Es ist bezeichnend, dass der Tod eines Musikers, wenngleich eines sehr bekannten, weithin rezipierten, in unseren Tagen ein solches Echo, eine so tiefe Betroffenheit auslöst, wie dies bei Krzystof Penderecki der Fall ist, der zu Recht als Leitfigur in der zeitgenössischen Musikszene gilt und nun im Alter von 86 Jahren starb. Lebenslange Suche nach adäquaten musikalischen Ausdrucksmitteln und Wandlungsfähigkeit sind seine herausragenden Fähigkeiten.
Geboren ist Penderecki am 23. November 1933 in Debica. Der erste Kontakt mit Musik erfolgte im familiären Umfeld. Es war sein Vater, der ihm Violin- und Klavierunterricht erteilte. Seine professionelle Ausbildung erhielt er im Rahmen des Studiums der Komposition an der Krakauer Musikakademie. Aber sein Blick ging schon in jungen Jahren über die bloße Beschäftigung mit Tönen hinaus und er schrieb sich auch für die Fächer Philosophie, Kunst- und Literaturgeschichte an der Universität der Stadt ein. Was er gelernt hatte, gab er weiter, nicht nur als Professor und Rektor der Musikakademie in Krakau, sondern dank seiner exzellenten Deutschkenntnisse von 1966 bis 1968 auch an der damaligen Folkwang-Hochschule in Essen.
„Ich habe Jahrzehnte damit verbracht,
neue Klänge zu suchen und zu finden“
Krzystof Penderecki
Die Beschäftigung mit der Musik früherer Epochen war für Penderecki ebenso essenziell wie die mit der Tonsprache seiner Zeit. Aber welche Sprache war das? Zeitgenössische Musik muss nach Meinung vieler vor allem eins sein: neu. Auch Penderecki war überzeugt davon, dass Novität und Qualität in enger Verbindung miteinander stehen und schrieb einmal: „Ich habe Jahrzehnte damit verbracht, neue Klänge zu suchen und zu finden.“ Irgendwann aber war er bei sich angekommen, er hatte nach stetigem Studium der Werke der Romantiker, Klassiker, des Barock und des Mittelalters schließlich seine ganz eigene, charakteristische Musiksprache gefunden. Experimente mit Vierteltonintervallen, mit der zeitweise als besonders ausdrucksstark wahrgenommenen Clusterbildung, mit verfremdeten Spiel- und Singweisen, die sich dem Geräuschklang annäherten, entdeckte Penderecki in den 1970er Jahren in der neoromantischen, tonal gebundenen Tonsprache sein ganz persönliches Idiom. Ein Skandal. Denn neue Musik durfte zu dieser Zeit alles außer schön klingen. Das war eine Provokation, die umso schwerer wog, als die Kollegen durchaus wussten, dass Penderecki auch anders konnte, nämlich dissonante, kunstvolle und selbstreferenzielle Geräuschkonvolute schaffen. Aber er wollte nicht mehr. Dass er damit, wie mit seinem im Auftrag des Toronto International Choral Festival 2002 komponierten und dort am 31. Mai desselben Jahres unter seiner Leitung aufgeführten Sanctus und Benedictus auch noch Erfolg hatte, machte seine Widersacher noch wütender.
Gut möglich, dass ein Teil des Ärgers, den Penderecki sich mit seiner berührend schönen Musik einhandelte, mit seinem tiefen Glauben zusammenhängt. Ihn lebte er unprätentiös aber durchaus sicht- und hörbar. Formal orientierte sich Penderecki nach Abschluss seiner stilbildenden Suche am Gregorianischen Choral und den von ihm inspirierten und geprägten Werken seines französischen Kollegen Maurice Duruflé. Die zarten, für die Ewigkeit durchsichtigen Klanggewänder, die der polnische Musiker webte, arbeiten mit dem emotionalen Gehalt der Worte. Er macht die innere Bewegung des sie Betenden hörbar, setzt in Klang um, was in den Seelen der Gläubigen klingt, wenn sie sich beispielsweise im Sanctus in die vielfarbiges Licht ertönen lassenden Chöre der Engel einschwingen.
Inspiriert durch den Gregorianischen Choral
Dass er letztlich doch ein moderner und kein epigonal genialischer Komponist ist, zeigt sein versierter Umgang mit dem musikalischen Material. Ein Blick in die Partitur des Sanctus von 2002 beispielsweise zeigt, dass er, scheinbar ganz traditionsverhaftet, für seine Komposition den Dreivierteltakt wählt, der das dreimal Heilig widerspiegelt. Aber durch die Melodiebildung wird ebendiese Wahl konterkariert. Das vierzahlige Thema hebt das Taktschema auf und verweist so auf die grenzüberschreitende Erfahrung des Heiligen. Weil er den Dreiertakt und das auf der Zahl vier basierende melodische Modell miteinander verschmilzt, wird sein Sanctus zum Paradigma dessen, was an dieser Stelle in der Liturgie geschieht: die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Sie ist grenzüberschreitend, sprengt, was unseren Alltag prägt und hebt uns empor in die himmlische Wirklichkeit, in der wir ahnen, was das Ziel unseres Lebens ist – das Einstimmen in die Chöre der Engel. Penderecki verwirklicht in seinen Werken in hohem Maße das musikalische Ideal, das das Zweite Vatikanische Konzil in der Liturgiekonstitution „Sacrosantum Concilium“ formuliert. Er nimmt buchstäblich Maß am Gregorianischen Choral, macht ihn zum Bezugspunkt seines kompositorischen Tuns, weitet gerade durch diese Bindung den Blick und gewinnt eine teleologische Perspektive.
Neben seinen explizit geistlichen, vor allem aber liturgiegerechten Werken schrieb Penderecki vier Opern. Aber auch sie zeigen seine enge Verbindung mit der christlichen Gedankenwelt. Eines seiner musikalischen Bühnenwerke ist eine Vertonung des Versepos „Paradiese Lost“ von John Milton, in dem er die Schöpfungsgeschichte in einer farbigen Nacherzählung interpretiert. Eine andere seiner Opern, „Die Teufel von Loudun“, basiert ebenfalls auf einer Auseinandersetzung mit geistlichen Inhalten. Penderecki schrieb das Libretto selbst – hier kann man die Nachwirkungen seines Literaturstudiums sinnfällig nachvollziehen – und nahm dafür Aldous Huxleys „The Devils of Loudun“ zur Grundlage. Die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem personalen Bösen und dem Phänomen der Besessenheit basiert auf einem historischen Stoff. Pendereckis Oper ist also die Reflexion einer Reflexion und zeigt in einem Spiegel die Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema.
Aufgrund ihrer Expressivität wurde Pendereckis Musik vielfach aufgegriffen. Wie seine Inspirationsquelle, der Gregorianische Choral, ist sie zeitlos in ihrer Schönheit und wird ein fester Bestandteil des Musikrepertoires bleiben.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe