Ein grandioser Schlag ins Wasser, von dem nur enttäuscht sein kann, wer den Untertitel des Buches nicht gelesen hat. Marcus Hladek wollte mit „Der Ratschlag“‘ keinen Roman, sondern eine Mystifikation vorlegen. Das gelingt ihm, als Roman-Schreiber ist aber noch ein Suchender und Lernender. Hladek, der in diesem Jahr 60 wird und als Theater- und Tanzkritiker in Frankfurt sein Brot verdient, hat sich mit dem voluminösen Werk den alten Traum der Kritiker erfüllt, selber einmal ein Opus vorzulegen.
Das Thema hat er offenbar der Familiengeschichte entnommen, es ist die spannende Suche nach dem Geheimnis des eigenen Vaters. Das kirchliche Milieu, ja Grundfragen christlicher Theologie spielen eine wichtige Rolle und werden ernst genommen, nicht lächerlich gemacht, wie heute üblich. Zu einem Roman in deutscher Sprache gehört Sinnsuche, und das wird hier gehörig durchdekliniert. Sex and crime als weitere Zutaten, eine leider zu oft ins Ordinäre absinkende Sprache und vor allem die Verwechslung von Theatertechniken mit romanhafter Verdichtung schaden aber dem Buch, das durch ständige Nebenhandlungen und selbstquälerische Meditationen des Ich-Erzählers viel zu lang geraten ist.
„ Leider übertreibt der Autor dann und bringt seitenweise erfundene Zeitungsmeldungen,
wie er auch am Ende sieben verschiedene Schluss-Versionen bereithält,
aus der man sich offenbar eine auswählen darf“
Schreiben und einen Spannungsbogen aufbauen, das kann Hladek sehr gut und so nimmt man ihm die Grundidee sofort ab: Im Urlaub erfährt der Ich-Erzähler, Kritiker von Beruf wie der Autor, vom Tod des Vaters und muss nun mit den Geschwistern – und angesichts einer kriselnden Beziehung zu einer Jung-Schauspielerin – regeln, was zu regeln ist. Der Vater ist einmal Alumne des Kollegs Germanicum-Ungaricum in Rom gewesen, der Priester-Ausbildungsstätte für die Länder des früheren Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Dort wurde ihm vom jesuitischen Rektor das consilium abeundi gegeben, also quasi der Rauswurf erklärt.
Die Kinder des Verblichenen, der dann als noch nicht-Geweihter eine gute Ehe führte, tappen ein wenig im Dunkeln über den Grund des damaligen Ereignisses. Es scheint, dass der Vater sich nichts Entscheidendes zu Schulden kommen ließ, sondern einen anderen Seminaristen decken musste, den man halten wollte, obwohl er ein Kind gezeugt hatte. Die Suche nach diesem legendären P. Paul, einer Art klerikaler 007 im weltweiten Einsatz an kirchlichen Brennpunkten, von dem es heißt, er sei ein Kardinal in pectore geworden – also ein insgeheim ernannter, aber nicht öffentlich bekannt gegebener Purpurträger – nimmt nun das ganze Buch in Anspruch und liefert Stoff für viele Ortswechsel, erotische Scharmützel des Erzählers und einige Fieberträumen ähnlichen Phantasmagorien des zunehmend in eine Existenzkrise geratenden Erzählers und Sohnes.
Sympathie für einzelne Priester-Gestalten
Bemerkenswert und außergewöhnlich ist, wie Hladek den christlichen und explizit katholischen Hintergrund behandelt, nämlich mit erkennbarem Respekt und ohne Häme. Während der Philosoph Peter Sloterdijk das Christentum gerade ein weiteres Mal für obsolet und entsorgbar erklärt hat, sieht Hladek es offenbar als bedenkenswertes und sinnstiftendes Projekt an. Kirchenkritik ist ihm nicht fremd, aber sie richtet sich eben auf das Allzu-Menschliche der Diener Gottes, während die Notwendigkeit der Existenz von Glaube, Kirche und Papsttum nicht infrage gestellt wird. Im Gegenteil, mit spürbarer Sympathie werden einzelne Priester-Gestalten gezeichnet, die, meist in Außenseiter-Positionen, jedenfalls genau wissen, was sie tun und wie sie anderen am besten helfen können.
Erstaunlich auch das Wissen, das sich Hladek zu einer ausgesprochenen Spezialität wie dem Kardinalat angeeignet hat. „Manchmal bleibt das Geheimnis des „in pectore“ auf ewig ungelüftet, weil ohne förmliche Bestätigung des Papstes, der ihn ernannt hat und stirbt, bevor er es verkünden kann. Unter Umständen erfährt nicht einmal der Erhobene selbst von seiner Auszeichnung. Möglich, dass sogar die Tatsache einer geheimen Ernennung als solche unbekannt bleibt“. Dass dann aber ein solcher „in pectore“-Kardinal in schwarzer Priesterkleidung neben den rotgewandeten Kardinälen ins Konklave einzieht – eben Jener, der im Buch gesucht, aber nie gefunden wird – ist dann doch ein wenig unwahrscheinlich. Natürlich wird er dann auch Papst, als Paul VII.
Hoffnung auf den nächsten Roman des Autors
Die kirchenrechtliche Frage, die Hladek aufwirft – „Was, wenn ein Papst seinen Kandidaten für den Purpur sehr wohl schriftlich festhält, aber einzig und allein in einem Schreiben an seinem Nachfolger?“ –, ist leicht zu beantworten: Der neue Petrus kann, muss ihn aber nicht bekannt geben. Bevor all das dies passiert, bringt eine neue Wendung den Autor in einem außerhalb Roms liegenden Einsiedler-Kloster – in der Nähe von San Pastore, dem famosen Sommersitz der Germaniker – mit einem Quantenphysiker zusammen, der nun als Mönch der Beschauung lebt. Und Markus' Auskunft darüber gibt, dass man als hochqualifizierter Wissenschaftler gläubig sein kann, vielleicht sogar sein muss. Denn es ist „eine Karikatur zu meinen, dass der Theologe haltlos spekuliert und die Offenbarung sein Gefängnis ist, während der Physiker beharrlich Wissen einheimst und immer offen bleibt!
Auch Physiker setzen Akte des Glaubens, und wenn sie die Welt ganz einfach nur für erforschbar halten, denn das setzt die Zugänglichkeit dieser Welt für die Vernunft voraus: dass sie verständlich, intelligibel ist“. Was P. Ettore anzubieten hat, ist aufregend: „Was wir heute erleben, erscheint mir wie eine Neugeburt der Naturtheologie aus den Naturwissenschaften.“ Die Kirche müsse wählen, „ob sie ihrem Argwohn folgt und auf hartes Wissen pfeift (was man Fideismus nennt, Glauben als schieres Vertrauen), oder ob sie sich aufs Abenteuer einer kritisch-realistischen Philosophie der Wissenschaften einlässt. Eine solche Philosophie läuft aber ebenfalls auf Gott hinaus, und fast alle arbeitenden Wissenschaftler in meinem Zweig, der Quantenphysik, befürworten sie“.
Zuviel unwahrscheinliche Fantasy
Aber nicht nur mit derlei Denk-Optionen beschäftigt sich der Vater-Jäger und Ich-Erzähler, wenn er sich nicht gerade in Barcelona bei einer Prostituierten eine Geschlechtskrankheit einhandelt, es gibt auch durchaus nachvollziehbare Kritik am Medien-Zirkus und der allgegenwärtigen politischen Korrektheit. Leider übertreibt der Autor dann und bringt seitenweise erfundene Zeitungsmeldungen, wie er auch am Ende sieben verschiedene Schluss-Versionen bereithält, aus der man sich offenbar eine auswählen darf. Soviel Unwahrscheinliches ereignet sich, dass man es einem Fantasy-Film nicht abnehmen würde.
Im roten Talar, wie ihn die Germaniker einst trugen (auch der mehrfach zitierte Hans Küng), klettert der Ich-Erzähler im Kuppel-Bereich des Petersdomes herum, findet dort ein schriftliches Zeugnis seines Vaters, wird verhaftet, entkommt, entfleucht nach Ozeanien, wo er es mit einer sprechenden Schildkröte zu tun hat und sich probeweise aufhängt – das alles tut dem Buch nicht gut, das eigentlich mehr bieten will als eine Kino-Handlung. Amüsant zu lesen ist es allemal, aber Marcus Hladek hatte wohl anderes im Sinn. Weil er aber ein begnadeter Erzähler ist, wäre zu wünschen, dass er ein weiteres Mal unter Beschränkung seiner dramaturgischen Phantasie und des Macho-Gehabes den Roman seines Lebens schreibt. Die christliche Botschaft als Sinn-Mitte, jedenfalls als Möglichkeit, kann gerne darin vorkommen.
Marcus Hladek: Der Ratschlag – Eine Mystifikation
Ruhland Verlag, Bad Soden 2020, 479 Seiten, ISBN: 978-3-88509-153-0, EUR 23,80
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