Es war am 24t. Dezember des Jahres 1818, als der damalige Hülfspriester Herr Josef Mohr bei der nun neu errichteten Pfarr St. Nicola in Oberndorf dem Orgeldienst vertretenden Franz Gruber (damals zugleich auch Schulleiter in Arnsdorf) ein Gedicht überreichte, mit dem Ansuchen, eine hierauf passende Melodie für zwei Solo-Stimmen sammt Chor und für eine Guitarre-Begleitung schreiben zu wollen. Gruber überbrachte am nämlichen Abend diesem musikkundigen Geistlichen seine einfache Composition, welche sogleich in der heiligen Nacht mit Beifall produziert wurde.“
So steht es in Franz Xaver Grubers (1787–1863) „Authentischer Veranlassung“, die er 1854 verfasste. Bis dahin war der Öffentlichkeit nicht bekannt, dass er und Joseph Mohr (1792–1848) die Autoren des durch Tiroler Sängergruppen, deutsche Auswanderer sowie katholische und evangelische Missionare in die ganze Welt getragenen Weihnachtshits waren. Inzwischen wird das von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe auserkorene Lied in 300 Sprachen sowie unzähligen Neuinterpretationen angestimmt. Neun Gemeinden aus dem Salzburger Land, Oberösterreich und Tirol, in denen der Hilfspfarrer und spätere Vikar Mohr oder der Lehrer, Mesner, Chorleiter und Organist Gruber gewirkt haben, präsentieren anlässlich des 200. Jubiläums von „Stille Nacht“ eine „dezentrale Landesausstellung“. Den Ausstellungsreigen führen zwei umfangreiche Sonderausstellungen in Salzburg und Fügen an. Wagrain schließt sich mit einer Neueröffnung an: das Stille Nacht Museum präsentiert Dinge, die Mohr hinterlassen hat. Hintersee reiht sich mit der vor zwei Jahren errichteten Joseph-Mohr-Gedächtniskapelle ein. Der Wallfahrtsort Mariapfarr, wo Mohr das Gedicht 1816 verfasste und die anderen Teilnehmer haben ihre dem Lied und seinen Urhebern gewidmeten alten Museen frisch herausgeputzt.
Joseph Mohr kam als drittes von vier unehelichen Kindern der Strickerin Anna Schoiber in Salzburg zur Welt. Domchorvikar Hiernle erkannte Mohrs Talente und ermöglichte ihm den Besuch des Gymnasiums. Seine Lebensgeschichte und die Grubers sowie ihr Lied und seine Verbreitung sind Thema der Sonderschau im Salzburg Museum. Gemäß der sechs Strophen von „Stille Nacht“ ist sie in sechs Abteilungen gegliedert. Sechs Strophen? Üblicherweise werden nur die erste, zweite und sechste Strophe gesungen. Die anderen drei hingegen sind kaum bekannt. Laut aber ist das Lied erst am 24. Dezember zu hören. Zuvor geht es leise zu: Präsentiert werden historische Tonträger und Abspielgeräte, deren „Stille-Nacht“-Darbietungen man über Kopfhörer lauschen kann. Ins Filmgeschäft stieg das Lied 1910 ein. Auch Kitsch, Kommerz und Politik geraten ins Blickfeld. Das Beste aber zuletzt: Zwei Handschriften mit den Noten und dem Text des Liedes. Die eine verfasste Mohr um 1820. Die andere brachte Gruber um 1860 zu Papier.
Während von Mohr nur diese eine Niederschrift des Liedes bekannt ist, sind von Gruber mehrere Versionen überliefert. Sie sind zusammen mit Briefen, Tagebüchern, Musikinstrumenten und Alltagsgegenständen aus Grubers Nachlass im kürzlich erweiterten und neu eingerichteten „Stille-Nacht“-Museum von Hallein ausgestellt, das ehemals sein Wohnhaus war. Attraktionen des Museums sind die Gitarre, auf der Mohr „Stille Nacht“ spielte, und Grubers in drei Fassungen erhaltene „Authentische Veranlassung“, ohne die uns die Urheber des Liedes sowie der Ort und das Datum der Erstaufführung unbekannt wären.
Vor Grubers Richtigstellung galt „Stille Nacht“ als „Ächtes Tyroler Lied“, dem die Zillertaler Sängerfamilien Strasser, Rainer und Leo auf ihren Konzerttourneen durch Europa und Nordamerika zu internationaler Bekanntheit verhalfen. In ihr Repertoire war es durch den mit Gruber bekannten Orgelbauer Karl Mauracher gelangt. Im Schloss Fügen stellt die Sonderschau „Klang der Alpen“ das Wirken der Sängerfamilien vor. „Stille Nacht“ erklingt in der Schau erst am 24. Dezember. Empfehlenswert ist zudem der Besuch des Fügener Museums in der Widumspfiste. Es beherbergt die mit 689 Exemplaren weltgrößte Sammlung von Stille-Nacht-Schallplatten.
Der weltumspannenden Wirkkraft des Liedes ist der Friedensweg in Grubers Geburtsort Hochburg-Ach gewidmet. Seine sechs Stationen sind mit Bronzeskulpturen des Künstlers Hubert Flörl ausgestattet. Die ersten fünf symbolisieren je einen Kontinent und präsentieren eine Liedstrophe sowie ein Bibelzitat. Zum Beispiel: „Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe.“ An der sechsten Station erwartet uns eine stark abstrahierte Skulpturengruppe. Sie stellt Gruber und Mohr dar, die Arm in Arm der Madonna und dem Jesuskind die letzte Strophe ihres Liedes vortragen. Nebenan steht das Franz Xaver Gruber-Gedächtnishaus. Der über 200 Jahre alte Holzbau gleicht dem nicht erhaltenen Geburtshaus des späteren Lehrers und Musikers, der an die 90 heute nur noch selten gespielte Messen komponierte. Das Gedächtnishaus ist mit dem Webstuhl und anderen Stücken aus dem Besitz der Leinenweberfamilie Gruber ausgestattet, die in bescheidenen Verhältnissen lebte.
Seine erste Lehrerstelle trat Gruber in Arnsdorf an, dessen Schulgebäude Österreichs ältestes bis heute genutztes ist. In ihm komponierte er vermutlich die Melodie zu Mohrs Gedicht. Im Obergeschoss befindet sich das Stille-Nacht-Museum, zu dem ein wie zu Grubers Zeiten eingerichtetes Klassenzimmer gehört. Größter Schatz des Museums sind Krippenfiguren, die Gruber an Weihnachten in der der Schule gegenüber liegenden Wallfahrtskirche Maria im Mösl aufstellte. Am 24. Dezember lässt das Glockenspiel des Kirchturms das Stille-Nacht-Lied erklingen. Daran schließt sich ein Fackelzug zur Stille-Nacht-Kapelle von Oberndorf an.
In der Oberndorfer St. Nicola-Kirche hatte „Stille Nacht“ im Anschluss an die Christmette von 1818 Premiere. Gruber und Mohr sangen ihr Lied vor der Krippe. Die rund 100 Krippenfiguren sind erhalten. Frisch restauriert gehören sie zu den Prunkstücken des Museums Innviertler Volkskunst der Stadt Ried. Um die Heilige Familie gruppieren sich die Hirten, die Heiligen Drei Könige mit Gefolge sowie weitere Gestalten, in Fantasiekostümen, die anderen in Bauern- und Schiffertracht der Zeit um 1800. Pfarrer Johann Veichtlbauer, der sie 1926 erworben hatte, schwärmte: „Es ist jene Krippe, vor der im Jahre 1818 das Weihnachtslied aller Weihnachtslieder, das ,Stille Nacht‘, zum ersten Mal erklungen ist. Darf man nicht doch diese Krippe darum die ,Krippe aller Krippen‘ nennen?“
An der Stelle der wegen Hochwasserschäden abgetragenen St. Nicola-Kirche steht die 1937 eingeweihte „Stille-Nacht“-Kapelle. Vor ihr bilden alljährlich an Heiligabend Tausende von Menschen eine internationale Gemeinde, die gemeinsam „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ singt. Im nahe gelegenen „Stille-Nacht“-Museum sind Objekte aus der St. Nicola-Kirche zu sehen: zwei Bänke und ein Altaraufsatz.
Die dezentrale Landesausstellung „200 Jahre Stille Nacht! Heilige Nacht!“ läuft in Salzburg, Oberndorf, Hallein, Arnsdorf, Mariapfarr, Hochburg-Ach, Hintersee, Wagrain und Fügen bis 3.2.2019. Kombiticket: 18 Euro.
Informationen: www.stillenacht.com.
Das im Pustet Verlag erschienene „Buch zum Lied“ kostet in der Landesausstellung 16,90 Euro, im Buchhandel 29,– Euro