HAYERS HORIZONTE

Im „Wertekrieg“ nicht verlieren

Einige Länder machen ihre Grenzen dicht vor russischen Deserteuren – ein christliche Politik der offenen Herzen sieht anders aus.
Ukraine-Krieg - Kasachstan
Foto: Denis Spiridonov (AP) | Alleine in Kasachstan sind inzwischen mehr als 100.000 russische Männer angekommen. Hier stehen sie an, um eine kasachische Registrierung zu erhalten, nachdem sie die Grenze nach Kasachstan vom Grenzübergang ...

Es ist schon erstaunlich, in welch kurzen Intervallen sich Geschichte inzwischen auf fatale Weise wiederholt. Die sogenannte ,Flüchtlingskrise‘ liegt noch nicht einmal ein Jahrzehnt zurück und schon bedienen sich manche wieder derselben Reflexe und überdies der ähnlichen methodisch geplanten Rückzieher danach. Alles sei ja anders gemeint gewesen und überhaupt hätte er ja niemanden verletzen wollen, räumte just Friedrich Merz – ein Rhetoriker, der ansonsten genau weiß, was er wann sagt – ein, nachdem er neulich vom „Sozialtourismus“ ukrainischer Geflüchteter sprach.

„Während Putins gesamtes Handeln
auf dem Welt-Misstrauen eines einstigen KGB-Offiziers beruht,
während er den Globus in Gut und Böse aufteilt und allein die Macht der Stärke propagiert,
sollten wir im krassen Gegensatz dazu für Menschenfreundlichkeit werben“

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Spielt hier also wieder jemand auf der Klaviatur der Neurechten wie einst die AfD, die in syrischen Asylbewerbern vor allem die öffentlichen Kassen plündernde „Kopftuchmädchen und andere Taugenichtse“ sah? Ja, wir sind wohl wieder in der Wahlkampfphase, zumindest Niedersachsen.

Aber derlei verbale Entgleisungen, die letztlich auf dem Rücken der Allerschwächsten, nämlich oftmals traumatisierter, mittelloser Menschen aus Kriegsgebieten stattfinden, erweisen sich nur als Teil eines größeren bedenklichen, moralischen Rollbacks. Denn nun kommen zu jenen aus der Ukraine noch die Deserteure aus Russland hinzu. Dass einige Länder für sie von Anfang an alle Grenzen dichtmachen, dürfte nicht nur ein veritabler strategischer Fehler sein, zumal jeder Mann, der nicht für die russische Armee kämpft, in unser aller Sinne sein müsste. Vielmehr entspricht die Abschottung letztlich einem Kotau vor Putin.

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Wir sollten uns nicht mit ihm auf „Augenhöhe“ begeben

Oft ist in den vergangenen Tagen die Rede vom „Energiekrieg“ oder dem „Abnutzungskrieg“ gewesen. Was er aber darüber hinaus bedeutet, lässt sich vielleicht am ehesten mit dem Begriff des „Wertekriegs“ bezeichnen. Gelingt es dem Despoten, dass wir eine ähnliche Inhumanität wie er selbst an den Tag legen, so hat er eigentlich schon gewonnen. Dann hat er es geschafft, unsere Gesellschaften gleich einem Virus von innen heraus zu zersetzen. Es wäre ein noch nachhaltigerer Triumph als jeder gewonnene Quadratmeter.

Nein, ein Westen, der sich so sehr auf die Ideale der Aufklärung und des Abendlandes beruft, sollte seine Haltung verteidigen, er sollte barmherzig im urchristlichen Sinne sein. Statt seine Empathie aufzugeben, gilt es, eine Politik der offenen Herzen zu vertreten. Nicht blauäugig, denn gewiss mag nicht jeder Deserteur ein Überzeugungstäter in Sachen europäischer Werte sein. Aber eben mit fester Überzeugung, die natürlich einschließt, jeden Ankommenden auch zu überprüfen.

Der Autokrat hat zu Recht Angst vor dem Westen und seinen Werten

Während Putins gesamtes Handeln auf dem Welt-Misstrauen eines einstigen KGB-Offiziers beruht, während er den Globus in Gut und Böse aufteilt und allein die Macht der Stärke propagiert, sollten wir im krassen Gegensatz dazu für Menschenfreundlichkeit werben. Längerfristig wird dieser Ansatz erfolgreicher sein, weil er weite Teile der Bevölkerung unserer Erde für sich gewinnt. Und nichts ist gefährlicher und zerstörerischer für eine Autokratie, wenn sie jenseits eines Repressions-Apparats das Vertrauen der Massen verliert.

Auch dieses Szenario mutet wie eine Infektion an, die zunächst unsichtbar die äußeren Glieder befällt, bevor sie langsam, aber stetig den Kopf lahmzulegen weiß.

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