Rezension

Der Leib ist keine Hardware

Die naturalistische Weltsicht will den künstlichen Geist ohne Leiblichkeit schaffen, was der christlichen Perspektive völlig widerspricht.
Der heilige Athanasius
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Jede Abwertung der Leiblichkeit muss als unchristlich angesehen werden, „denn die Inkarnation des Logos hat das Fleisch sogar ,verherrlicht‘, wie es Kirchenvater Athanasius betont.“

Der Erziehungswissenschaftler Hartmut Sommer hat mit seinem Buch „Über die Engel erhoben. Wesen und Sinn unserer Leiblichkeit. Eine philosophisch-theologische Annäherung“ der Öffentlichkeit eine Arbeit vorgelegt, die sich mit dem Wandel des Menschenbildes auseinandersetzt. Er schaltet sich damit in eine Auseinandersetzung ein, die über die Bedeutung des Leibes als Teil des Menschen entbrannt ist – eine Diskussion, die auf das Selbstverständnis des Menschen zielt und in der die Frage aller Fragen beantwortet wird: Was ist ein Mensch?

Computergehirne werden als unsterblich erhofft

Nach dem christlichen Humanismus besteht der Mensch als Schöpfung Gottes aus einer nicht aufhebbaren Einheit von Geist und Körper. Doch in dem naturalistischen Weltbild wird der Mensch nicht als Schöpfung Gottes gedacht, sondern als ein Wesen, das sich der ständigen Evolution verdankt. Aus diesem Grund können Geist und Körper nicht als eine Einheit angesehen werden, sondern lediglich als ein Dualismus. Damit werden Geist und Körper aufgespalten, so dass das Menschsein neu definiert werden kann. Dem Körper wird keine Bedeutung zugemessen, sondern nur dem Geist, so dass der Körper zum Objekt, zur Sache, und nur der Geist zum Subjekt wird.

Der Körper bildet demnach die hardware des Menschen, der Geist die software. Die hardware kann aber durch die Technik ersetzt werden, so dass durch einen Roboter oder Computer diese stark verbessert werden kann. Das Wissen soll auf den Computer heruntergeladen werden, so dass das Computer-Gehirn die Funktion des menschlichen und organischen Gehirns übernehmen kann. Durch diese Konstruktion wird das Gehirn der leiblichen Endlichkeit entzogen. Die Gedanken und das Wissen unterliegen dann nicht mehr der Sterblichkeit des Körpers. Da das Computer-Gehirn als unsterblich angesehen wird, wird auch die Sterblichkeit des Menschen neu verstanden. Da der menschliche Geist auf der Festplatte eines Computers gebannt ist, wird der Mensch als unsterblich gedacht.

Sommer zeichnet ein düsteres Bild der zukünftigen Gesellschaft – eine Vision, die surrealistisch anmutet, aber die die Neurologen-Welt verfolgt.
In diesen Vorstellungen hat der Leib, wie ihn Gott geschaffen hat, keinen Platz mehr, er wird durch den Computer ersetzt. Deshalb setzt sich Sommer für die Renaissance des Leibes ein, für die Wiedergeburt im wahrsten Sinn des Wortes. Er nähert sich dieser Entwicklung aus theologisch-philosophischer Sicht und beschreibt, dass der Mensch nur als Geschöpf Gottes leben kann – nur als Person, die unteilbar aus Geist und Körper besteht. Er macht sich Gedanken über den Leib als Medium der Erfahrung, der Kommunikation und der Gottesbeziehung.

Nach der Schrift steht der Mensch über den Engeln

Gott selbst hat den Wert des Leibes betont, indem der Logos Fleisch geworden ist, wie es im Johannesevangelium geschrieben steht. Mit der Inkarnation Jesu Christi wird Gott sichtbar und berührbar für uns leibliche Wesen. Gott hat aus Liebe zu den Menschen deren Leib angenommen, um ihnen nahe zu sein und um ihnen die Erlösung zu verheißen. Für ihn ist der Leib wichtig, er ist konstitutives Element des Menschseins – nicht eine hardware, die jederzeit ausgetauscht werden kann. Gott hat den Menschen so gedacht, wie er durch die Geburt geworden ist. In seinem Heilsplan hat er nicht die Technik aufgenommen, um ihn vermeintlich unsterblich werden zu lassen. Durch den menschlichen Tod am Kreuz hat Gott aufgezeigt, dass er wie ein Mensch sterben wollte – dass es das Schicksal eines jeden Menschen ist, zu sterben.

Deshalb kann Sommer feststellen, dass jede Abwertung der Leiblichkeit als unchristlich angesehen werden muss, „denn die Inkarnation des Logos hat das Fleisch sogar ,verherrlicht‘, wie es Kirchenvater Athanasius betont.“ Sommer stellt fest, dass in der Hinwendung Gottes zum Menschen, allein durch seine Menschwerdung, Gott dem leiblichen Menschen seine Stellung zugewiesen hat – eine Stellung, die ihn über die Engel hebt, wie es in der Schrift heißt. Angelehnt ist dieser Gedanke auch an die Mystikerin Mechthild von Magdeburg angesichts ihrer sinnlichen Erfahrung des Göttlichen: „Was kümmert's mich dann, was die Engel erleben?“

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Es bleibt die Hoffnung, dass Umkehr möglich ist

Der Autor schreibt aus der Sicht eines Christen, dessen Denken fest im christlichen Menschenbild verankert ist. Deshalb auch kann er, ja, muss er von der Einheit von Geist und Körper ausgehen. Doch die naturalistische Weltsicht kennt keinen Gott, keine Inkarnation des Logos, keine Menschwerdung Jesu Christi. Durch die atheistische Weltsicht können andere Wege beschritten werden – Wege, die die Schöpfung Gottes verändern. Was Paracelsus mit seinem Homunculus anstrebte, was der Golem darstellen sollte – es war der künstliche Leib. Jetzt soll der künstliche Geist, losgelöst vom Leib, geschaffen werden, das, was als human enhancement, als Verbesserung des Menschen beschrieben wird. Sommer hat diesen Weg gezeigt und die Konsequenzen, die er zeitigt. Je mehr sich die Gesellschaften vom Christentum lösen, desto wahrscheinlicher wird dieses Menschenbild des Horrors Grundlage in der Zukunft sein. Wir können nur hoffen, dass die Umkehr noch möglich ist. Deshalb ist das Buch von Sommer wichtig. Wir können dadurch erkennen, was uns blühen könnte.

Hartmut Sommer: Über die Engel erhoben. Wesen und Sinn unserer Leiblichkeit. Eine philosophisch-theologische Annäherung. Lepanto Verlag 2022, 160 Seiten, ISBN-13: 978-394260-529-8, EUR 18,–

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