Männer fortgeschrittenen Alters neigen im Angesicht eines späten Frühlings nicht selten dazu, sich lächerlich zu machen. Diesen Teil seines öffentlichen Lebens erledigt der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder als 78-Jähriger zuverlässig auf Instagram. Gerd, wie ihn Freunde und in der Erinnerung verblasste Ehefrauen nannten, ist dort dank Gattin Nr. 5, der chronisch gutgelaunten Südkoreanerin Soyeon Schröder-Kim, sehr verliebt in freier digitaler Wildbahn zu beobachten: neckisch bei brennendem Kerzelein hinter dem Tannenbaum, beim Aufhängen von Meisenknödeln durch den Schnee stapfend oder beim Einpflanzen der Küchenkräuter auf dem Hochbeet (Petersilie, Basilikum, Paprika, Peperoni, Schnittlauch). Er hat offensichtlich eine Vorliebe für bunte Steppjacken.
Den anderen Teil seines nicht unerheblich großen Egos arbeitet der Altbundeskanzler in seinem Podcast „Gerhard Schröder – Die Agenda“ ab, wo er noch am 28. Januar trotz Truppenaufmarsch der Russen an der ukrainischen Grenze großspurig verkündete, es werde kein Krieg geben, weil die Russen ja gar kein Interesse daran hätten. Tja. Niemand erklärt besser als inoffizieller Regierungssprecher die russische Seele und wie man am besten und klügsten oder besser nicht (immer diese dummen Sanktionen) mit dem Weltmachtfaktor im Osten umgehen sollte.
„ Der Gerd hat zumindest keinem was vorgemacht und
sehr offen das russische Geld genommen –
ob das bei allen amtierenden Politikern auch so ist,
wird die Geschichte noch zeigen“
Kein Wunder also, wenn die New York Times das aktuelle Interview mit ihm unter den Titel „Putin`s Man in Germany“ stellt; das ist er und das will er auch bleiben. Auch wenn seine SPD gerade vor Peinlichkeit vergeht und bereits 14 Anträge auf Parteiausschluss vorliegen. Der Redakteurin zeigt er Freundschaftsbilder auf dem Handy mit Putin im roten Hockeydress, man habe über Fußball geredet. Das war noch im Herbst 2021. Ein „Mea Culpa“ sei nicht sein Ding, sagt er. Schröder wird nicht müde, das Mantra herunterzubeten, wie wichtig Väterchen Russland geopolitisch aber auch in Bezug auf Rohstoffe für Deutschland sei. Nach dem Krieg würden wir wieder mit Russland verhandeln müssen, und das Schlimme ist: wahrscheinlich hat er recht. Am besten man stellt jetzt schon einen Wodka griffbereit, falls er noch nicht aus Solidarität mit der Ukraine in der Toilette symbolisch versenkt wurde.
SPD-Parteichefin Saskia Esken, deren Standard-Gesichtsausdruck in russischen Agentenfilmen ohne weiteres auch Karriere machen könnte, fordert nun, ihm die Bezeichnung als „Altkanzler“ abzusprechen, er sei ja nur noch Geschäftsmann. Richtig Frau Esken, aber warum fällt es allen erst jetzt auf? Man scheint bei der SPD seit fast zwei Jahrzehnten in einem Dornröschenschlaf zu verweilen, denn immerhin wechselte Schröder ohne Anstandsfrist aus dem deutschen Regierungssitz auf den Vorstandsstuhl von Gazprom. Aber wir wissen ja auch von SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, dass diese Kooperationen mit den Russen irgendwie geschehen, ohne dass man etwas dafürkann, und dann stellt sich nach Jahren überraschend heraus, dass sie einen in der Hand haben. Verdammt aber auch!
Es gibt noch viele in der Politik mit Sympathien für den Kriegsherrn
Am Ende bin ich dann aber doch geneigt, mich auf Schröder Seite zu schlagen, denn man mag ja von ihm halten, was man will, aber wenn er sagt, das mit dem russischen Gas habe seit 30 Jahren keinen interessiert, hat er einen echten Punkt. Auch die SPD hätte ihn schon längst hinauswerfen können, erst jetzt, da alle Welt auf Putins Mann in Deutschland blickt, ist es ihnen peinlich. Der Gerd hat zumindest keinem was vorgemacht und sehr offen das russische Geld genommen – ob das bei allen amtierenden Politikern auch so ist, wird die Geschichte noch zeigen. Erinnert sich wirklich niemand, dass einst auch der CDU-Mann Philipp Mißfelder bei der legendären Putin-Geburtstagsfeier in Moskau Champagner und Kaviar genoss? Und was ist mit jenen links- und rechtsaußen Politikern, die ihm bis heute die Stange halten?
Inzwischen sind wir nur alle ein paar Wochen älter, klüger und Kriegs-erfahrener, auch der Gerd. Allein seine Russland-Affinität und die medial seit Jahren zelebrierte Männerfreundschaft mit Gospodin Vladimir hält unverdrossen besser als alle seine bisherigen Ehen zusammen. Er ist eben im Grunde doch eine treue Seele, die Frage ist immer nur: Wem gegenüber?
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