Das ist ein Buch, dem eine gute Idee zugrunde liegt: Ernst Jüngers Interviews, die er im Verlauf seines langen Lebens Freunden, Autoren und Journalisten gab, in einem Band zu versammeln und so ein anderes Bild des Autors zu entwerfen als das, was man kennt. Die Bibliographie des Bandes zählt 105 solcher Gespräche, knapp die Hälfte davon, 43, kommen hier zum Abdruck.
Viele Gespräche erstmals ins Deutsche übersetzt
Das ist aus zweierlei Gründen sehr verdienstvoll: Zum einen, weil Jünger, wie im Vorwort ausgeführt und dabei Goethe folgend, dem „Gespräch“ unter Gebildeten eine hohe Bedeutung zumaß: „Ich glaube“, schreibt er am 4. März 1920 an seinen Bruder Friedrich Georg, „dass im Gespräch unsere bedeutendste Leistung liegt“. Natürlich werden nicht alle als Interviews geführten Gespräche diesem hohen Anspruch gerecht, aber ein Kriterium dieses gelungenen Bandes ist es, die wesentlichen von den unwesentlichen Unterhaltungen zu trennen und so eine repräsentative Auswahl zusammenzustellen. Zum anderen spiegelt dieses Buch die hinlänglich bekannte asymmetrische Rezeption Jüngers zwischen Deutschland und Frankreich: Von den 105 Interviews stammen allein 38 aus Frankreich, und die wenigsten davon waren bislang auf Deutsch zugänglich. Das ändert sich jetzt, und so kann der des Französischen nicht mächtige Jünger-Interessierte endlich Julien Herviers mehr als hundertseitiges, äußerst substanzielles Gespräch mit Ernst Jünger, das 1985 in Paris in Buchform erschien, nachlesen.
Zahlreiches Material zusammengetragen
Bedeutsam ist auch der Abdruck von Didier Raguenets frühem Text „Ernst Jünger in Kirchhorst“ nach einem Besuch kurz nach Kriegsende 1945, ein Text, der in der Pariser Zeitschrift „Terre des Hommes“ veröffentlicht wurde und dort eine große Debatte über Jünger auslöste, in die sich unter anderem Jean Schlumberger einmischte und Jünger gegen Thomas Mann in Schutz nahm – hierzu haben die letzten beiden Bände der „Jünger-Debatte“ im Klostermann-Verlag zahlreiches Material zusammengetragen. Der Band dokumentiert auch einige Gespräche, die leicht anders zugänglich gewesen wären (Langheinrich-Anthos, 1930; Alwens, 1932; Raulff, 1996; Cederberg 2004 et cetera), aber das macht nichts: Auf die von den Herausgebern gewählte Weise ergibt sich ein durchgängiger Gesprächsteppich, gewebt aus zahlreichen Motiven, der in seiner Gesamtheit ein Bild Ernst Jüngers zeichnet, das vor allem voreingenommene Leser – und die soll es ja immer noch geben – zu überraschen und vielleicht sogar zu überzeugen vermag.
Ernst Jünger: Gespräche im Weltstaat. Interviews und Dialoge 1929–1997. Hrsg. Von Rainer Barbey und Thomas Petraschka. Klett-Cotta, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-608-96126-3, EUR 45,–
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