, Eucharistie und Amt“ zu. Sodann geht Koch in diesem Kapitel noch auf Gesprächskontakte mit evangelikalen und penteskostalen Bewegungen ein. Auch die „Urspaltung zwischen Synagoge und Kirche“ wird angesprochen.
Von besonderer Bedeutung ist das fünfte und letzte Kapitel. Hier wird der mangelnde Konsens über das Ziel der Ökumene heute offengelegt. Dies besteht näherhin in den ungeklärten Fragen des Kirchenverständnisses und der Unklarheit über die Art des Verhältnisses zwischen Christus und Kirche. Nicht verschwiegen werden die neuen Kontroversen auf dem Gebiet der Ethik und der Anthropologie. Abschließend wendet sich Kardinal Koch noch der Religionsfreiheit und dem Verhältnis Kirche und Staat heute zu. Im Epilog fasst er den Stand der Ökumene nüchtern zusammen: Wenn der „Ökumenische Weltrat der Kirchen“ zur „sichtbaren Einheit im einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft, die ihren Ausdruck im Gottesdienst und im gemeinsamen christlichen Leben findet“, aufrufe, dann müsse man mit den nach wie vor gültigen Worten von Paul- Werner Scheele konstatieren, dass in der heutigen Situation noch von einer „unvollständigen Gemeinschaft von in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedliche Weise unvollständigen Gemeinschaften“ die Rede sein müsse.
Die Einheit der Kirche hat einen Wert!
Mit luzider und nüchterner Klarheit erhellt Kardinal Koch diese Fülle an grundlegenden und hochkomplexen Fragestellungen für den katholischen Leser. Im ökumenischen Dialog stellt Kardinal Koch beispielsweise eine „prinzipielle Verabschiedung des Einheitsdenkens“ fest. Ein ekklesiologischer Pluralismus verfechte selbstbewusst Vielheit und Vielfalt und leugne den Wert der Einheit der Kirche und ihres Bekenntnisses. Seitdem werde das Ziel der Einheit nicht nur als unrealistisch, sondern auch als wenig wünschenswert verstanden. Als den Urheber dieser These hat Koch den protestantischen Neutestamentler Ernst Käsemann ausgemacht. Dessen These ist, „dass der neutestamentliche Kanon nicht die Einheit der Kirche, sondern die Vielfalt der Konfessionen begründe“. Demgegenüber betont Kardinal Koch: „Nicht die Kanonisierung des Pluralismus von Kirchen (…) sondern die Suche nach der Einheit findet in der Heiligen Schrift ihre Bestätigung.“
Als Beleg für die selbstverständliche Verbreitung der Pluralismusthese verweist Koch auf den Grundlagentext der EKD zum Reformationsjubiläum 2017. Darin werden die reformatorischen Kirchen als „Teil der legitimen, weil schrift-konformen Pluralisierung der christlichen Kirchen“ verstanden, womit der Zerfall in die Vielheit der Konfessionen als positive Wirkung der Reformation gewertet werde. Auch die beiden wissenschaftlichen Leiter des „Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen“, Volker Leppin und Dorothea Sattler, werden als Anhänger dieser These benannt, haben sie doch unkritisch darauf hingewiesen, dass viele Mitglieder „die Pluralität der Kirchen eher als Anlass zur Wertschätzung denn als Grund zur Besorgnis wahrnehmen“.
Die Eucharistielehre wird ausgehebelt
Hier liegt, über die Aussagen von Kardinal Koch in seinem Buch hinaus, auch der hermeneutische Schlüssel zum Dokument des „Ökumenischen Arbeitskreises“ über die Eucharistiegemeinschaft „Gemeinsam am Tisch des Herrn“. Verantwortet wird es von Leppin und Sattler. Sie haben darin die These Käsemanns von der Vorgängigkeit der Pluralität einfach auf die „vielen Liturgieformen“ und die sogenannte scheinbare „plurale Ämtervielfalt“ in der frühen Kirche übertragen.
Dadurch haben sie die ökumenische Diskussion über die ekklesiologische Bedeutung der Eucharistie als Voraussetzung und Zeichen der Einheit ebenso ausgehebelt, wie die Eucharistielehre insgesamt – aber auch das sakramentale Bischofs- und Priesteramt sowie die apostolische Nachfolge. Dieses Dokument wurde von Kardinal Marx und Bischof Bätzing unterzeichnet. Exemplarisch wird damit der hohe Erkenntniswert des Buches von Kardinal Koch deutlich. Mit den Worten des Apostels Paulus: Es geht ihm um die Wiederherstellung einer Communio, in der die Christen „eines Sinnes“, „einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig“ sind.
Kurt Kardinal Koch: Wohin geht die Ökumene? Rückblicke – Einblicke – Ausblicke.
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2021, 299 Seiten, ISBN 9783791732442, EUR 29,95
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