Benedikt XVI.

Brückenbauer zur Christokratie

Die Dissertationsschrift von Ladislav Kučkovský über die Theologie des Priestertums bei Joseph Ratzinger zeigt einmal mehr, warum der verstorbene Papst ein Kirchenlehrer der Moderne ist.
Kardinal Joseph Ratzinger 1977
Foto: IMAGO/Heinz Gebhardt (www.imago-images.de) | Beauftragter Christi, nicht Chef von eigenen Gnaden: Joseph Ratzinger kurz nach seiner Ernennung zum Erzbischof von München und Freising an Fronleichnam 1977.

Wie Joseph Ratzinger auf die Frage des „Synodalen Weges“ geantwortet hätte, ob die Kirche das Priesteramt heute überhaupt noch braucht, kann zwar nicht genau gesagt werden, doch vermittelt die letztjährig in der Reihe der Ratzinger-Studien erschienene Dissertation des Salzburger Pfarrers Ladislav Kučkovský eine Idee: Vermutlich hätte der jüngst verstorbene Papst moniert, dass allein schon die Fragestellung den Dienst des Priesters auf etwas „Brauchbares“ und „Nützliches“ reduziert und ihn dem Primat des Selbst-Machens, der Funktionalität unterwirft, so als könne der Mensch sich die Kirche selbst funktional gestalten, als ob Gott nichts mit ihr zu tun habe.

Weiheamt ist nichts Funktionales

Wichtiger als die Frage, ob Frankfurter Synodale den geweihten Amtsträger brauchen, wiegt die Einsicht, dass es Gott selbst ist, der ihn „braucht“, beruft und ihm Anteil an seiner Sendung verleiht: „Deswegen kann es bei allen Aufgaben, die das Amt in der Kirche zu erfüllen hat, nichts rein Funktionales sein, sondern muss vielmehr die ständige Hör- und Horchgemeinschaft der ganzen Kirche gegenüber dem lebendigen Wort Gottes gewährleisten und die christologisch begründete Dienstbereitschaft derer, die in die Sendung Jesu hineingestellt wurden, vergegenwärtigen“, schlussfolgert Kučkovský und zitiert Ratzinger: „Das Credo wird nicht von der Kirche begründet, sondern es begründet die Kirche.“

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Und so verhält es sich dann auch mit dem Priester, der nicht von Menschen, sondern von Gott berufen wird. Und während er so die Notwendigkeit des geweihten Amtes nicht nur begründet, erblickt er – in den Worten Kučkovskýs – auch seinen Auftrag „nämlich gerade darin, dass es die ,Selbstentzogenheit der Kirche‘ gegen jede Selbstmächtigkeit darstellt und die großen Vorgegebenheiten vergegenwärtigt und in ihrem Dienst steht“, dass „alle – auch und besonders die Amtsträger – sich der Eigenbestimmung entkleiden und bewusst unter die Bestimmung durch Gott stellen“. Die Kirche ist so im besten Sinne eben nicht demokratisch, sondern als „Christokratie“, Herrschaft Christi statt Volksherrschaft, verfasst.

Das erneuerte Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils 

Die Probleme, die sich mit der Annahme verbinden, die Kirche als nur soziologisch verfasste, menschengemachte Gesellschaft zu charakterisieren und so im Priester einen „Volkstribun“ des Gottesvolkes zu erblicken, werden von Kučkovský ausführlich behandelt. Seine Arbeit geht von den theologischen Ansätzen der Neuscholastik, beispielhaft nach Ott und Schmaus, aus, um in Differenz dazu das erneuerte Priesterbild des Zweiten Vatikanischen Konzils vorzustellen als Ausgangspunkt auch für das Denken des Theologen Joseph Ratzinger, dessen biographische Zugänge zum Priestertum ferner skizziert werden.

Dabei wird an die prägenden Priestergestalten erinnert, denen der junge Ratzinger begegnete, die sich durch ihre Standhaftigkeit gegen die Nazis und seelsorgerischen Eifer auszeichneten oder wie sein Doktorvater Gottlieb Söhngen durch jene tiefe Demut, mit der er die gegen sein Votum dogmatisierte Himmelfahrt Mariens hinnahm: „Wenn das Dogma kommt, dann werde ich mich daran erinnern, dass die Kirche weiser ist als ich, und ihr mehr vertrauen als meiner eigenen Gelehrtheit“, hatte Söhngen damals gesagt.

Vom Auftrag des geweihten Amtsträgers 

Wenn Ratzinger später Theologie auch stets im Bewusstsein der Verantwortung vor den einzelnen Gläubigen betrieb, die es durch eigenes Hinterfragen nicht zu verwirren gelte, sah er darin das spezifisch priesterliche Profil seiner akademischen Lehrtätigkeit. Sein Glauben war während seines ganzen Lebens Glauben der Kirche – ein Grundsatz, den er auch als Bischof behielt, wie die Predigt anlässlich seiner Bischofsweihe 1977 herausstellt: „Der Bischof handelt nicht im eigenen Namen, sondern er ist der Treuhänder eines Anderen, Jesu Christi und seiner Kirche. Er ist nicht ein Manager, ein Chef von eigenen Gnaden, sondern der Beauftragte des Anderen, für den er einsteht. Er kann daher auch nicht beliebig seine Meinungen wechseln und einmal für dies, einmal für jenes eintreten, je nachdem, wie es günstig erscheint. Er ist nicht da, seine Privatideen auszubreiten, sondern er ist ein Gesandter, der eine Botschaft zu überbringen hat, die größer ist als er. An dieser Treue wird er gemessen, sie ist sein Auftrag.“

Der Auftrag des geweihten Amtsträgers lässt sich bei Ratzinger ausgehend von der Sendung der Apostel verstehen, welche das Evangelium und die in Jesus Christus Mensch gewordene Wahrheit durch die Kirchengeschichte hindurch in aller Welt verkündigen. Durch den in die apostolische Sukzession eingefügten Amtsträger wird die Ursprungstreue sichergestellt, die hierarchische Verfassung der Kirche steht im Dienst an der diachronen Einheit der Kirche aller Zeiten mit ihrem Herrn.

Teilhabe bedeutet Selbstenteignung

Für den einzelnen Kleriker verbindet sich dieses Leitmotiv der „Teilhabe an der Sendung Christi“ zugleich mit der Herausforderung, die Ratzinger „Entprivatisierung“ oder gar „Selbstenteignung“ nennt. Der Geweihte soll nicht sich selbst bringen, sondern Jesus, der durch den Priester in seiner Kirche selbst handelt. Zwischen ihm und den Gläubigen wird er zum Mittler, der ganz bei Gott und zugleich von ihm gesandt ist, der den Geist Gottes menschlich Gestalt werden lässt und so Innerlichkeit und den Dienst an den Menschen im Heute vereint.

Der Priester wird bei Ratzinger dabei auch nicht auf seine kultisch-liturgische Dimension reduziert, sondern vielmehr erscheint die Eucharistiefeier als Höhepunkt und sakramentale Darstellung dessen, was den Dienst der Apostelnachfolger und ihrer Mitarbeiter im Wesentlichen ausmacht: „Die Gabe, die fehlerfrei, kultgerecht, ,heilig‘ gemacht werden soll, sind nicht irgendwelche Opfertiere, sondern die Völker der Erde; das Mittel, wodurch sie Gott übereignet und zur lebenden Hostie gemacht werden, ist die Botschaft des Evangeliums […], der priesterliche Dienst des Apostels [ist] mithin mit seinem Dienst als Missionar des Evangeliums identisch.“

Priester als eine Alternative in unserem Heute

Kučkovský gelingt es, in seiner Arbeit die Eckpfeiler des Priesterbildes des verstorbenen Papstes nicht nur auszuarbeiten, sondern auch aktuelle Problemstellungen vor ihrem Hintergrund zu erörtern. So richtet er einen Blick auf aktuelle Fragen betreffend den Ausschluss der Frau von der Ordination und des Zölibates. Besonders wertvoll in Zeiten der kirchenpolitischen Polarisierung ist aber die Charakterisierung des Priesters als Brückenbauer zwischen dem Herrn und den Menschen des Heute. Jenen, welche sich in der Tradition verschanzen und die moderne Welt als Bedrohung zurückweisen, wird entgegengehalten, dass sie ihrer Berufung, Gesandte Christi zu sein, nicht gerecht werden.

Anderen, welche in der Tradition einen Ballast sehen und sich ganz von ihm trennen und eine neue Kirche am Reißbrett aufzeichnen wollen, wird entgegengehalten, dass die Kirche das Großartige ihrer Botschaft so verliert und so nur noch sich selbst, das Menschliche an ihr, nicht aber Christus zu den Menschen zu bringen vermag. In Zeiten des Individualismus leuchtet der Priester so als eine Alternative in unserem Heute und als Provokation gegenüber dem Zeitgeist auf, weil er sich ganz von Gott her bestimmen und von ihm her zu den Menschen senden lässt.

Kuckovský, Ladislav: Auf dem Weg zur theologischen und existentiellen Erneuerung. Krise und vertiefte Grundlegung des Priesterbildes bei Joseph Ratzinger. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2022, 408 Seiten, EUR 39,95

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