Kultur und Feuilleton

#Kirche als Netzwerk

Die digitale Revolution als ekklesiale Herausforderung - Doch was ist die Botschaft? Von Benedikt Winkler
Facebook hat weltweit mehr Mitglieder als die katholische Kirche
Foto: IN | Facebook hat mit 2,1 Milliarden Nutzern weltweit mehr Mitglieder als die katholische Kirche. Allerdings gibt es zwischen beiden eine große Schnittmenge.

Ungefähr zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils prägte der amerikanische Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan den markanten Satz: „Das Medium ist die Botschaft“. Doch wenn Christen glauben, dass das Evangelium die Botschaft ist und Jesus Christus die Antwort, was ist eigentlich die Frage? „Wir verlieren die Fragen“, beklagte der Chefredakteur der Zeitschrift „La Civilta Cattolica“ und Papstkenner, Antonio Spadaro SJ, letzte Woche auf der Jahrestagung zu „Christentum und Medialität“ des Instituts für Weltkirche und Mission in Frankfurt am Main.

Der gegenwärtige tiefgreifende Medienwandel ist mindestens so revolutionär wie die Erfindung des Buchdrucks. Die „Gutenberg-Galaxis“ (McLuhan) der beweglichen Lettern geht zu Ende, die „Netzwerk-Gesellschaft“ (Castells) hat begonnen. Fest steht: die digitale Revolution zu Beginn des 3. Jahrtausends lässt sich nicht mehr aufhalten. „Wir können nicht mehr zurück zu einer unschuldigen Welt ohne das Internet“, meint Spadaro und fragt: „Die Sehnsucht nach Wissen und die Sehnsucht nach Beziehung – ist das etwas Neues?“ Klar, wir nutzen das Internet, um Informationen zu bekommen. Wir nutzen die sozialen Netzwerke, um mit unseren Freunden verbunden zu sein. Information und Beziehung spielen sich heute mehr denn je im Digitalen ab. Das Internet ist zu einem Teil unserer Realität geworden. Ergo: „Evangelisierung kann diese Realität nicht länger ignorieren.“

Doch wie lässt sich digital evangelisieren? Wie leben wir in der digitalen Welt? Wie verändert sich die Qualität unserer Beziehungen durch die digitale Kommunikation? Jeder ist irgendwie online, vernetzt, verbunden. Der Wunsch, gesehen zu werden und dazuzugehören, ist bei vielen Usern größer als die Angst vor Datenmissbrauch und Totaltransparenz.

„Facebook ist mittlerweile ein Seniorenportal und wer heute noch von ,Neuen Medien‘ spricht, zeigt damit, dass er älter als 45 ist“, scherzt Spadaro. Der Sizilianer ist mit seinen 51 Jahren ein sogenannter „digitaler Einwanderer“ (Digital Immigrant). Als Vatikan-Experte weiß er, dass die katholische Kirche im Zeitalter von Facebook, Twitter, Instagram und Co. noch eine Lernende ist. Aber er sieht sie auch mit einem Generationsproblem konfrontiert. Ältere Pfarrer sind kanzelfähig, aber nicht unbedingt social-media-affin. Das mag zum Teil daran liegen, dass soziale Netzwerke eine Eigendynamik entwickeln und nicht selten Kontrollverlust bedeuten. Diktatoren, Königshäuser und Bischöfe haben das schon zu spüren bekommen. Arabischer Frühling, royale Leaks oder Shitstorms – das Geheimnisvolle, das Intransparente wird plötzlich öffentlich, eine Machtverschiebung hin zu den Vielen findet statt, die liked, teilt und kommentiert, was das Zeug hält.

„Dialogizität des Digitalen ist ein ekklesialer Ernstfall“, sagt der Frankfurter Pastoraltheologe Wolfgang Beck im theologischen Fachjargon und spart nicht mit Kirchenkritik: „Wir nutzen die Medien, um klassisch zu missionieren, lassen uns aber nicht ein auf deren Eigenlogik.“ Beck plädiert für eine Abkehr von der „arroganten Simulation von Allwissenheit und der Idee der asymmetrischen Belehrung“. Der Papst twittere zwar und erreiche täglich mehr als 40 Millionen Menschen auf der ganzen Welt, aber im Grunde finde hier noch immer eine Kommunikation nach dem alten Sender-Empfänger-Schema statt, kritisiert der „Wort zum Sonntag“-Sprecher, der mit dem zweitältesten TV-Format in der ARD gewiss auch viele Menschen erreicht, aber im linearen Fernsehen auch nur Einwegkommunikation praktiziert.

Als der auferstandene Christus den Emmausjüngern begegnet ist, dann habe er die Interview-Methode angewandt, Fragen gestellt und die niedergeschlagenen Jünger in ein interessantes Gespräch verwickelt, meint der irische Kurienbischof Paul Tighe, der für die Twitteraktivitäten von Papst Benedikt XVI. zuständig war. Tighe (60) ist vielleicht einer der medienaffinsten „Silver Surfer“ im Vatikan, denn er weiß genau um die kommunikativen Schwachstellen im päpstlichen Social-Media-Auftritt. Wenn jemand auf einen Tweet des Papstes antwortet, „Lieber Papst, mein Onkel ist krank, kannst du für ihn beten?“ dann bleibt diese Reaktion unbeantwortet. Nur in wenigen Fällen greift Franziskus selbst zum Telefonhörer. Mehr Online-Moderation würde dem Account @pontifex sicher gut tun, aber mit dieser Aufgabe wäre wohl die gesamte Schweizergarde restlos beschäftigt. Aber wer weiß, vielleicht gehört auch bald der Kampf gegen Hacker und Trolle im Netz zu den Aufgaben der Gardisten? In jedem Fall braucht es heute moderative Kompetenzen, mehr Kreativität und vor allem Dialogizität in der Verkündigung.

Gute Ansätze gibt es. Während mancher „Digital Immigrant“ unter panoptischem Stress leidet und heimliche Ressentiments hegt gegen die Totalkommunikation unserer Zeit, programmieren die „Digital Natives“ der Generation Y, namentlich Philipp Schall und Alexander Bothe, fleißig Apps für die internationale Romwallfahrt der Ministranten (goRome!) oder überlegen sich die Stationen eines digitalen Jugendkreuzwegs wahlweise im Single- oder Multi-Prayer-Modus (#beimir). Was die Druckerpresse zu Gutenbergs Zeiten war, ist heute das Smartphone. „Augmented pilgrimage“ bedeutet, dass die Citta Eterna mithilfe des Smartphones plötzlich viel mehr zu bieten hat, als nur die alten Ruinen des Forum Romanums oder den Petersdom. Ein ökumenischer Kreuzweg mit StreetArt-Elementen – interaktiv, partizipativ gestaltet – so geht Jugendpastoral im Jahr 2018.

Dass das Virtuelle auch eine traurige Realität haben kann, davon spricht die Theologin Agnes M. Brazal aus Manila: Ein minderjähriges Kind auf den Philippinen, das aufgrund von Armut von seinen Eltern zu Cybersex vor dem Laptop gedrängt wird. Der Körper online, wenige Dollar gibt es pro Auftritt. Cyberprostitution über Live-streams – ein Riesengeschäft. Die einen schauen hin, die anderen schauen weg, nur wenige erkennen in den Opfern Christus, wie er am Kreuz hängt: nackt und bloßgestellt.

Papst Johannes Paul II. hat 2002 zum 36. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel einmal gesagt: „Milliarden von Bildern gelangen über das Internet auf Millionen von Computermonitoren überall auf dem Planeten. Wird durch diese aus Bildern und Tönen bestehende Galaxis das Antlitz Christi sichtbar und seine Stimme hörbar werden?“

„Wohl kaum“, findet eine Tagungsteilnehmerin, „solange wir uns mehr um die Kirche als um die Botschaft des Evangeliums kümmern, wenn wir über eine Professionalisierung der kirchlichen Medienarbeit sprechen“. „Wie verkaufst du Jesus Christus heute?“, provokativer hätte die Bremer Kommunikations- und Religionswissenschaftlerin Kerstin Radde-Antweiler ihre Präsentation nicht betiteln können. Professor Robbie B. H. Goh nennt eindrucksvolle Beispiele aus den USA, wo Christentum und Kapitalismus die perfekte Symbiose gefunden haben. In Eureka Springs, Arkansas, gibt es den biblischen Themenpark „Holy Land Tours“. Neocharismatische Megachurches wie die Lakewood Church feiern in Houston, Texas, mit Lasershows, Kamerakränen und Videoleinwänden spektakuläre und medial atemberaubend inszenierte Großevents. In Zukunft, so garantieren manche Megachurch-Pastoren, soll es sogar Heilungen per Smartphone geben, indem man seine Hand auf das Display legt. Die Prediger – meist auch erfolgreiche TV-Stars und Buchautoren – wissen, wie man Jesus Christus und seine Botschaft bestmöglich vermarktet. Würde sie Jesus heute alle aus dem Tempel schmeißen?

Oder anders gefragt: Was ist nur alles aus dem galiläischen Wanderprediger gemacht worden, der vor zweitausend Jahren nichts Schriftliches hinterließ, sondern nur mit seiner Stimme von der Umkehr und dem Reich Gottes sprach? Inwieweit findet das „Folge mir nach“ des Jesus von Nazareth heute noch eine Entsprechung im „Follow me“ der digitalen Netzgemeinden?

Als „Geschenk Gottes“ bezeichnete Papst Franziskus das Internet und die sozialen Netzwerke, als er mit Apple-Chef Tim Cook zusammentraf. Doch es bleibt die Frage, wie jeder Einzelne und wie wir als Kirche mit diesem Geschenk verantwortungsvoll umgehen. Das Internet ist wie eine Straße, auf der Heilige und Verbrecher unterwegs sind – und die Geschichte des Christentums, eine Geschichte von Heiligen und Sündern, sie war und wird immer auch eine Mediengeschichte sein.

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