Journalisten mit „Jagdinstinkt“

Klaus D. Minhardt, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands Berlin-Brandenburg, über Medien als Akteure. Von Alexander Riebel
Klaus D. Minhardt, Vorstand beim DJV Berlin-Brandenburg.
Foto: Privat | Klaus D. Minhardt, Vorstand beim DJV Berlin-Brandenburg.

Herr Minhardt, der Fall der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) hat beim Thema Gauland-Boateng gezeigt, dass der Shitstorm auch nach hinten losgehen kann. Nehmen Sie eine zunehmende Skandalisierung durch Medien wahr?

Ob sie zunehmend ist, ist schwierig zu sagen. Es wird zumindest in der Bevölkerung als zunehmend wahrgenommen.

Werden Medien immer mehr zu Akteuren und versuchen Einfluss zu nehmen?

Ja. Natürlich gibt es Versuche, Einfluss zu nehmen und man hat immer mehr den Eindruck, dass Redakteure oft mit einem bestimmten Ziel schreiben, also mit einer Art Jagdinstinkt.

Sie haben in einem Kommentar auf der Internetseite des DJV Berlin-Brandenburg am Dienstag geschrieben, dass die FAS eingeräumt hat, dass nicht Gauland, sondern die beiden Redakteure der FAS und FAZ den Namen Boateng ins Spiel gebracht haben.

Ja, das ist ja mittlerweile ein Faktum. Sie haben sicher Boateng nicht spontan aus dem Stegreif herausgesucht, das bezweifle ich, sondern das Beispiel hat man sich genau überlegt. Dann ist da die Frage, warum nimmt man nicht irgendeinen gut integrierten Migranten, meinetwegen auch einen mit weißer Hautfarbe und nimmt den als Beispiel dafür. Dann hätte man erst einmal einen richtigen Migranten. Es hätte dann vielleicht auch noch ein Muslim sein können.

Das Gespräch ging über „Integration und Religion“. Da nimmt man aber als Beispiel einen Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters, in Deutschland geboren, mit deutscher Staatsangehörigkeit, und dann auch noch Christ. Das heißt, mit Ausnahme der Hautfarbe war Herr Boateng überhaupt kein Beispiel für das, um was es in dem Gespräch ging. Und dass es dann hinterher als Skandal wunderbar funktioniert, noch dazu mit einer Figur Nationalspieler, wobei man genau wusste, wo das hinführt – das spricht alles für eine genaue Planung, mit der man etwas erreichen wollte. Herr Gauland hat sich recht neutral geäußert. Er hat über einen Alltagsrassismus gesprochen, den wir doch überhaupt nicht abzustreiten brauchen. Ich drehe es gerne in die andere Richtung: Stellen Sie sich vor, Claudia Roth hätte das gesagt. Was wäre dann passiert? Es wäre gar nichts passiert. Und auch da sieht man, dass es eine Skandalisierung durch die Zeitung und durch die Redakteure war.

Kennen Sie ähnliche Beispiele?

Die FAS hat im gleichen Artikel ein weiteres Problem mit einem Zitat. Die FAS behauptete, dass Björn Höcke von der AfD Thüringen von „verrotteten Funktionsträgern der Kirche“ gesprochen hätte. Dieses Zitat war von der Zeitschrift Christ & Welt irrtümlich Höcke zugeschrieben worden und anschließend sauber korrigiert worden. Die FAS hat das Zitat aber trotzdem verwendet. Höcke ist gegen die Veröffentlichung vorgegangen und die FAS musste es löschen. Zweimal in einem Artikel mit einem Zitat zu skandalisieren, belegt die Zielrichtung der Journalisten.

Was kann man tun, wenn man Opfer einer Skandalisierung geworden ist?

Wenn man, wie in dem besprochenen Fall Gauland, gegen die Redakteure und nicht gegen die Zeitung klagt, dann sind beide Journalisten Partei und nicht Zeugen. Da es keine Tonbandaufzeichnung gibt, haben beide Redakteure dann nichts Beweiskräftiges in der Hand. Es ist beim Fehlen von Tonaufzeichnungen besser, sich die gesprochenen Worte vom Gegenüber zur Beweissicherung bestätigen zu lassen. Das ist reiner Selbstschutz. Wir sind gegen die Autorisierung von Interviews zum Zwecke der Einflussnahme des Interviewten auf den Inhalt. Es ging aber in diesem Fall nicht um Autorisierung, sondern um Absicherung.

Skandalisierung wird ja immer mehr mit Boulevardisierung verbunden. Hat die Skandalfrequenz etwas mit den Klick-Zahlen der Internetnutzer zu tun auf den Internetseiten der Zeitungen?

Ja natürlich. Aber halten Sie diese Skandalisierung und Boulevardisierung ruhig auseinander. In diesem Fall ging es gar nicht um Boulevardisierung, In diesem Fall ging es um politisches Kalkül. Da will eine Zeitung politisch etwas bewegen. Das sind zwei unterschiedliche Motive. Im Moment haben wir es ja mehr mit dem Problem der Skandalisierung zu tun. Wenn Sie die Studie der TU Dresden zu den Pegida-Demonstrationen heranziehen, wird deutlich, worum es zurzeit geht. Behauptet wurde gegenüber Pegida immer Ausländerfeindlichkeit, Rassismus oder Angst vor Fremden. In der Untersuchung stellte sich aber heraus, dass an erster Stelle die Ablehnung der Politik genannt wurde und an zweiter Stelle kam das Misstrauen in die Medien. Erst dann kommen die Vorbehalte gegen die Zuwanderung. Das zeigt genau, wo wir im Moment das Problem haben. Die Bevölkerung hat das Vertrauen in die Politik und in die Presse verloren. Das äußert sich natürlich auch in sinkenden Zahlen, was den Kauf von Medien betrifft, in sinkenden Zahlen bei Nachrichten- und Informationssendungen. Die Skandalisierung und einseitige Berichterstattung wird als Lüge wahrgenommen und eine einzige Lüge reicht, um den nächsten Meldungen die Glaubwürdigkeit zu nehmen.

Wie ist der Schaden für die Medien wahrnehmbar außer im Vorwurf der „Lügenpresse“?

Ich denke, diese „Lügenpresse“-Geschichte ist nicht die schlimmste. Es ist vielleicht der Weckruf für den Journalismus, sorgfältiger zu arbeiten. Ich habe vor vielen Jahren und dann später wieder einen Antrag auf Bundesverbandsebene gestellt, dass Journalisten zu erkennen geben sollen, in welcher Partei oder in welchen Organisationen sie sind. Das wurde dann mit großer Mehrheit abgelehnt, weil Parteizugehörigkeit immer auch Privatsache sei. Wenn ich über etwas berichte, was mit Politik zu tun hat, dann ist es für die Glaubwürdigkeit oder auch für den guten Ruf der Presse durchaus gut, wenn man die politische Orientierung des Journalisten erfährt. Wenn der Artikel dann trotzdem neutral ist, dann wird der Leser das besonders gut finden und sagen: Trotz seiner Mitgliedschaft ist er kritisch. Warum holen wir uns die Glaubwürdigkeit nicht zurück? Im Fachjournalismus ist es ja schon lange so. Da steht dann, ein Professor ist zum Beispiel Berater bei Unternehmen XY. Warum machen wir das nicht auch im politischen Journalismus?

Wie kann man sonst noch der Skandalisierung entkommen?

Viele Politiker begeben sich gar nicht mehr in die Situation von Hintergrundgesprächen. Wir können häufig in politischen Sendungen hören, dass ein Minister zu einem Problem angefragt wurde und er abgesagt hatte. Wir sehen im Fernsehen Politiker nur noch in ihrem eigenen Anliegen, wo sie ihre Weltsicht verkünden, aber nicht mehr gegenüber einem kritischen Journalisten, wo sie heikle Fragen beantworten.

Stehen die Medien unter dem Druck, zu schnell liefern zu müssen?

Ja, ich hätte doch erwartet, dass zumindest eine seriöse Zeitung gesagt hätte: Moment, nicht die Schnelligkeit gewinnt, sondern lass uns doch den Betroffenen mal anrufen und fragen, was er denn wirklich meinte. Auch die Sozialen Medien tragen zum schlechten Ruf bei, weil es mittlerweile viel wichtiger ist, der erste zu sein, der schnell etwas ausgräbt und wenn es noch so falsch ist, bevor wir, wie früher, sagen, lasst doch mal einen Tag vergehen und recherchieren. Auch der Fall Gauland wurde erst nach zwei Tagen viel deutlicher.

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