„Alleen/ Alleen und Blumen/ Blumen/ Blumen und Frauen/ Alleen/ Alleen und Frauen/ Alleen und Blumen und Frauen und/ ein Bewunderer“ – wer hätte gedacht, dass das über 60 Jahre alte Gedicht „Alleen“ („Avenidas“) des bolivianisch-schweizerischen Lyrikers Eugen Gomringer (93), der zu den Vätern der sogenannten „Konkreten Poesie“ zählt, einmal im Mittelpunkt einer veritablen Sexismus-Debatte stehen würde. Genau das ist aber geschehen. In Deutschland, in der Hauptstadt.
Studenten der Alice-Salomon-Hochschule, an deren Gebäudefassade die Zeilen seit dem Jahr 2011 zu lesen sind, wollen in dem Gedicht, wie dpa berichtet, nämlich „patriarchale Denkmuster“ entdeckt haben. Der Akademische Senat der Hochschule will das Gedicht nun noch in diesem Jahr übermalen lassen, sodass an der Stelle Gomringers dort andere Lyrikerinnen und Lyriker zu Wort kommen. Nicht sexistisch oder diskriminierend, versteht sich. Doch welche Gedichte, so darf man wohl mit etwas gesundem Menschenverstand fragen, haben dann zukünftig überhaupt noch eine Daseinsberechtigung? Sind nicht weite Teile des klassischen und modernen Literatur-Kanons von einem Rollenmodell geprägt, in dem ein mehr oder weniger glückliches lyrisches Ich (männlich) einer holden Schönen (weiblich) huldigt?
Müsste man, wenn man ernsthaft daran denkt, die Verse Gomringers zu übermalen, nicht auch einige Lyrik-Kilometer Goethes, Shakespeare und Dantes – man erinnere sich nur an die ganz übel auf ihre entrückte Geschlechtsrolle reduzierte Beatrice in der „Göttlichen Komödie“ – ausmerzen? Doch selbst wenn ein solches Projekt gelänge: Was wäre dadurch für die Kultur wirklich gewonnen? Was für die Freiheit der Kunst und des Wortes? Was für das Zusammenleben der Geschlechter? Immerhin. Schnell hat sich beim „Fall Gomringer“ eine breite Widerstandsfront formiert. „Kunst und Kultur brauchen Freiheit, sie brauchen den Diskurs, das ist eine der wichtigsten Lehren aus der Geschichte“, meint zum Beispiel Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und ordnet die geplante Übermalung ein als „erschreckenden Akt der Kulturbarbarei“. Wer „dieses Grundrecht durch vermeintliche political correctness“ unterhöhle, betreibe „ein gefährliches Spiel“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Außer vielleicht die Frage, warum die in Teilen sicher nicht unberechtigte MeToo-Kampagne nun offenbar soweit ausgewälzt wird, dass sie absurde Formen annimmt. Wer meint, sich derart auf die Jagd nach lyrischen Sexismus machen zu müssen, praktiziert nur eins: konkrete Blödheit.