Shakespeares Mysterienspiele, Sternes „Tristram Shandy”, Miltons „Paradise Lost“: Englands Schriftsteller haben etwas Skurriles. Doch es ist nicht die Liebe zum Paradoxen, die Aldous Huxley trieb, sondern sein politischer Auftrag. Sein Großonkel war der berühmte Dichter und Kritiker Matthew Arnold. Großvater Thomas Henry zählte, wie später Bruder Julian, zu den bekanntesten Biologen des Landes. Der Großvater tat sich als leidenschaftlicher Verteidiger Darwins hervor, was ihm den Spottnamen „Darwins Kampfhund“ einbrachte.
Huxleys Ausbildung in Eton und Oxford, war selbstverständlich erstklassig. Dank der familiären Prominenz wurde er rasch in den illustren Kreis hochstehender Obskuranten und Society-Größen eingeführt: Virginia Woolf, D.H. Lawrence, T.S. Eliot, Bertrand Russell, John Maynard Keynes – Englands damaliger Premier Herbert Henry Asquith gehörten zu diesem erlauchten Kreis. Einige von ihnen pflegten, wie Huxley, die Nähe zur Fabian Society, jenem sozialistischen Thinktank, der bis heute massiven Einfluss auf die Geschicke der – nicht nur angelsächsischen – Welt ausübt.
Der elitäre Club ist so etwas wie das Hogwarts der High Society, nur dass dorthin nicht Comic-Mysten, wie Harry Potter, gehen, sondern die künftigen Lenker der Gesellschaft. Heutzutage kommen Tony Blair und Gordon Brown aus ihren Reihen. Zu Huxleys Zeiten zeigte man noch in ehrlicher Bekennerschaft auf dem Logo einen Wolf im Schafspelz. Huxleys Ehrgeiz, sich Poesie anzuschminken und die Ideologie eines atheistischen Humanismus zu verbreiten, mag hier ihre Ursache finden. Seinen Propagandastil hat er über die Jahrzehnte verfeinert, ohne jemals als Romancier eine besondere Meisterschaft zu erreichen. Huxley ist, wie Hemingway richtig beobachtete, in erster Linie Essayist, und zwar einer, dessen Schwarzgalligkeit bis an die Schmerzgrenze geht. Als „großen Mahatma der Misanthropie“ nannten seine Zeitgenossen den 1,88 Meter hohen Schlanken mit der dicken Brille und dem überbordenden Zynismus.
Menschenverachtender Humanismus der Diktatur
Die „wissenschaftlichen Diktaturen“ führen in Zukunft dazu, dass die Menschen ihre Versklavung lieben, heißt es in „Schöne neuen Welt“, Huxleys Welterfolg. Man sollte den Roman weniger als Dystopie, sondern als Gebrauchsanweisung lesen, denn in der neuen Weltordnung geschieht alles in ironischer Brechung, alles ist Fake, menschenverachtender Humanismus, Neurose und Diktatur in einem, Freiheit als letzte Instanz menschlichen Irrens, Leben als Ironie des Schicksals. In dieser Katastrophenwelt herrscht geistige Notzucht, „Mutter“ gilt als obszönes Wort.
Während Aldous für den theoretischen Überbau sorgte, peitschte Bruder Julian Darwins „Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ in die Köpfe der Völker, nicht nur als neodarwinistischer Biologe, sondern vor allem als erster Generaldirektor der UNESCO. Die Auswüchse des heutigen Genderwahns finden so unter anderem hier ihre Wurzeln. „Groß ist die Wahrheit, größer aber, vom praktischen Gesichtspunkt, ist das Verschweigen von Wahrheit“, schrieb Dystopiker Huxley 1946.
Mystizismus und Drogen in Kalifornien
Seit 1938 lebte Huxley in Kalifornien, schrieb Drehbücher für Hollywood und verdiente nicht schlecht dabei. Zu dieser Zeit hatte er sich bereits der fernöstlichen Mystik genähert. Was er in den Schriften des Hinduismus gelesen hatte, kannte er teilweise wohl schon aus gnostischen Schriften, doch es blieb nicht beim Mystizismus. Huxleys Rauschgift-Experimente veranlassten ihn, unverhohlen Drogenkonsum zu propagieren.
Hippie-Protagonist Jim Morrison wurde durch den drogenverherrlichenden Essay „Die Pforten der Wahrnehmung” („The Doors of Perception“) inspiriert, seine Band „The Doors“ zu nennen. „Meskalin öffnet den Weg zu Maria, aber verschließt die Tür zu Martha“ („Mescalin opens up the way of Mary, but shuts the door on that of Martha.“), schreibt Huxley darin. Ist diese antichristliche Sottise nun Produkt seiner ausgefeilten Kunst der Herablassung oder bricht sich hier die Torheit des Relativismus Bahn? Jedenfalls beruht der Weg zur Heiligkeit keinesfalls auf Rauschzuständen, sondern auf göttlicher Gnade. Also dem genauen Gegenteil von dem, was Huxley beschreibt.
Was bleibt von seinem Oeuvre? Über seine Essays hat der Zeitgeist Vergessen geweht, seine Romane „Schöne neue Welt“, „Kontrapunkt des Lebens“, „Affe und Wesen“, um die bekanntesten zu nennen, beschreiben kaum mehr als den distinguierten Kitsch des Desolaten, kurz gesagt, sie sind die üblichen Scharaden verrätselnder Intellektueller, die das 20. Jahrhundert bevölkerten, von Joyce über Sartre bis hin zu Huxley. Antichristliche Protagonisten allesamt, in ihrer Geworfenheit Propagandaschriftsteller eines stupiden Materialismus. Ihn als bloßen Darsteller von Kitsch hinzustellen, würde ihm nicht gerecht. Er war gewiss ein Suchender. Vielleicht sind seine Bücher als Hilferufe zu verstehen – trotz aller Negation oder gerade deswegen. Am 22. November 1963, wenige Stunden nach der Ermordung John F. Kennedys, ließ sich der sterbende Schriftsteller eine hohe Dosis LSD injizieren. Damit ging er auf seinen letzten Trip. Am gleichen Tag (Ironie des Schicksals?) starb auch C.S. Lewis.
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